Willkommen in der Arbeitswelt

carstenj

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Hi,

ich habe jetzt so ca. die Hälfte meines Arbeitslebens rum, und muss zugeben, dass ich selber verwundert bin noch nicht resigniert zu haben.

Ich hatte bisher mehr als 8 Jobs, überwiegend IT. Und man erlebt da einiges. Ich erinnere mich noch an die Anfangszeit, in der ich total Bock hatte auf Technologie, neue Dinge zu lernen und mein Können unter Beweis zu stellen. Und heute, ca. 24 Jahre später, habe ich immer noch Lust, Dinge zu verstehen, Ding zu erklären, aber ein anderer Teil ist quasi gestorben.

Ich habe anfangs beispielsweise gedacht, dass, sobald eine Stelle irgendwo ausgeschrieben ist, die Leute sich freuen würden, wenn jemand Neues kommt, weil derjenige ihnen ja auch Arbeit abnimmt. Dabei ist es oft so, dass Leute bestimmte Sachen gar nicht abgeben wollen und man nicht als Kollege wahrgenommen wird, der einem Arbeit abnimmt, sondern als jemand, der einem Arbeit wegnimmt. Es ist oft sehr schwer irgendwo wirklich anzukommen, egal wieviel fachliches KnowHow man mitbringt und welche Softskills man hat. Und Führungspersonen können mit solchen Situationen gar nicht umgehen, weil sie nicht wegen ihren Führungsqualitäten auf diesem Posten sind, sondern aufgrund ihrer langen Firmenzugehörigkeit.

Zudem wird häufig sehr (sehr) schlecht kommuniziert. Kollege A mag Kollegen B nicht, oder der Teamleiter will eigentlich Abteilungsleiter werden und versucht, hinten rum Dinge zu sabotieren oder absichtlich scheitern zu lassen. Find ich schon ziemlich armselig, was für ein Hauen und Stechen in Firmen abgeht.
  • Es gibt oft Meetings mit den gleichen Leuten zu den gleichen Themen, mit absolut NULL Mehrwert. Hauptsache man bekommt die Zeit rum.
  • Abteilungen reden nicht miteinander, eine Fachabteilung bestellt irgendeine Software, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob die IT das überhaupt betreuen kann.
  • Versprechen werden oft nicht eingehalten, selbst wenn es schriftlich festgehalten wurde
  • ...
Es gibt so viele Dinge, die meiner Ansicht nach in Unternehmen schief laufen, dass mir vor den nächsten 20 Jahren schon ein bisschen graut. Dinge wie KI, Homeoffice und Gleitzeit (habe angefangen, da war um 8.00 Uhr Arbeitsbeginn) haben mir persönlich das Leben leichter gemacht und ich hoffe, die nächsten 20 Jahren unbeschadet zu überstehen. Mein Plan ist aber, in den nächsten 2-4 Jahren zumindest von 40 auf 32 Stunden runterzugehen, ich kann mir nicht vorstellen, bis 67 40 Stunden die Woche so weiterzumachen.

Ich kann auch jeden unter 30 verstehen, der nicht so richtig Bock hat sich für die Arbeit aufzuopfern, zumal die Bedingungen, Gehälter und grundsätzlichen Zukunftsaussichten auch nicht wirklich besser werden. Was ich in den Jahren erlebt habe war vermutlich nicht außergewöhnlich, weil das viele so erlebt haben dürften, aber es hat mein Bild von der Arbeitswelt geprägt.

Jetzt interessiert mich natürlich, wie ihr das so seht und wie eure Erfahrungen sind/waren.
 
Hi,

ich habe jetzt so ca. die Hälfte meines Arbeitslebens rum, und muss zugeben, dass ich selber verwundert bin noch nicht resigniert zu haben.
Ich bin in einer vergleichbaren Situation, ich bin eher schon auf dem Weg ins letzte Drittel.

Und alles, was Du schreibst, kann ich nachvollziehen bzw. hab das auch selber so oder ähnlich erlebt.

Momentan geht es mir bspw. tierisch auf den Keks, dass persönliche Verantwortung sich hinter KPIs versteckt. Die höchste Ausprägung auf der nach oben offenen Bullshit-Skala ist für mit derzeit OKR. Agile und Scrum habe ich in den letzten 5-10 Jahren als komplette Fehlentwicklung erlebt. Wir haben damit die Produktivität der Entwicklung ungefähr halbiert - wenn man dazurechnet, dass gleichzeitig die personellen Kapazitäten erhöht wurden, ist das Ergebnis noch desaströser (gibts das?). :crack: Mittlerweile haben wir eigene Teams, die nur noch Jira-Tickets von A über B nach C schieben und monatliche Meetings abhalten um sie dann gemeinsam zu löschen.

