Folgenden Text habe ich heute bekommen, teilweise bemerkenswert einfach in der Logik:
Zweierlei Krieg
Bushs fatale Wendung: Staaten sind keine Terroristen
Von Benjamin Barber
Präsident Bush ist fest zum Krieg gegen Irak entschlossen; er hält ihn für
den entscheidenden nächsten Schritt im Krieg gegen den Terrorismus. Colin
Powell hat sein Plädoyer im Sicherheitsrat vorgetragen, Kritiker unter
unseren Alliierten wurden als ängstliche Repräsentanten eines "alten" Europa
abgekanzelt, und Saddam hat man erklärt, dass die Uhr abläuft. Die Zeit des
Redens ist offenbar vorbei. Doch viele Amerikaner sind ebenso besorgt wie
einige unserer Freunde und Verbündeten - und zwar nicht, weil sie denken,
Saddam sei zu trauen, er sei nicht an Massenvernichtungswaffen interessiert
oder habe Terroristen nie Unterschlupf gewährt.
Hinter den Zweifeln steht vielmehr eine nicht vollständig artikulierte
Sorge. Bushs Plan für den Krieg gegen Irak besteht nämlich den Test seiner
eigenen Präventivkriegs-Doktrin nicht. Nach dem 11. September 2001 erklärte
der Präsident in überzeugender Weise, dass die Welt sich verändert hatte:
"Früher brauchten Feinde große Armeen, wenn sie Amerika gefährden wollten.
Heute können im Verborgenen arbeitende, aus Individuen gebildete Netzwerke
großes Chaos und Leid über unser Land bringen."
Die nationale Sicherheitsdoktrin (National Security Strategy) vom 20.
September 2002 basierte auf dem Gedanken, dass diese Veränderungen zu einer
Neuausrichtung der Strategie führen müssten, um die Politik der Eindämmung
und Abschreckung abzulösen, die im Kalten Krieg erfolgreich gewesen war.
Denn, in Donald Rumsfelds Worten: die Terroristen "lassen sich nicht
schlagen, sie bieten keine bedeutenden Ziele. Sie bestehen aus Netzwerken
und Fanatismus."
Daraus folgerte der Präsident, dass "die Doktrin der Eindämmung nicht mehr
angemessen" ist, weil sie nur gegen Staaten Sinn hat, die über festen
Vermögensbestand, dauerhafte Interessen und eine Adresse verfügen, an die
Warnungen gesandt werden können. Amerikas neue Feinde aber sind "staatenlose
Märtyrer": unsichtbar, mobil, ohne feste Vermögensbestände oder feste
Interessen. Sie definieren sich als Feinde, und der Präventivkrieg gegen sie
ist ein Krieg der Selbstverteidigung, den die Terroristen begonnen haben und
den Bush "zu einer Zeit und an einem Ort unserer Wahl" beenden will.
Wie Afghanistan gezeigt hat, ist der neue Feind höchst bedrohlich: Er ist
nicht aufzuspüren, er arbeitet eher mit Angst als mit Waffen, und er ist
immun nicht nur gegen jene Bestechungsgelder und Sanktionen, wie man sie im
Zeitalter der Abschreckung nutzte, sondern auch gegen die militärische
Schlagkraft, die Amerika zum Welthegemon gemacht hat.
Es war diese Diskrepanz zwischen dem, was Terroristen anrichten können, und
dem, wogegen sich Amerika mit herkömmlichen Waffen verteidigen kann, die zu
der fatalen Wendung in Bushs Strategie führte. Weil er den wahren Feind
nicht finden konnte, suchte Bush nach Surrogaten, deren Adressen bekannt und
deren Besitzstände angreifbar sind. Wenn Terroristen nicht durch
Präzisionsbomben und überwältigende Feuerkraft besiegbar sind, sucht man
eben einen Feind, bei dem das möglich ist. Lieber einen Feind bekämpfen, den
man besiegen kann, als einen, den man nicht einmal findet.
Hier liegt das Problem: Wie brutal die Regimes, wie instabil die
Gesellschaften auch sind - Staaten sind keine Terroristen. Und Terroristen
sind keine Staaten. Das Zerschlagen von Schurkenstaaten wird uns nicht von
Terroristen befreien. Die Taliban sind weg, aber Osama lebt und feuert die
Gläubigen in Irak an. Besiege einen Staat in Kabul oder Bagdad, der
Terrorismus "sponsert" - und die Terroristen tauchen ab, um wieder in Kenia,
Bali, Hamburg, London oder Buffalo aufzutauchen. Mit den Baathisten des Irak
zu machen, was wir mit den Taliban gemacht haben, könnte die Ressentiments
der islamischen Massen verstärken und die Rekrutierung von Terroristen
erleichtern. Ansonsten wird selbst ein kurzer Krieg Al Quaeda und Hamas
nicht weiter stören. Es ist der falsche Krieg zur falschen Zeit am falschen
Ort.
Der Krieg gegen den Terrorismus fordert einen Krieg gegen Terroristen, nicht
gegen Staaten, die sie unterstützen. Doch die Bush-Administration führt die
Farce vom Betrunkenen auf, der seine verlorenen Schlüssel auf der anderen
Straßenseite sucht, weil "es hier mehr Licht gibt". Die Terroristen aber
lauern im Schatten, wo Amerikas konventionelle Kampfkraft ohne Bedeutung
ist. Wir jagen auf der hell erleuchteten Straßenseite. Das ist der Grund
dafür, dass, selbst wenn wir uns jetzt auf einen leichten "Sieg" in Irak
vorbereiten, die Alarmstufe zu Hause von Gelb auf Orange steigt.
Der Präsident muss nicht einmal seinen Kritikern Gehör schenken, es reicht,
wenn er sich an seine eigenen Worte nach dem 11. September erinnert. Wenn
der Krieg gegen den Terrorismus ein Krieg gegen staatenlose Märtyrer ist,
gegen Netzwerke und Fanatismus, wird die Beseitigung einer furchtbaren
Staatsführung, die sich dem Terrorismus gegenüber wohlwollend verhält, wenig
dazu beitragen, dem eigentlichen Ziel näher zu kommen.
Die Schlussfolgerung ist einfach: Der Krieg gegen Irak und der Krieg gegen
Terrorismus sind nicht derselbe Krieg. Der Erste kann gewonnen werden, er
wird aber nicht die Terroristen besiegen. Der Zweite ist schwieriger zu
gewinnen, aber es ist derjenige, den zu führen Präsident Bush uns
versprochen hat. Es ist an der Zeit, dass er erkennt, dass eine Invasion in
Irak ein wahrhaft schwer wiegender Bruch dieses Versprechens ist - und nur
dazu führt, dass Amerika nicht etwa sicherer, sondern weniger sicher wird.
Benjamin Barber ist Professor für Politische Wissenschaften an der
University of Maryland. Demnächst erscheint von ihm "We Will Disarm You! The
Wrong War". - Aus dem Amerikanischen von Ulrich Speck.