Gesellschaft Helmut Kohl

Ich bezweifle, dass eine solche Sehnsucht nach "bessere Zeiten" das Volk ergriffen hat. In meinen Augen versuchen die politischen Erben Kohls die zu pushen: CDU/CSU, Juncker, Bildzeitung.

Das passt auch grade in die Stimmung, nicht nur wegen Brexit und anderen EU-Problemen, auch wegen dem schon angelaufenen Bundestags-Wahlkampf in Deutschland.

Diese Gedenkfeiern sind ja auch nicht dazu da, uns das Leben des Verstorbenen vor Augen zu führen. Sie dienen als Selbstvergewisserung der Gemeinschaft, in der Tote zu Lebzeiten eine tragende Rolle eingenommen hat. So was stärkt das Wir-Gefühl und letztlich die nationale Leitkultur. Grade die Konservativen vermissen so was ja.

Wenn ich an die 90er und Kanzler Kohl denke, würde ich mir diese dumpfe Zeit auf keinen Fall zurückwünschen. :sick:
 
Unverständlich ist der völlig überzogene mediale und politische Hype – ist das so schwer zu verstehen ?

Die Sehnsucht nach stabileren Zeiten ist nachvollziehbar und legitim.
Ich bezweifle aber, dass die Politheuchler und angeblichen Kohlfans die Steuersätze jener Zeit wieder einführen wollen. Oder habe ich da was verpasst ?
Und wenn Leute trauern wollen ist das natürlich auch völlig in Ordnung.

Aber die Instrumentalisierung Kohls nervt mich mächtig an.
Ein ätzendes Schmierentheater was vortrefflich wieder von wesentlichen Dingen ablenkt.
 
JDieses (Zerr-)Bild bekommt noch mehr Gewicht durch Kohls stämmige Erscheinung und seine legendäre Fähigkeit, Probleme durch reines Aussitzen aus der Welt schaffen zu können.

Das kann Merkel doch auch recht gut. Und sollte sie die Wahl gewinnen (worauf ja alles hindeutet) hat Sie die allerbesten Karten ihren politischen Ziehvater in Sachen Regierungszeit auch noch zu übertreffen. Wobei ich Merkel für eine wesentlich anständigere Person als Kohl halte.
 
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Wobei ich Merkel für eine wesentlich anständigere Person als Kohl halte
Mit dem, was man unter "Anstand" versteht, kommt man im politischen Geschäftsleben nicht weit. Kohls Persönlichkeit wurde schon häufig beschrieben, zu seinen hervorstechenden Eigenschaften gehörte ein ausgeprägtes Freund/Feind-Denken und eine enorme Empfindlichkeit gegenüber Kritik. Die nahm er oft persönlich. Gleichzeitig legte er großen Wert darauf, als Staatsmann mit historischen Leistungen in die Geschichtsbücher einzugehen.

Bei Merkel dagegen sehe ich diese Neigung zur Überhöhung der eigenen Person nicht. Ihre politischen Entscheidungen sind fast immer kühl kalkuliert. Ihr Privatleben, in dem man ihren "Anstand" erkennen könnte, schützt sie - anders als Kohl - konsequent vor Einblicken. Kohl hat seine Frau und seine Söhne häufig für öffentliche Inszenierungen eines angeblich harmonischen bürgerliche Familienlebens ausgebeutet.

Eigentlich sind beide, Kohl wie Merkel, unanständig. Das kann aber auch nicht anders sein, weil auch das Wahlvolk keinerlei Anstand hat. Dem geht es in der Mehrheit auch nur um das eigene Wohlergehen. Im Vergleich dazu scheint Merkel immerhin noch so etwas wie einen ethisch-moralischen Kompass zu haben, dessen Richtung man ab und zu wahrnehmen kann. Wo der aber mit den Erwartungen des Wahlvolkes in Konflikt gerät, wie bei der "Flüchtlingskrise", gewinnt immer das Wahlvolk die Oberhand.
 
Wenn ich an die 90er und Kanzler Kohl denke, würde ich mir diese dumpfe Zeit auf keinen Fall zurückwünschen. :sick:

Drei Finanzkrisen kurz hintereinander (einmalig in der Geschichte), NSA-Skandal (auch beispiellos und äußerst bedrohlich), Terror in Europa, zunehmende soziale Ungleichheit (auch der Neoliberalismus war eine Zäsur), die Aushöhlung von Grundrechten und die akute Gefährdung der Privatsphäre (letztendlich die Infragestellung der ersten, grundlegenden Artikel des GG), "Globalisierung", und so weiter - das ist vielen Leuten überhaupt nicht egal. Selbst wenn sie das ein oder andere Problem nicht benennen können und erst recht nicht die Zusammenhänge kennen, und selbst wenn sie aus Unkenntnis oder Angst Lösungen dort suchen, wo eher eine Verschärfung droht ("Wieso wählen die dann ausgerechnet Trump?"): Wir haben es heute mit Problemen von ganz anderem Kaliber zu tun als noch in den 90ern. Die Veränderungen spüren alle, und sie erzeugen Stress, Angst und Frust. Das hat zwar nichts mit Helmut Kohl zu tun, aber hier ging es ja um die Frage, warum jetzt dieser Kohl-Zirkus veranstaltet wird. Die Menschen verbinden mit Kohl einfach Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung war (was sie - relativ betrachtet - auch war) , der Mann taugt einfach als ideale Projektionsfläche. Das ist jetzt also eher so eine assoziative Nummer.