Andererseits ist meine persönliche Situation einfach total gut: ich muss nicht mehr über jedes Stöckchen springen, weiß ziemlich genau, was ich kann und was ich nicht kann und verdiene ordentlich. Ich bin gesund, hab keine Schulden und muss nicht mehr jeder 20-jährigen hinterherhecheln. Meine Kinder sind erwachsen und leben ihr eigenes Leben bzw. sind auf einem guten Weg dahin und ich hab eine tolle, erfolgreiche Frau an meiner Seite.

Ich kann also (auch) im Job ziemlich gelassen agieren. Das, was ich meinen jüngeren Kolleginnen und Kollegen voraus habe, ist schlicht und ergreifend Berufs- und Lebenserfahrung. Und die ist auch das viele Geld wert, was ich bekomme: ich kann Aufgaben zielgerichteter und nachhaltiger (in der Regel auch schneller) lösen, weil ich viele Fehler einfach schon früher gemacht habe und daraus lernen konnte.

Ich hab einige ältere Kollegen, die kurz vor der Rente stehen, die ich sehr schätze und denen ich hoffentlich ein wenig nachfolgen kann: einfach unaufgeregt seinen Job machen. Wenn Interesse da ist, auch gerne Erfahrungen teilen, aber ohne das: "Hab ich schon immer gesagt, dass das so nichts wird" (was mir ehrlicherweise oft schwerfällt).

Mein erster Chef im Job hat mir zu Beginn meiner Karriere mal (sinngemäß) gesagt: "Ich find nicht alles gut, was Du machst und würde selbst vieles anders machen. Aber ich vertraue dir, dass Du das hinbekommst und ich muss nicht alles verstehen oder mich überall einmischen."
So will ich auch sein und versuch es zumindest jeden Tag wieder.


Blöde (und auch dumme) Kolleginnen und Kollegen findet man in jeder Altersklasse - die Jüngeren haben nur weniger Erfahrung, das zu kaschieren.
 
Kann ich alles so unterschreiben. :unterschreibe:
Habe vom Startup in goldenen Zeiten bis Weltkonzern alles durchgespielt. Ich wechsle jetzt zum soliden kleinen Mittelstand mit sozialer Verantwortung und spannendem Thema. Ich brauche wieder mehr Sinn in meiner Arbeit und weniger verlogene, heitere Instagram Welt. Weniger „Kriese“ wenn der Mrd. Umsatz 1% geringer als das Vorjahr hatte.

Das Alter bringt andere Prios mit sich. Und ich finde an vielen Prios immer mehr gefallen. Zieht rechtzeitig die Handbremse, der ganze Stress ist es nicht wert. Am Ende dankt es euch eh keiner.
 
kann das zwar nachvollziehen, ich kenne aber auch die unterschiedlichsten IT bereiche in den ein u. anderen (Groß)Firmen
deren Arbeitsabläufe u. -weisen
jedoch mit der Bezahlung, ich weiß nich ...

ich könnte ein mehrbändiges Buch schreiben aus dem Sicherheitsdienst seit '94 ;)
was glaubt ihr wie es da zugeht, ist:
Zustände! Gehalt! unbegründete Abmahung(en)

ja man muss es mögen, und gern machen, besonders im Sicherheitsdienst, und klar fast wie überall
ein derzeit aktueller freiwillig gezahlter Brutto Std.Lohn ist bei 15€ da normal

ich/man brauch/t aber auch keine 230-240 Std/Monat mehr um auf Netto ca 2400€ zu kommen
ab ca 200-210 Std/Monat arbeitest du hier 'nur' für den Staat, ist so

in einem Fall hatte man einen Volksfestbesucher das leben gerettet, eine Anerkennung von wem und wo kam nirgends ...
auch wenn es zur Aufgabe gehörte
zurück am Objekt regt sich einer auf weil man was unwichtiges vergessen hat in ein 'Protokoll' zu tippen ... :ROFLMAO:

