Titel 1: Endgültig geklärt
Neulich habe ich mirdie Seele aus dem Leib gekotzt. Ich hatte ein wenig über mich unddas Leben nachgedacht und was mir das bisher gebracht hatte, bis mirspeiübel davon wurde und ich es nur mit Not noch zum Klo schaffte.Über der Schüssel fiel mir alles aus dem Gesicht, was in Bauch undKopf nicht fest verwachsen war. Auch meine Seele eben, das bemerkteich aber erst, nachdem ich in einer Atempause voreilig die Spülunggedrückt hatte und dann stutzig wurde, weil mir meine Depressionabhanden gekommen war. Doch das löste keinerlei Gefühle bei miraus. Weder war ich traurig darüber, noch konnte ich mich freuen. Eswar mir noch nicht einmal egal.
Nicht, dass ichmeine Seele besonders lieb gehabt hätte, schließlich hatte mirdieses Biest schon seit Jahren das Leben schwer gemacht, aber wennman sein ganzes Leben so eng zusammenhängt, dann gewöhnt man sichdoch irgendwie aneinander. Ich beschloss, sie wiederhaben zu wollen.Ich putzte mir die Zähne. Beim Blick in den Spiegel stellte ichfest, dass mir jegliche Mimik verloren gegangen war.
In Hamburg gibt esein Sielmuseum, in dem allerlei Gegenstände, die in der Kanalisationgefunden wurden, ausgestellt werden. Dieses Museum hat ein Fundbüro.Beim Anruf dort klang meine Stimme ganz tonlos: „moin mir ist wasins klo gefallen wo ist ihr fundbüro?“ Die Frau in derTelefonzentrale zögerte kurz, schien dann zu kichern und verbandmich weiter: „Zentrale Fäkalsortierung Sielmuseum Hamburg, gutenTag, mein Name ist Margret.“, flötete mir eine Stimme ins Ohr. Ichbemühte mich um etwas Intonation. Margret sagte, ja, alle größerenGegenstände mit würden automatisch ausgefiltert, gesammelt undausgestellt. Ich dürfe gern kommen und sehen, ob das von mirGesuchte dabei sei.
Ich stellte mich vorden Spiegel und machte ein paar Lächelversuche. Nach fünf Minutenbekam ich schon ein halbwegs nicht unfreundliches Gesicht hin. Dasreicht, dachte ich mir, ist schließlich mehr, als die meistenanderen schaffen. Nach ein paar Sprechproben setzte ich mich aufsFahrrad und fuhr zum Sielmuseum.
Der Pförtner wiesmir den Weg zu Frau Margrets Büro. Ich klopfte und trat ein. Sieblickte mit einer Wäscheklammer auf der Nase aus dem Hinterzimmer zumir herüber: „Momehent!“ Drei Wände ihres Büros waren mitRegalen zugestellt. Darin lagen die Fundstücke, hauptsächlichZahnprothesen und Rasierpinsel, vereinzelte Eheringe und hin undwieder ein toter Goldfisch oder Guppy in einem verschlossenenHonigglas (wohl wegen des Geruchs). Keine Menschenseele.
„Guten Tag, meinName ist ...“, begann Frau Margret. „Jaja, ich weiß, ich hatteangerufen, wegen meiner Seele“, brachte ich in akzeptablenModulationen hervor. „Ah, ja. Sie haben sich schon umgesehen? Istwohl nicht dabei? Ich habe hinten noch etwas in der Wäsche, wenn Siemal schauen möchten ...“ In diesem Moment öffnete sich die Tür,und ein elegant in schwarz gekleideter Herr trat ein. „Augenblick,der Herr, ich bin gleich für Sie da. Nehmen Sie doch so langePlatz.“ Frau Margret nahm mich mit ins Hinterzimmer, in dem ichmeine Seele an der Wäscheleine baumeln sah. Es stank. „Die isterst vor ein paar Minuten hereingekommen, ist das Ihre?“ Es warunübersehbar meine, sie sah genauso aus wie ich, schien aber aussehr dünnem Material zu sein, das ein bisschen glitzerte wieStaniolpapier. So traurig wie jetzt kam sie mir allerdings noch nievor, sicherlich Nachwirkungen der Kanalfahrt.
„Ein sehr schönesStück“, hörte ich eine tiefe Stimme hinter mir. Der Mann inSchwarz. „Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle, mein Name istMcPistol, Seelensammler. Würden Sie das verkaufen?“ „Oh, äh,ich hatte mir gerade überlegt, mich nicht davon zu trennen ...“Stammeln ging offenbar schon wieder. „Ich zahle SEHR gut“, sagteMcPistol, und dann beugte er sich an mein Ohr. „Nicht nur Geld. Ichkann dir sogar die Zuneigung dieser Margret verschaffen.“ Woherwusste er ihren Namen? „Na, ich kann’s mir ja noch mal überlegen.Wollen Sie eben draußen auf mich warten?“
„Widerlicher Kerl.Der würde noch dem Teufel seine Großmutter abkaufen“, sagteMargret als wir wieder allein waren. „Ich wette, das hat er schon.Merkwürdig, was Leute alles sammeln.“ Ich entschloss michherauszufinden, ob ich McPistols Angebot überhaupt nötig hätte:„Danke für die Mühe, schöne Dame, darf ich Sie nach Feierabendnach Hause bringen?“ „Nennen Sie mich nicht Dame! Und schön binich auch nicht! Und ich gehe immer allein nach Hause! Tschüs!“ Siewarf mir meine Seele ins Gesicht, und ich ging mal lieber.
„Was würden Siedenn bieten?“ fragte ich den Sammler. „Wie wär’s mit Glück imSpiel und in der Liebe, einer schönen Villa, einer netten Yacht undetwas Bargeld, paar Milliönchen? Dazu arrangiere ich das mitMargret, okay?“ Das hörte sich gut an. Ich reichte ihm dasramponierte Etwas in meiner Hand. McPistol strahlte. Sofort zog ersich die Seele über den Kopf, schlüpfte bis zu den Füßen durchund machte den Reißverschluss zu. Dann gab es ein schlürfendesGeräusch und die Seele war in McPistol verschwunden. Sein Gesichtbegann zweifelnd zu wirken. Die Mundwinkel zogen immer weiter nachunten, die Augen wurden trübe und feucht. Seine Schultern sacktenein und der Kopf fiel ihm fast auf die Brust. Mit schweren Schrittenschlurfte er zu seinem mitten auf dem Hof geparkten Rolls Royce undstieg hinten ein. Der Chauffeur startete den Wagen, machte ihn abernach ein paar Sekunden wieder aus. Ich hörte die beiden lautdiskutieren, schließlich stieg der Fahrer aus und verließ zügigdas Gelände. Das Auto schien ein wenig zu zittern, und gelegentlichglaubte ich, ein Schluchzen zu hören. Dann gab es einen Knall. Diegetönte Scheibe, hinter der McPistol gesessen hatte, zerbarst, undmit dem Glas spritzten Blut und Gehirnmasse in alle Richtungen.
Hinter mir öffnete sich Margrets Bürotür. „Verzeihung, jungerMann, ich hab’s mir überlegt. Gehen wir?