Ich finde nicht, dass ich das muss. Die politischen Entwicklungen sind mE von weit mehr Faktoren abhängig als nur von ökonomischen.
Jaja, das mag schon sein. Aber es ist schon irgendwie schräg, aus der Tatsache, dass viele Faktoren eine Rolle spielen, zu schließen, dass man einen davon - und dazu noch einen der ganz zentralen - nicht beachten muss.
Diese Ungereimtheiten habe ich in meinem vorigen Beitrag selbst erwähnt – allerdings als Beleg dafür, dass sämtliche ökonomische Ideengebäude nicht so zuverlässig sein können, dass sie unstrittige Grundlage für politisches Handeln oder Nichthandeln in derart existentiellen Fragen wie der Klimaveränderung sein können.
Darin liegt mE ein Fehler, nämlich die Annahme, dass die Existenz so vieler unterschiedlicher Richtungen beweist, dass keine davon richtig ist (im Sinne einer weitgehend zutreffenden Beschreibung des Wirtschaftsgeschehens im Kapitalismus).
Ich bestreite ja deine Analyse, wie gesagt, nicht, halte diese Diskurse auch für wichtig – aber nicht unbedingt für die einzig denkbare politische Entwicklung der nächsten 50 Jahre. (Deswegen meine Frage an dich, wie du den chinesischen Staatskapitalismus und seine Möglichkeiten einer Transformation einordnest.)
OK, China. Gut.
Mich würde interessieren, wie du den chinesischen Weg in dein Gedankengebäude einordnest. Als Kapitalismus westlicher Prägung kann man den ja nicht bezeichnen, eher als autoritären Staatskapitalismus. Es sieht so aus, als sähe die chinesische Führung durchaus die Folgen der Klimakatastrophe. Ihre Strategie scheint zu sein, gesellschaftliche Auseinandersetzungen mit totaler Kontrolle über die Bevölkerung zu verhindern und das Militär aufzurüsten, um die eigene politische Handlungsfreiheit sowohl nach innen als auch nach außen abzusichern. So kann China das eigene System in Richtung Nachhaltigkeit transformieren und sich gleichzeitig die weltweiten Ressourcen gegen die westlichen Kapitalisten sichern. Oder ist das zu einfach gesehen?
Erstens: Den Begriff "Staatskapitalismus" im Zusammenhang mit China haben westliche Journalisten geprägt, die es offensichtlich nicht fassen konnten, dass ein Land durchaus totalitär und kapitalistisch zugleich sein kann. Anstatt die herrschende ökonomische Theorie zu hinterfragen, derzufolge Kapitalismus so ziemlich das Gleiche wie Marktwirtschaft ist und Markt eben Freiheit bedeutet, Ausdruck von Individualismus ist, einen Gegensatz zum bräsigen, blindwütig richtlinienerlassenden Staat darstellt und zu totalitären Staaten (erst recht zu vormals kommunistischen) etwa so gut passt wie Senf zu Sahnetorte, ordneten sie China lieber unter der Kategorie "Skurilles" ein. Doch so absonderlich geht es in China gar nicht zu: Der Staat ist auch hier Hüter und Treiber des Kapitalismus, war es immer und ist es ausnahmslos überall dort, wo Kapitalismus herrscht. Darüber hat die italienisch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato vor einigen Jahren ein interessantes Buch geschrieben: "The Entrepreneurial State: debunking public vs. private sector myths" (Deutsche Ausgabe: "Das Kapital des Staates : Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum"). Auch wenn Milton Friedman es nie wahrhaben wollte und die Anhänger der Neoklassik bis heute nicht, so ist der Staat einer der wichtigsten Akteure im Kapitalismus: Ohne Sputnik-Schock und Angst vor militärischer Zweitklassigkeit kein steuerverschlingendes Apollo-Programm, wobei die Nummer nicht nur dem "militärisch-industriellen Komplex" einen unfassbaren Boost beschert, sondern auch dein Smartphone ermöglicht hat. Denn selbst der Rendezvouz-Guru Buzz Aldrin musste auf seinen Gemini-Missionen einsehen, dass Andockmanöver ohne Computer keine Aussicht auf Erfolg haben. Die Notwendigkeit, Computertechnik klein, leicht und dabei immer leistungfähiger zu machen, war der Startschuss für die IT-Industrie. Du musst dir das klarmachen: Nicht Steve Jobs, sondern der US-Staat und dessen Steuerzahler stecken dahinter. Diese Figur: Der Staat treibt Grundlagenforschung, die Industrie macht Produkte daraus und versilbert sie, ist typisch für den Kapitalismus, ein Klassiker, bis heute. Mit Markt hat das nichts zu tun, erst recht nicht das, was regelmäßig daraus wird: Fette Konzerne, die von den Rohstoffen bis zum Absatz die komplette Wertschöpfungskette kontrollieren und keinen Wettbewerb fürchten müssen.
Und was das Verhältnis Kapitalismus - Demokratie betrifft: Auch in den heutigen westlichen Industrienationen war von Demokratie weit und breit noch nichts zu sehen, als der Kapitalismus schon lange etabliert war. Es hätte auch anders kommen können: Massenwohlstand ist zwar eine unverzichtbare, aber keine hinreichende Bedingung für Demokratie. China kann, muss aber nicht zwingend demokratisch werden.
Zweitens: Deine Hoffnungen richten sich jetzt auf China, weil es eine kapitalistische Großmacht ist, seine Bürger total überwacht und total diszipliniert, und weil es gleichzeitig unübersehbare Schritte in Richtung Ökologie unternimmt. Diese Hoffnungen finde ich reichlich naiv. Die Disziplinierung mit moderner Technologie - Totalitarismus 4.0, d.h. die Herrschaft wird nicht mit Waffen erzwungen, sondern dank Scoring-System ganz elegant in die Menschen selbst hineingelegt - zielt nicht in erster Linie auf eine nachhaltige Wirtschaft ab, sondern auf Machterhalt. E-Autos und regenerative Energie haben in China nur deshalb Hochkonjunktur, weil das Land bereits jetzt unter den ökologischen Folgen des Kapitalismus extrem leidet, d.h., es geht gar nicht mehr anders. Millionenstädte versinken im Smog, da kannst du nicht eine Autoindustrie wie bei uns aufziehen. Am Kapitalismus will China aber festhalten - solange es geht. Der für diese Diskussion entscheidende Punkt ist: "Solange es geht". Man kann mit "Green Economy" den Kapitalismus für eine Weile notbeatmen, ihn aber nicht in eine nachhaltige Wirtschaft transformieren. Dafür müsste man das Wachstum abschalten, und das will China ganz gewiss nicht.