PS: achso ja: ich hab' max. noch 10 Jahre
 
...und ich hoffe, die nächsten 20 Jahren unbeschadet zu überstehen...
Die nächsten 20 Jahre werden wohl nicht anders verlaufen. Ich muss noch 5 Jahre. Wichtig ist mir eine einigermaßen gesunde physische und psychische Verfassung. Ich habe zwar noch nie wirklich innerlich gekündigt (im Sinne Burnout) aber so Ansätze sind immer Teil meiner Arbeitswelt gewesen. Und trotzdem mein simples Motto: Der effektivste Weg, etwas zu tun, ist, es einfach zu tun. Und mir ist mittlerweile die Ignoranz von Kollegen/Kunden/Managern sowas von egal. So, jetzt muss ich weiter machen, Hektik vortäuschen - da kommt jemand...
 
Es gibt so viele Dinge, die meiner Ansicht nach in Unternehmen schief laufen, dass mir vor den nächsten 20 Jahren schon ein bisschen graut.
Ich bin ja als kleinerer Selbstständiger gewesen im Handwerksbereich mit anderen aber auch fraglichen Veränderungen konfrontiert, was aber ein anderes Thema ist.

Aber mein Bruder ist seit nach der Schule Allianzler, selbstständige Vertretung usw. Ist also über 4 Jahrzehnt bei dem Laden. Und früher hats ihm in der Summe Spass gemacht. Klar, die Kunden werden seltsamer im Anspruchsdenken oder selbst Zusammenhänge denken, aber viel Frust kommt eher von intern.

Das Ding mit noch einem Controller, noch einem Meeting und womöglich ein "Quality Managment Supervising from Coach-to Coach Supervisor"
was weiß ich..ist aber irgendwann satt umgekippt. Bürokratie und Mumpitz ist nicht nur ein staatliches Problem oder Syndrom..

Als Fallbeispiel meinte er mal, auch als lokaler Industrievertrags-betreuer in umfangreicheren Optionen, in etwa.
" Früher konnte ich nen Second-Level Spezialisten in einem Tag erreichen und hatte nachmittags die Fachinformation, und eine Antwort, ein Angebot für den Kunden.

Heute hingegen muss er sich beinahe ein Woche durch irgendwelche Leute wühlen, teils Azubis, Schlaumeier ohne Expertise etc. vereinfacht skizziert,
und hat nach ner Woche noch nix in Händen - für den Kunden. Der hat die Schnauze voll und zählt die Tage bis Ende.

Das kommt also nicht von ungefähr. Firmenstrukturen sind durchaus hinterfragbar in solchen Strukturen. Aber die, die aufräumen könnten, will auch niemand da vorort haben.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dabei ist es oft so, dass Leute bestimmte Sachen gar nicht abgeben wollen und man nicht als Kollege wahrgenommen wird, der einem Arbeit abnimmt, sondern als jemand, der einem Arbeit wegnimmt.
Kann ich in Teilen nachvollziehen ...

Ich war hier bspw. immer fuer eine gewisse Art von Arbeit vorgesehen, war der Erste hier in der Firma der sich das aneignen musste (allein) und seitdem staendig andere Leute darin ausbilden musste - die kurz darauf eh wieder weg waren. So ging jedes Projekt, was davon reinkam, an einen "Neuen" - damit der halt an einer sinnvollen Aufgabe lernen kann. Nachdem die dann alles in den Sand gesetzt haben, durfte ich den Saustall lauffaehig reparieren und so lief das dann jahrelang. Irgendwann hat man davon auch die Schnauze voll :) Mittlerweile hab ich zum Thema schon wieder mehr vergessen als ich je wusste, werd aber immer noch fuer Reparaturen und Notfaelle herangezogen.

Wenn man mal ne gewisse Zeit im Schuetzengraben gelegen hat, muss sich jemand Neues meist immer erstmal beweisen, bevor er auch in den Bunker darf. Ich hab hier in den letzten 10 Jahren so viele Pfeifen kommen und gehen sehen, Leute, die vor Selbstueberschaetzung nur so strotzten, mehr Geld fuer weniger Leistung bekamen, weil sie irgendwelche nutzlosen Akademischen Grade mitbrachten und eigentlich nur mehr kaputtmachten als sie geholfen haetten. Natuerlich gibt es Ausnahmen, aber die sind rar. Und im Endeffekt: Kaempft hier eh jeder fuer sich allein, daher sind mir persoenlich neue Kollegen erstmal nicht wichtig, sie aendern wenig. Im besten Fall erzeugen sie nicht noch mehr Arbeit.