Dass der Kohl-Mythos jetzt von Dieckmann & Co. dankbar aufgegriffen wird, um die politische Stimmung zu beeinflussen, wundert mich nicht. Ist eben ne gute Gelegenheit.
 
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Das hat zwar nichts mit Helmut Kohl zu tun, aber hier ging es ja um die Frage, warum jetzt dieser Kohl-Zirkus veranstaltet wird. Die Menschen verbinden mit Kohl einfach Zeiten, in denen die Welt noch in Ordnung war (was sie - relativ betrachtet - auch war) , der Mann taugt einfach als ideale Projektionsfläche.
Vor eineinhalb Jahren ist Helmut Schmidt gestorben, da gab es dieses Brimborium nicht. Auch nicht bei Brandt, der als Staatsmann um Frieden und Völkerverständigung in Europa nicht weniger Verdienste hat als Helmut Kohl. Die öffentliche Inszenierung von Kohls Tod entspricht seiner Selbstinszenierung zu seinen Lebzeiten. Ich gehe davon aus, dass beide von ihm genau in dieser Richtung beabsichtigt waren.

Die Feierlichkeiten geben vor, den europäischen Gedanken zu würdigen und Kohl als europäischen Staatsmann – in meinen Augen ist das spießbürgerlich-konservative Pomp- und Prachtentfaltung. Ich bezweifle, dass die einem breit in der Bevölkerung vorhandenen Sehnsucht nach den Zeiten entsprechen, als "die Welt noch in Ordnung" war. Im CDU-Milieu mag das so sein, grade weil dort nationalkonservative Orientierungpunkte heute schmerzlich vermisst werden. Aber viele andere haben Kohl als politische Dampfwalze erlebt, seine Ära als "bleierne Zeit". Und selbst im unpolitisch-konservativen Kleinbürgertum wurde ihm schwer übelgenommen, wie er seine Frau Hannelore behandelt hat und mit seinen Söhnen umgegangen ist. Das wirkt bis heute nach – seine Frau war im Gegensatz zu Kohl eine ausgesprochene Sympathieträgerin.

Zusammen mit seiner Rolle in den Parteispendenskandalen hat das hat letztlich dazu geführt, dass Merkel ihren Ziehvater Kohl gegen dessen massiven Widerstand auf's Abstellgleis schieben konnte.

Die Person Kohls ist meiner Ansicht nach keineswegs so unumstritten, wie sie jetzt inszeniert wird. Und da nutzen seine Freunde und Schergen eben aus, dass man Toten keine Kritik nachrufen darf.
 
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Auch das zeigt, wie kleinbürgerlich dieser Mann dachte und wie nachtragend er war – noch über den Tod hinaus.
Das erinnert mich fatal an die eingeschnappte Protagonistin Killary, deren nachtragendes Wesen ebenso kränkelnd ist. :D
 
(...) Und da nutzen seine Freunde und Schergen eben aus, dass man Toten keine Kritik nachrufen darf.

Seine „Schergen“ finde ich unpassend.

Kohls Tod wird eben mit dem Europa-Gedanken verbunden, er hatte den ja eindeutig mit-geprägt,
und Europa ist sowieso das Top-Thema. Also wird das ganze Pro Europa inszeniert. Das ist von den
Staaten so gewünscht und warum soll man das dann nicht machen.

Eine Gelegenheit, sich einmal in Ruhe ohne riesige Auftragsbücher zu treffen. Kann nicht schaden, oder?
 
Also wird das ganze Pro Europa inszeniert. Das ist von den
Staaten so gewünscht und warum soll man das dann nicht machen.
Ob dieser prunkvolle EU-"Trauerakt" von den EU-Staaten tatsächlich so gewünscht wurde, lässt sich nicht nachvollziehen. Die Idee stammt von Junker, angeblich aus dem Hause Kohl an ihn herangetragen. Junker soll sie ohne Absprache an die Öffentlichkeit gebracht haben. Kein Staat würde danach Bedenken vortragen.

Diese ganze Inszenierung ist so relevant wie Inszenierungen eben sind. Es gehört zum politischen Geschäft, solche Gelegenheiten auch parteipolitisch auszubeuten. Geschmack spielt dabei keine Rolle, es ist ja für's große Publikum.

Und was den Ausdruck "Schergen" angeht, an dem du Anstoß nimmst: Kohl hat meiner Ansicht einige an sich gebunden – mit "Bimbes"*, wie er es selbst nannte, ich hab's schon erwähnt. Er war nicht nur ein großer Vertreter der europäischen Idee, sondern auch ein großer Machtpolitiker.


