Nein, ich will damit sagen, dass Griechenland nicht Skandinavien ist und das Verhältnis der Bürger zum Staat ein völlig anderes ist. Und klar, wer Steuern hinterzieht, kann natürlich das Geld in die Förderung seiner Kinder investieren. Ähnlich läuft es in Griechenland doch auch mit der Staatsmedizin. Wer kein Geld hat ist dort ziemlich arm dran, obwohl die Gesundheitsversorgung kostenlos ist.
als jemand der in Griechenland lebt, kann ich dir da nur zustimmen. Die Griechen sind ein sehr freiheitsliebendes Völkchen, die sich nur ungern sagen lassen was sie zu tun und zu lassen haben. Eine Autoritätsgläubigkeit und vorauseilender Gehorsam gegenüber offiziellen Stellen, wie man sie in Deutschland kennt, ist für Griechen unvorstellbar. Hier ist man glücklich, wenn man sein Leben in Ruhe führen kann, und gesteht dem Nachbarn das selbe Recht zu; man mischt sich nicht in fremde Angelegenheiten ein (ausser um zu helfen) und reagiert äusserst gereizt wenn sich ein anderer in die eigenen Angelegenheiten einmischt. Daher wird auch alles was staatlich ist kritisch wahrgenommen; auf keinen Fall zieht der Grieche den Schwanz ein wenn die Politiker etwas entscheiden, das dem Volk weh tut. Die Streitkultur ist eine andere (politische Diskussion im Fernsehen sind eine wahre Freude), und wird wesentlich davon bestimmt daß der Grieche geradeheraus seine Meinung sagt, auch auf die Gefahr hin daß der andere eine andere Meinung hat. So etwas wie "political correctness" mit ihrer weichgespülten Sprache findet man in Griechenland praktisch nicht.
Es gibt einen starken Willen zur Selbstbestimmung. Man nimmt die Dinge selbst in die Hand, und vertraut nicht darauf daß der Staat es für einen tut. Steuern, an sich schon recht niedrig, werden natürlich ungern bezahlt (hier läuft im Fernsehen sogar Werbung vom Staat, seine Steuern ordentlich zu bezahlen), und man gibt das Geld lieber selbst aus. Zum Beispiel im Bildungsbereich, wo die staatlichen Schulen nicht gut genug sind um die schweren Aufnahmeprüfungen für die Uni zu bestehen, und Familien ihre Kinder in private, teure Frontistiria (eine Art Nachhilfeschulen) geben, oder gleich in Privatschulen. Im Krankenhaus läuft es auch besser, wenn man dem Personal "Umschläge" überreicht (mit ein paar Scheinen drin...). Das wird zwar auch von Griechen selbst als nicht wünschenswert angesehen, aber immer noch als bessere Alternative als dem Staat das Geld in den Rachen zu werfen und damit die Kontrolle darüber abzugeben.
Was die Polizei angeht, will man hier möglichst wenig damit zu tun haben. Gerade die in der letzten Zeit dokumentierten Übergriffe der griechischen Polizei gegen Obdachlose und Asylbewerber haben in der Bevölkerung zu einer noch stärkeren Ablehnung geführt. So laufen in den Demonstrationen, die dieser Tage in allen größeren griechischen Städten stattfinden, auch normale, einfache Leute mit, die gegen die Polizei (als Repräsentat der Staatsmacht) demonstrieren und die Polizisten als Mörder und Schweine beschimpfen. Im aktuellen Fall kommt dazu, daß das Opfer erst 15 war, nach griechischem Verständnis ein Kind, und wenn jemand hier einem Kind etwas antut, kocht die Volksseele und es ist Rambazamba angesagt.
Die Ausschreitungen sind heftig aus dem Ruder gelaufen, aber es ist nicht so daß es nicht einen grundsätzlichen Rückhalt in der Bevölkerung gibt, wenn Studenten auf die Strasse gehen und Widerstand gegen die Staatsgewalt fordern/leisten. Das wiederum hat seine Ursache in der jüngeren griechischen Geschichte, denn es war der von Studenten angezettelte und mit zahlreichen Todesopfern verbundene Widerstand, der zum Sturz der Militärjunta 1974 geführt hat. Das hat ihnen die Bevölkerung nicht vergessen, so daß es ein gewisses Wohlwollen auch radikalen Studenten gegenüber gibt. Und, wie gesagt, wenn es gegen die Staatsgewalt geht, ist durchaus eine Unterstützung der "normalen" Leute da.
Es ist ja auch nicht ganz so, wie es in den deutschen Medien dargestellt wird, daß ausnahmslos alle Geschäfte angegriffen und ausgebrannt werden. In der Mehrzahl handelt es sich um Banken (die hier wie überall als Mitverursacher der ökonomischen Krise gesehen werden), und um Filialen von großen (auch internationalen) Ladenketten, die Luxusgüter anbieten. Kleine Einzelhändler und Kioske werden dagegen verschont - die werden von den Randalierern ja selbst als Opfer der Krise wahrgenommen, die man nicht noch zusätzlich schädigen will.