Dinge wie KI, Homeoffice und Gleitzeit (habe angefangen, da war um 8.00 Uhr Arbeitsbeginn) haben mir persönlich das Leben leichter gemacht
KI macht mir Angst. Nicht, dass sie mich so schnell ersetzen wuerde, sondern ... wenn ich mir unsere Juniors hier anschaue, die jeden Shice in ne KI reintippen, weil sie allein nix mehr auf die Reihe bringen, graut es mir einfach nur noch. Selbst wenn hier Leute kuendigen schicken manche Abteilungsleiter schon ne "nette Verabschiedung" per Mail aus, bei der man an der ersten Zeile schon ChatGPT erkennt. Diese fortschreitende Verdummung durch Auslagerung der ganzen Tasks wird uns frueher oder spaeter das Genick brechen. KI hat durchaus seinen Nutzen in manchen Bereichen - ich mach nen Bogen drumrum solange ich kann. Ich muss teilweise in meiner Arbeit solche Dinge bauen, das reicht mir schon an Kontakt.

Homeoffice ... Ja. Find ich persoenlich gut. Und schlecht. Wie ich oben schrieb, kaempft man hier eh allein. Aber die halbe Mannschaft sinniert im Homeoffice vor sich hin, der Rest duempelt in nutzlosen Meetings durch die Gegend ... in Chats antworten Leute stundenlang nicht, am Telefon erwischt du sowieso keinen, 100% Arbeitskraefte sind mittlerweile die Minderheit, Leute gehen irgendwie 10 Wochen auf Urlaub, ... das alles macht Arbeiten so derartig anstrengend, dass ich es als mittlerweile eher als Fluch sehe. Natuerlich nett. Keine Frage. Viele nutzen dieses System aber einfach nur noch aus. Manchmal braucht man nen Einzeiler von nem Kollegen, um weiterarbeiten zu koennen. Da ist es wesentlich einfacher sich umzudrehen und ihn zu fragen, auch wenn er gerade passiv in einer Telko sitzt. Aber wenn der im Homeoffice einfach seinen Chat stundenlang ignoriert, weil er ja grad "konzentriert" arbeitet, haengst du. Teamarbeit kannst so fast vollstaendig knicken.

Ich bin generell in vielen Themen sehr zerrissen was meine Meinung betrifft. Natuerlich kann ich es verstehen, dass Heute die Work/Life Balance als sehr wichtig eingestuft wird. Aber unsere Laender hier sind die, mit der geringsten Arbeitsleistung pro Woche. Ja, ich weiss dass die Studien mittlerweile zeigen, dass Leute mit 4 Tage Woche produktiver sind als mit 5 Tagen und dass die reine Stundenanzahl nix aussagt. Alles klar soweit. Aber ... mit staendigen 50% Arbeitskraeften, Teilzeitlern, erschwindelten Bildungskarenzen & Co wirds irgendwann (ja, das dauert) auch Auswirkungen haben. Die Situation und den Wohlstand, wie wir sie jetzt haben, haben wir sicherlich nicht durch ne geile Work/Life Balance erreicht. Ich hatte mein Burnout 2020, und ich empfehl es keinem. Aber die Leute sind echt arbeitsscheu geworden.

Daher sag ich ja, zerrissen. Vielleicht ist es auch der Neid, der aus mir spricht, dass andere die Arbeit so derartig niedrig in ihrem Leben priorisieren koennen. Keine Ahnung. Auf jeden Fall ist man Heute echt der Depp, wenn man noch 100% arbeiten geht. Daher wird wohl auch mein naechstes Gehaltsgespraech nicht um Geld, sondern um Zeit gehen.

Da ich nebenbei noch eine eigene Firma gegruendet hab, wo ich noch nicht genau weiss, was ich damit eigentlich vorhabe, werd ich evtl. da mehr Zeit investieren. Wobei ein Angestelltenverhaeltnis durchaus seine Vorzuege hat. Selbst & Staendig ist ja auch nicht erstrebenswert.