* Wirtschaftslexikon: "Das Wort Bimbes, deutschlandweit berühmt geworden durch den Parteispendenskandal der CDU, stammt aus dem Rotwelschen, also aus der Sprache der Gauner. (…) Die Urbedeutung vom Bimbes ist Brot, aber auch Geld oder Prügel. In bestimmten Regionen, wie der Pfalz, versteht man unter Bimbes vor allem Bargeld."
 
Die Fettkugel geht mir am Hintern vorbei.
 
Vor eineinhalb Jahren ist Helmut Schmidt gestorben, da gab es dieses Brimborium nicht.

So ein Brimborium nicht, aber Schmidts Amtszeit ist ja auch länger her. Kohls Amtszeit haben alle Enddreißiger noch bewusst miterlebt; um sich an Schmidts Wirken erinnern zu können, muss man schon 50+ sein. Und es waren eben ruhige, stabile Zeiten, dazu noch mit dem Highlight Mauerfall und Wiedervereinigung. Man liest die Nachricht vom Tod Kohls und hat "Wind of Change" von den Scorpions im Kopf. Kohl wird damit natürlich mehr Ehre zuteil, als ihm zusteht - die eigentliche Schlüsselfigur war Gorbatschow, und auch die Bürgerrechtsbewegungen in der DDR haben wohl einen größeren Beitrag geleistet als Kohl. Aber viele Menschen verbinden die aufregende Wendezeit (auch) mit ihm, er trägt das Label "Einheitskanzler". Daran knüpft Juncker an, nicht ganz zu Unrecht, da Kohl ja tatsächlich der Meinung war, dass das wiedervereinigte Deutschland nur in einem vereinten Europa seinen Platz finden könne. Eine gute Vorlage für Europa-Werbung - auch wenn das alles schrecklich ahistorisch ist und natürlich nach Instrumentalisierung riecht. Ich find's eigentlich auch eher schlimm.
 
Ja genau. Gegen 20 Uhr hat Kohl dann gar nichts mehr damit zu tun. Ist das schlecht hier. Bin raus.
 
Die Fettkugel geht mir am Hintern vorbei.
Frage mich bei solchen Postings immer was für eine Person das wohl ist hinter dem schönen Internet Avatar und ob diese Person auch real den Mumm hat so mit seinen umgebenden Personen (Chef, Kollege, Freunde...) um zu gehen - oder ob sowas nur unter dem Deckmantel der Anonymität funktioniert...

Ich sehe sehr viel an Kohl politisch und menschlich sehr kritisch. Man muss ihn auch nicht mögen. Aber solch plumpe Beleidigungen ...
 
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Gegen 20 Uhr hat Kohl dann gar nichts mehr damit zu tun.
Zwischen "der grösste Europäer aller Zeiten" und "Vater der Wiedervereinigung" auf der einen Seite und "hat nichts damit zu tun" auf der anderen Seite gibt's noch eine Menge Zwischentöne. Noch liegt die Ära Kohl nicht lange genug zurück, als dass eine vernünftige und sachliche Debatte über seine wirklichen Verdienste möglich wäre.

Ich bin alt genug, um diese Vorgänge von Kohls Oppositionszeit über seine Wahl zum Kanzler und seine Abschiebung als politisch engagierter Mensch miterlebt zu haben. Ich habe noch zig Bilder von ihm im Kopf und seine Stimme im Ohr, mitsamt den ganzen Worthülsen und Begriffscontainern, die er ständig benutzt hat. Da kann ich unmöglich in die Gesänge über seine Lobpreisung und Seligsprechung einstimmen.
 
Da kann ich unmöglich in die Gesänge über seine Lobpreisung und Seligsprechung einstimmen.

Muss man auch nicht.
Soll man auch nicht...
Sonst gäbe es keine demokratische Opposition.
Man sollte ein gewisses Niveau jedoch bei allen hitzigen Debatten beibehalten. Ich meine aber nicht Dein Posting nun damit.
 
Frage mich bei solchen Postings immer was für eine Person das wohl ist hinter dem schönen Internet Avatar und ob diese Person auch real den Mumm hat so mit seinen umgebenden Personen (Chef, Kollege, Freunde...) um zu gehen - oder ob sowas nur unter dem Deckmantel der Anonymität funktioniert...
Chef hab' ich e keinen. Das ist nur was für Sklaven und ja, Fettkugel würd' ich den auch in Gegenwart von Freunden(innen) nennen. Ist doch nur ein Politier. Das ist im gegenwärtigen Zeitalter der letzte Abschaum.
 
Chef hab' ich e keinen. Das ist nur was für Sklaven und ja, Fettkugel würd' ich den auch in Gegenwart von Freunden(innen) nennen. Ist doch nur ein Politier. Das ist im gegenwärtigen Zeitalter der letzte Abschaum.

Da lästere noch jemand über die Amerikaner und ihre ganz besonderen "Eigenschaften". Mich beschleicht das Gefühl, Trump ist auch hierzulande möglich.
 
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