Falls du meinen Satz meinst: Ich habe nicht
Menschen als typisch deutsch bezeichnet, sondern eine bestimmte
politische Haltung. Nämlich die, auf Türken, Griechen und Italiener herabzublicken, von ihnen aber zu erwarten, das sie uns Flüchtenden vom Hals halten, die eigentlich nach Deutschland wollen.
Danke für die Klarstellung. Es ist richtig, dass die Flüchtenden nach Deutschland wollen, und sich gegen Überstellungen nach Griechenland und Italien auch juristisch mit anwaltlichem Beistand wehren und hier verbleiben wollen. In Deutschland. Das mehrmals zum beliebtesten Land der Welt gewählt wurde. Gerade Flüchtlinge und Migranten schätzen nicht selten das typisch deutsche, oder das, was diese dafür halten, erfahren hier viel Unterstützung und Hilfe von den Menschen, haben hier Freiheiten und anwaltlichen Beistand, auch kostenlose Beratung. Interessant ist es, wenn man sich auf diese Menschen einlässt, und man erfährt viel über die Menschen, die kommen, auch über deren Weltbilder und Meinungen, Möglichkeiten und Beschränkungen. Wenn man sich nicht selbst ideologisch beschränkt.
Man lernt, dass es sehr wohl eine Frage der Herkunft sein kann, wenn es um das juristische und um Weltbilder geht, da Erziehung und Gesellschaft und dortige Zustände eine große Rolle, asylrechtlich eine entscheidende, spielen. Nur ist eben Herkunft ein wichtiger Anhaltspunkt und keine Determination. Bei einer Flüchtlingsfrau aus Afrika spielt die Herkunft gerade was die Genitalverstümmelung angeht, eine wichtige Rolle. Nehmen wir Somalia. Man kann es keiner Frau zumuten, nach Somalia abgeschoben zu werden, da ihr dort die Beschneidung droht. Dort kann man bereits von einer allumfassenden geschlechtlichen Verfolgung sprechen, und es hilft auch nicht, sich vorurteilsfrei zu geben, wenn man die Situation hat, dass die Mutter die junge Tochter mit in dieses Land nehmen möchte. Selbst Frauen, denen hier geholfen wurde, droht dort wieder diese Praxis. Einzelheiten erspare ich hier den Lesern.
Ist das nun typisch somalisch? Was die Häufigkeit angeht, ja. Und wenn es um Weltbilder, Gebräuche geht. Ist Nationalismus typisch türkisch? Was ist typisch griechisch? Was typisch deutsch ist oder dafür gehalten wird, merkt man nicht selten im Kontakt mit Menschen, die einen Blick von Außen auf hiesige Gebräuche und Eigenarten haben. Das ist nie determiniert. Aber es gibt sie, die Mentalitäten, die Bräuche, die Kulturen und Weltbilder, Religionen und Einstellungen, gebunden an Erziehung und Prägung, Gesellschaft und der jeweiligen Vermittlung und den Umgang mit vielen Themen. Ist Meckern typisch deutsch? Wenn ich mir viele hier lebende (Deutsch)Türken ansehe, muss ich manchmal schmunzeln, wie "deutsch" ich diese empfinde. Dann jedoch gibt es wieder jene, die sehr fremd erscheinen. So wie mir auch manche Deutsche sehr fremd erscheinen in ihren Weltbildern. Und doch gibt es auch mit jenen Gemeinsamkeiten, da wir in einer Gesellschaft oder zumindest mit ähnlicher Sozialisation, mag diese auch mitunter entscheidend abweichen, zusammen aufgewachsen sind: diese würden als Autochthone ihre Tochter kaum im Garten verbuddeln, weil diese die Familienehre verletzt hat, auch würden andere dieses von der Familie nicht einfordern. Aber vielleicht zünden einige ein Gebäude an, in die Flüchtlinge einziehen sollen. Oder
verbrüdern sich mit polnischen Nazis.
Und dann steht wieder Kontakt mit dem Frauenhaus an, und die Beteuerung, eine Frau nie schlagen zu wollen, wird bereits als "typisch deutsch" erfreut zur Kenntnis genommen; von Frauen, die es als typisch betrachten, Subjekte zweiter Klasse und Gegenstand männlicher Gewalt zu sein. Dies unabhängig davon, dass Gewalt gegen Frauen hier nicht unbekannt, aber gesellschaftlich geächtet ist. Ebenso erfährt man im Familienrecht auch von Männern, die nach außen den Herrscher geben und doch nur schwach und hilflos erscheinen. Von Frauen, die ihre gesellschaftliche Diskriminierung kompensieren. Die hinter dem Mann hergehen, ihn aber antreiben.
Was ist typisch? Vielleicht sollten wir lernen, nicht das Fremde abzulehnen, sondern Weltbilder. Und dann ist klar,
dass wir auch die Weltbilder von Fremden ablehnen wie von Einheimischen, je nachdem,
welche Weltbilder diese aufweisen und wie fremd diese uns sind - oder auch sehr nah. Und die wir dennoch nicht teilen.
Wir müssen nur den Mut haben, hinzuschauen. Wegsehen hilft nie. Probleme haben leider nicht die Eigenart, zu verschwinden, wenn man sie ignoriert. Die ersten Opfer eines Wegsehens sind nicht jene, die nicht mehr betrachten. Sondern jene, die nicht mehr betrachtet werden.
Wenn wir keine Grenzen ziehen, können wir keine Grenzen überwinden.