Also wohl doch OnlyFans :crack:
 
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OnlyPants hab ich schon und das hosenlose Programmieren, wo die Webcam nicht ÜBER dem Tisch ist, läuft auch schon :crack:
 
Vielleicht ist es auch der Neid, der aus mir spricht, dass andere die Arbeit so derartig niedrig in ihrem Leben priorisieren koennen. Keine Ahnung. Auf jeden Fall ist man Heute echt der Depp, wenn man noch 100% arbeiten geht.
mmmh. Ich würde da sehr gern sehr viel zu schreiben - mache ich morgen eventuell.
Nur so viel - es gibt wirklich viele Beispiele, in denen Menschen bewusst wird, dass der Job nicht alles ist.
Auf einen meiner ehemaligen Vorstände ist vor einigen Jahren mal ein Mordanschlag verübt worden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Konkurrenten um seine Position. Als er im Rettungshubschrauber gelegen hat und nicht wusste, ob er das überlebt war sein Gedanke nach eigener Aussage nicht "hätte ich mal mehr gearbeitet". In diesen Sekunden hat er bereut, sich nicht mehr um seine Familie gekümmert zu haben.

Ich arbeite seit 25 Jahren in Großkonzernen und da sind wirklich viele Menschen unterwegs, die außer ihrem Job, ihrer Position und der damit verbundenen Kohle nichts im Leben haben. Und wenn irgendwas davon wegfällt - die Position zum Beispiel - dann fallen die in so ein tiefes Loch, dass sie versuchen, sich umzubringen. Ja, das habe ich in meinem Job schon erlebt.
Auch Menschen mit mehreren Hunderttausend Euro Verdienst, die heulend im Aufzug stehen und meinen, sie kommen mit ihrem Job nicht klar.
Bei denen ich denke, kündige doch einfach und such dir einen Job, der weniger nervt. Verhungern wirst du nicht.
Es muss nicht mal so dramatisch sein. Eine Arbeitskollegin ist in Rente gegangen und war völlig panisch, weil sie nicht wusste, was sie nun machen soll.
Da denke ich mir, hattest du vorher kein Leben?

Ich persönlich mache meinen Job Super gern und auch wirklich gut, das darf ich in aller Demut von mir behaupten.
Aber er war nie und ist nie das Wichtigste in meinem Leben gewesen.
Karriere wollte ich nie, selbst Karrierestufen sind mir wumpe. Da passe ich quasi trotz guter Arbeit bei vielen nicht ins Konzept.
Jetzt gönne ich mir eine mehrjährige Teilzeit, weil meine Frau und ich uns es leisten können, dass ich nur 50% arbeite und meine Frau seit Jahren gar nicht mehr. Auch da ist man quasi ein Fremdkörper in so einer Firma.
Ich arbeite seit 37 Jahren, da habe ich mir die Auszeit verdient und hatte sie auch bitter nötig. Und viele haben da wenig Verständnis, sind aber absolut neidisch, wenn ich um 14 Uhr Feierabend mache.

ABER: Gesundheit, Lebenszeit, Lebensqualität, sinnvolle (ehrenamtliche) Tätigkeiten, Anderen Gutes tun, Zeit und Kraft für Hobbys - das ist es mir wert, jahrelang auf viel Geld zu verzichten. Gerade gesundheitlich habe ich es viele Jahre übertrieben und trage jetzt die Quittung davon.
Und in so Großkonzernen ist es eh NIE genug.
Du hast 15 Top Projekte gleichzeitig? Hey, super, bitte übernimm noch Themen von anderen, die das nicht gebacken kriegen.
Du machst jede Woche freiwillig Überstunden? Spitze, aber Freitags um 16 Uhr mal offline gehen geht trotzdem nicht.
Da habe ich einfach mal die Reissleine gezogen und mein Chef durfte 2 Berater einstellen, die meine entfallene Arbeitszeit ausgleichen.

Wie gesagt, ich mache meinen Job im IT Management super gern - aber er definiert weder mich noch ist er besonders wichtig in meinem Leben.
 
Frueher oder spaeter wird das Konstrukt, so wie es jetzt ist, in sich zusammenbrechen. Ich bin durchaus bei dir, dass die Arbeit grundsaetzlich nicht das wichtigste im Leben sein sollte - und dennoch definiert sich der Mensch hauptsaechlich darueber und geht zu Grunde, wenn er keine sinnvolle Aufgabe im Leben hat.

Ich red da jetzt nicht von Leute in ihren 50igern ... Wir haben GenZler, die frisch von der Uni kommen und schon nur noch Teilzeit arbeiten.

