Hat irgendein Kunde mal verlangt, dass ihr eure Qualifikationen offen legt?
Da kann jeder nur von eigenen Erfahrungen berichten. Wer nur für sich auftritt, sollte zumindest bei Rückfragen entsprechend darüber Auskunft geben können, aus welchem Fachbereich die fachlichen Qualifikationen für ein bestimmtes Projekt hervorgehen. Das gehört in meinem Wirkungskreis (u. a. Dokumentation und Werbung im Gesundheitswesen) genauso zum Vorstellungsritual, wie das Überreichen der Visitenkarte für den potentiellen Kunden und die Vorstellung des Unternehmens auf einen Auftrag bezogen.
Ein einfaches "Hallo, hier sind wir. Schauen Sie sich unsere Referenzen an! Das sollte doch reichen!" ist unseriös, denn ich spreche über den Kontakt mit Krankenhaus- oder Klinikleitung und dort geht es konservativ zu, wie in großen Unternehmen üblich. Der Umgang mit Werbeagenturen ist anders, aber konservativ ist wieder IN bzw. war nie OUT.
Als unser Videostudio im Rahmen einer Mitgliedstätigkeit Aufgaben übernahm, wollten Kunden und andere Mitgliedsunternehmen durchaus wissen, wer wir sind, was wir leisten und wer dafür verantwortlich ist. Unternehmen, die selbst durch Prozesse der ISO-Zertifizierung gebunden sind, die gegenüber Krankenhäusern und Kliniken gewährleisten müssen, selbst im Streikfall die Versorgung aufrecht zu erhalten. Solche Unternehmen, die ISO-Zertifikate sammeln wie andere Leute Briefmarken, machen das nicht zum Privatvergnügen sondern weil es im Gesundheitswesen vorgeschrieben ist, für bestimmte Dienstleistungen über anerkannte Zertifikate zu verfügen.
Was auf den ersten Blick aussieht, wie ein Blatt Papier, kann im Fall eines Arbeitnehmerstreiks dazu führen, das ein Krankenhaus nicht mehr mit Wäsche und OP-Material versorgt wird, falls dieses bestimmte Zertifikat beim Anbieter fehlt. Als Folge käme ein Schaden in Millionenhöhe zum Tragen und daher schauen Unternehmen, die einer heiklen Branche tätig sind auch genau hin, wenn sie Mitarbeiter rekrutieren oder Subunternehmen. Ja, man landet als Bewerber genauso auf dem Leuchttisch, wie die OP-Textilien, die beschädigt sind. Wer die Qualifikationen nicht mitbringt, wird direkt entsorgt. Wir hatten damals durch unsere Referenzen die Einstiegsmöglichkeit zur Mitarbeit, da wir in den 90er Jahren Wirtschaftsfilme über Medizintechnik produzierten. Doch unsere Qualifikationen waren bei der Bewertung im Verband ebenso wichtig, denn es geht um viel Geld und Verantwortung. Schließlich kann bei einer OP keine Szene wiederholt werden, nur weil der Kameramann sein Handwerk nicht gelernt hat und sich später als Autodidakt gegenüber der Klinikleitung outet, die dafür haftet, das alles seriös zugeht.
Es kommt eben auf den Einsatzbereich ein. Wer Prospekte gestaltet und drucken lässt, wird sicher nicht nach seinem Diplom gefragt, aber in Preisverhandlungen ist Qualifikation durchaus ein messbarer Faktor. So wird ein Schüler, der 20 Euro Stundenlohn erwartet, von mir belächelt. Als Auftraggeber bin ich frei in der Wahl der Preisgestaltung und sehe bei Schülern keine Qualifikation, die mehr als 5 Euro rechtfertigt. 20 Euro würde nicht mal ein Mediengestalter von mir erhalten, denn der Stundenlohn eines Assistenzarztes im 1. Jahr liegt bei 13,00 Euro und dafür hat er 6 Jahre studiert. Es ist sehr einfach, bei ungelernten Hilfskräften (was jeder Autodidakt ist, wenn er über keine beruflichen Qualifikationen verfügt) die Preise zu drücken, ohne das man rot wird.
Dem gegenüber entspricht es den Erwartungen der Kunden, von einem Meisterbetrieb auch Meisterpreise zu erhalten. Auch dort wird man feilschen, aber im Rahmen gegenseitiger Erwartungen. Wogegen der Hilfsarbeiter froh sein muss, wenn er mit einem Auftrag bedacht wird.
Ich möchte das nicht verallgemeinern, aber wer qualifiziert ist, tritt einfach sicherer auf und der Handlungsspielraum eines Auftraggebers, wenn es um den Endpreis geht, hat gewisse Grenzen, die beim ungelernten Anbieter von Beginn an weg fallen. Mit der Grund, weshalb Schüler, Prakikanten und Studenten mitunter schamlos ausgebeutet werden, weil sich nicht mehr haben, als sich selbst und ihre Ideale. Doch das hat im Berufsleben keine Bedeutung, denn wer als Arzt abrechnen möchte, muss Arzt sein!
Wir machen uns die Ideologen zu nutze, die für ein Butterbrot ihr Können verschenken, denn daran können wir noch verdienen und jede Seite ist zufrieden. Die, die auf Ausbildung verzichten, weil sie es toll finden, ausgebeutet zu werden und die, die nach traditionellen Regeln leben und wirken und den Erwartungen gerecht werden, die renommierte Unternehmen von ihren Mitarbeitern, Partnern und Kunden haben. Solange Schüler für 400 Euro Webseiten auf die Beine stellen, die Agenturen und Studios für das Achtfache verkaufen können, pflegen sie die Ideale derer, die mit offenen Augen schlafen und bestärken die Schüler, für eine gute Sache zu arbeiten. Für ihre und unsere gute Sache. Jeder muss selbst wissen, was er macht. Wer im Leben was ereichen möchte, muss sich Prüfungen stellen - dazu gehören Schule, Ausbildung und Studium ebenso, wie der Wettbewerb um Kunden. Nur wer Prüfungen erfolgreich absolviert, beweist den Biss, den ein Unternehmer auszeichnet.
Vom Kinderzimmer in die Chefetage ist ein Wunsch, den viele haben, aber nur sehr wenige realisieren. Ein Blick in die Suppenküche und einen Blick in die Vorstandsetage eines Unternehmens offenbart, das jeder mal Schüler war. Aber der, der im Vorstand sitzt, ist den schweren Weg gegangen, hat auf vieles verzichtet, um zu lernen und sich ständig Prüfungen unterzogen, um weiter nach oben zu kommen - in der Pyramide unserer Leistungsgesellschaft!
Auch ein Grund, weshalb sich Qualifikationen lohnen:
https://www.macuser.de/forum/showthread.php?p=2948944#post2948944
- Sterling