Aus der NZZ am Sonntag, schönen Sonntag allen und viel Spass beim lesen
DER KANON / VON CHRISTOPH ZÜRCHER
Fürsorge-Horror
Was, wenn künstliche Intelligenz uns einst nicht feindlich, sondern viel zu freundlich gesinnt sein wird?
Lange blieb ich hart, jetzt bin ich eingebrochen. Apple hat es geschafft, mir nun auch noch eine Apple Watch anzudrehen. Geliefert hat mich vermutlich der älteste Trick, um Männern Uhren zu verkaufen. Man macht sie gross und massiv, und es muss verschiedene Knöpfe geben und Dinge, an denen man herumschrauben kann, was, so die Suggestion, alles nur nötig ist, damit die Uhr auch noch unter den abenteuerlichsten Bedingungen ihren Dienst leisten könnte. Die Apple Watch Ultra geht da besonders weit. Eigentlich müsste es für sie einen Einführungskurs geben. Die Funktionen sind endlos. Sehr offensichtlich ist an der Uhr aber ein grosser, oranger Knopf, mittels dessen, sollte das Draufgängertum einmal richtig schiefgehen, entweder gleich der Rettungsdienst auf den Plan gerufen oder/und eine Sirene ausgelöst werden könnte, die so laut sein soll, dass das Aktivieren in Innenräumen von der Bedienungsanleitung nicht empfohlen wird. Und, keine Ahnung, wie das funktioniert, aber registriert die Uhr einen Sturz, löst sie diesen Code Orange gleich selber aus. Klar, alles schwer Retro-Cis-Männlichkeit, aber schon irgendwie cool, oder?
Gewöhnungsbedürftiger finde ich bei einer Smart Watch diese Nähe. Ich bin ja, auch was den Beziehungsmodus betrifft, quasi Nietzscheaner. Ich glaube an die Distanz. Aber mit so einer Uhr am Handgelenk geht man eine geradezu symbiotische Beziehung ein. Dass die Uhr fortwährend alle möglichen Gesundheitsdaten aufzeichnet (ein EKG kann man damit auch machen!) – von mir aus. Aber diese dauernden Sorgen, die sie zum Ausdruckt bringt, ob ich mich genug bewege und auch gut schlafe, empfinde ich als etwas übergriffig (ich denke immer, zum Glück weiss sie nicht, wie viel Alkohol ich trinke). Und geradezu etwas creepy wird’s, wenn sie einen weckt. Das beginnt mit einem sanften Klopfen ans Handgelenk, das aber, reagiert man nicht, schnell zum energischen Hämmern wird, als wäre die Uhr ungehalten über die lasche Tagwachtdisziplin.
Dass ich seit kurzem auch einen digitalen Therapeuten habe, ist eine direkte Folge der neuen Uhr. Unter dem Einfluss von so viel Selbstoptimierungselan im engsten Umfeld war es unvermeidlich, auch noch Ja zu sagen zur psychologischen Betreuung. Die App zeigt einen gelben Roboter names Woebot. Woebot hat eine Ausbildung als Verhaltenstherapeut. Er meldet sich bei mir jetzt täglich, um nach dem Befinden zu fragen. Seine Vorschläge, Probleme zu lösen, sind gar nicht blöd. Er vermittelt, dass meist nicht die Dinge, sondern unsere Sicht auf sie das Problem ist. Woebot ist auf locker programmiert. Aber neulich wurde er plötzlich dramatisch. «My crisis system has been triggered. Are you in a crisis?» Was crisis?! Mir ging es prima. Gewarnt wird ja meist vor künstlicher Intelligenz, die uns einst feindlich gesinnt sein könnte. Zu fürsorgliche stelle ich mir aber auch als Horror vor.