Wenn du das Ganze in so ne kleine Abteilung wie meine runterbrichst, in der derzeit 15 Leute arbeiten:
Einer ist 100% Homeoffice, drei ist 50% Homeoffice, der Rest spontan, Freitags ist sowieso kein Mensch da, einer arbeitet alle paar Monate fuer einige Monate von Australien aus, einer verlaengert durch Homeoffice seinen jaehrlichen Spanienaufenthalt stets auf 6 Wochen, einer arbeitet nur Mi-Fr, einer Arbeitet nur Mo-Do, zwei arbeiten nur bis Mittags, die Teilzeitler bauen dann Ueberstunden in Rekordzeit auf und sind dann 2-3 Monate durchgehend auf Urlaub, staendig geht wer auf Bildungskarrenz, Elternkarrenz (wobei die noch klargeht), ... Der Aufwand mittlerweile, dass du ueberhaupt Termine findest wo die benoetigten Teilnehmer alle gleichzeitig Zeit haben UND generell da sind ist abartig.

Du hast ein Problem, brauchst Kollege X es ist Montag 15:30 Uhr? Pech gehabt ... der ist erst Mittwoch wieder im Einsatz.
Eventuell wuesste Kollege Y auch was zum Thema? Joa, der sitzt bis 18 Uhr noch durchgehend in Besprechungen und ignoriert den Chat.

Da faengst du innerlich echt verzweifeln an. Und dich aergern.

Irgendwann wars mal so, dass man ab ner gewissen Gehaltsstufe auch ne gewisse Verantwortung mitbekommt. Das hat sich komplett geaendert. Dieses "Du kaempfst und stirbst allein" hat mich unter anderem auch zur eigenen Firma befluegelt. Denn man stellt sich schon die Frage, wozu man ueberhaupt Kollegen hat/braucht, wenn man dann am Ende ja sowieso alles allein machen muss. Das hab ich damals auch so meinem Chef hier kommuniziert, als 6 von 6 Aufgaben eines Projekte (also alles von A-Z) an mich uebertragen wurden. Das ist ja heute das Tolle, wenn du deine Arbeit gut machst, bekommst du als Belohnung noch mehr Arbeit :)

Im uebrigen haette ich auch ca. 12 Millionen Hobbys und Nebentaetigkeiten, also dass ich mich rein ueber meine Arbeit definiere und nur das im Leben haette ist so wirklich nicht der Fall. Das Problem ist, dass irgendwer herhalten muss. Es kann nicht JEDER nur noch 50% arbeiten. Ein paar so arme Trottel wirds leider immer brauchen, die das Konstrukt laenger aufrecht erhalten als es gut ist ...

Zu guter Letzt: Das muss man sich natuerlich auch leisten koennen, weniger zu arbeiten.

Nur, wenn eine Firma nun statt einer 100% ploetzlich zwei 50% Kraefte benoetigt (die schon nicht mehr den gleichen Output haben), dann darf man sich auch irgendwann nicht aufregen, wenn sich das in den zu zahlenden Preisen niederschlagen wird.
 
Ich beneide immer diese Modedesigner, Schafzüchter oder Oldtimer-Restaurierer, die behaupten, sie hätten ihre Berufung gefunden und ihr Hobby zum Beruf gemacht. Sie sagen, dass sie ihre Tätigkeit nicht als Arbeit ansehen, sondern als ihren Lebensinhalt. Ich glaube ihnen das nicht. Vielleicht hinterfragen sie das gar nicht weiter oder legen sich ein selbsttäuschendes Konstrukt zurecht.

Ich grüße alle, die sich jeden Morgen mit dem Signalton des Weckers in die Lebenszeitverschwendung begeben müssen.
 
@Dextera ich kann das alles bestätigen, was du schreibst. Das ist alles genau so auch in meiner Firma.
Ich habe für all dass auch keine Lösung. Zumindest keine allgemein Gültige.

Ich kann nur für mich sprechen - ich habe mein Leben so geplant, dass ich irgendwann mal eine längere Auszeit oder Teilzeit nehme und das ist jetzt.
Das habe ich mir jahrzehntelang durch echt harte Arbeit verdient.
Und ich sehe täglich Menschen, die nichts außer ihrem Job haben und das ist einfach wirklich traurig.

Jeder Fan des Films "Der Club der toten Dichter" kennt dieses Zitat:
Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben; intensiv leben wollte ich. Das Mark des Lebens in mich aufsaugen, um alles auszurotten was nicht Leben war. Damit ich nicht in der Todesstunde inne würde, daß ich gar nicht gelebt hatte.
Henry David Thoreau
 
Das ist ja heute das Tolle, wenn du deine Arbeit gut machst, bekommst du als Belohnung noch mehr Arbeit :)
Das ist nicht nur heute so, das war schon immer so und wird auch immer so bleiben.

Und das Allerbeste daran: Wenn du irgendwann von den 200% Pensum was man dir aufgebrummt hast nur noch 190% schaffst bist du der Depp der seinen Job nicht geregelt bekommt während der Kollege der sich schon immer mit seinen 50% die Eier schaukelte der Held ist. Nirgendwo sonst ist der Spruch "Undank ist der Welt Lohn" wahrer als in der Arbeitswelt.

Außerdem gilt in der Arbeitswelt das leicht abgewandelte Motto der 3 Musketiere: "Einer für alle, Alle gegen einen."
 
sie hätten ihre Berufung gefunden und ihr Hobby zum Beruf gemacht
Ich bezweifle, dass es das wirklich gibt. Ich erstelle gerne z.B. 3D Modelle, aber da ich die Idee, die Kontrolle und die Zeiteinteilung, die ich möchte. Und wenn ich keine Lust mehr habe, hör ich auf. Zeitdruck gibt es nicht. Als Angestellter würde ich das gar nicht machen wollen, und als Freelancer ebenso wenig. Die Möglichkeiten, die man momentan noch hat, sind seine Modelle online anzubieten und pro Modell und Verkauf 3,50 zu bekommen. Naja, vermutlich eher 35 Cent, aber immerhin. Nur diese Option wird natürlich komplett durch KI vernichtet, genauso bei Musik, Bildern und Texten. Letzten Endes wars aber eh schon lange vorbei, weil man natürlich gegen die ganze Welt antritt.

Und alles andere was ich gerne mache mache ich ja vor allem genau deswegen, weil mir keiner bei irgendwas dazwischenredet und im Grunde gar kein Ziel habe, außer eben besser dabei zu werden. Sobald ich damit Geld verdienen muss, ist das vorbei, egal ob als Angestellter oder als Freelancer. Als Freelancer hast du oft nur den Vorteil, dass du dich mit dem ganzen firmeninternem Geschiss nicht rumärgern muss, und wenn das Projekt fertig ist, du wieder abhauen kannst.

Und wenn du dann als Schafzüchter arbeitest, ist z.B. das Thema Wolf eins, was einem vorher egal, oder muss sich durch irgendwelche bürokratischen Auflagen plagen. Und ja, es gibt natürlich mehr Jobs als Schafzüchter und 3D Designer, aber die beiden seien nur mal exemplarisch genannt.

Was ich mir vorstellen könnte, und der Bedarf ist ja offenbar da, Kommunikationstraining für kleinere Teams oder Firmen anzubieten. Selbst mit meinem bescheidenen Skills bin ich so manchem haushoch überlegen, und das krieg ich immer wieder mit. Oder mal die firmeninterne Dokumentationen auf Vordermann zu bringen. Kommunikation und Dokumentation, brauchen alle, hat aber keiner. Da ergibt sich der Firmenslogan quasi von selbst. :)
 
Ich hab 10 Jahre Nebenberuflich als Photograph gearbeitet. Das hat mir das Hobby komplett ruiniert :) Ich kauf zwar laufend das neueste Equipment - aber ich nutz es nicht mehr. Sobald man ein Hobby zum Beruf macht, hat man kein Hobby mehr. Es wird zum Muss - und damit verliert man irgendwann die Lust dran.
 
Dex, alter Knabe, Du scheinst mir einer von der eher melancholischen (um nicht zu sagen „depressiven“) Sorte zu sein.
Ich glaube ja nicht an Psychotherapien und so … daher ein paar wohlfeile Ratschläge vom Deinem geschätzten Mitfloristen Bärry:
Geh mehr an die frische Luft, gern Sport im Freien, auch Kraftsport, immer abwechselnd und besorg Dir ein paar Gespielinnen zum regelmäßigen. … ähm … Du weißt schon … dann sieht die Welt, auch die Arbeitswelt, vielleicht anders aus. ;-)
 
Ah was, Programmierer muessen das Tageslicht meiden und n bissl Depri sein ... wuerd ja sonst draussen die weite Welt entdecken. Touching Gras ist so 2024 :shame:

Das Wort, dass du suchst, nennt sich "Weltschmerz" :crack:
 
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