Lucke ist ein Meister der doppelten Botschaft, achte mal drauf, aqiri. Er macht als erstes eine demokratische, seriöse, gut klingende Aussage: "Natürlich stehen wir voll hinter dem XYZ." Dann kommt die entscheidende Einschränkung, die die erste Aussage ins Gegenteil verkehrt: "Aber wir dürfen nicht zulassen, dass ... "
So kann er dann seinen Gegnern immer mit einem eigenen Zitat belegen, dass sie ihm etwas zu Unrecht unterstellen.
Diese Rhetorik ist typisch für Populisten. Auch für Regierungshandeln verantwortliche Politiker/innen wie Merkel benutzen "Wir wollen grundsätzlich nicht, aber wir müssen auch deutlich machen, daß" gern.
Da muss ich mal einhaken.
Diese "Grundsätzlich ist A schon B, aber manchmal auch C, D, E......" ist auch typisch für juristische Argumentationen.
Dahinter steht nicht der Gedanke, sich nicht festzulegen oder unliebsame Argumente als trojanische Pferde einzuschleusen, sondern schlicht der Wunsch, im Detail zu differenzieren. Es gibt nur sehr wenige Themen, bei denen man mit flächendeckenden schematischen Lösungsansätzen auf Dauer den eigentlichen Problemen gerecht wird.
Genau das, so mein Eindruck, ist jedoch aktuell ein sehr zeitgeistiger Ansatz.
Man bewertet Themen nur oberflächlich und grob, orientiert sich dabei gern am "emotionaler Intelligenz" denn an echter Analyse im Detail, erklärt seinen eigenen Ansatz für den ethisch einzig richtigen, und erklärt zugleich alle Andersdenkenden zu Idioten, denen man am besten gar nicht zuhört.
Dieser Thread ist ja das beste Beispiel. Lucke gehört zur AfD; die AfD vertritt Positionen, die nicht dem kuscheligen "Wir sind doch alle ein Europa, is doch schön so"-Gedanken entspricht; ergo können die nur rechtslastig sein; ergo sollte man denen gar nicht zuhören. Am besten sogar verbieten, und fertig.
Damit macht man es sich natürlich argumentativ sehr bequem. Man muss nicht in eine allzu große differenzierte Analyse der Positionen der AfD einsteigen oder diese auf ihre volkswirtschaftliche Richtigkeit überprüfen; und man kann prima die Meinungshoheit für sich beanspruchen, denn hey, wer ist schon für rechte Parteien?
So einfach geht das aber nicht. Weder bei AfD; noch bei Pegida; noch bei Putin etc. pp., was es da sonst noch an politischen Aufregerthemen aktuell gibt.
Das grundlegende Konzept des Euro als Währung für Gesamteuropa ist im Detail sehr wohl kritikwürdig; nicht umsonst haben führende VWL-Profs sogar das BVerfG bemüht, um den Euro zu stoppen. Ob die Gegenvorschläge der AfD praktikabler sind, ist die zweite Frage, aber der grundlegende eurokritische Ansatz lässt sich wissenschaftlich durchaus vertreten, ohne dass man gleich ins politische Mittelalter zurück will.
Bei Pegida laufen viele Vollpfosten mit und werden viele letztlich irrationale Ängste transportiert, aber diese Ängste sind teils in der Sache berechtigt (Angst um zu niedrige Altersversorgung; Angst vor Extremisten; eine generelle Empörung darüber, dass die Politik die Leute mit diesen Ängsten nicht ernst nimmt). Das heißt nicht, dass Pegida als Partei morgen die Regierungsverantwortung übernehmen sollte; aber es ist auch nicht die Brutstätte für das Vierte Reich, als die die Bewegung in den Medien regelrecht dämonisiert wird
Putin ist entgegen der Ansicht eines wortgewandten Altkanzlers vielleicht kein lupenreiner Demokrat; aber es gibt Gründe dafür, warum der Mann es nicht toll findet, wenn die NATO plötzlich mit eigenen Kriegsschiffen und Truppen vor der eigenen Haustür der russischen Föderation campiert. Das kann man rückständig finden, weil doch der Kalte Krieg vorbei ist und sich alle jetzt ganz doll lieb haben - oder vielleicht mal hinterfragen, ob das mit dem Ganzdollliebhaben vielleicht etwas zu rosarot gesehen ist, wenn man sich klarmacht, welche geopolitischen Interessen zB die USA haben und mit welchen Mitteln sie diese in der Vergangenheit gerne mal einzulösen versuchten...
Usw. usf.
Ich beobachte immer mehr, dass die Leute eher von einem ideologischen und ziemlich selbstgerechten Rosa Ponyhof argumentieren, statt mal genau hinzusehen, nah am Leben zu denken und sich klarzumachen, dass es IMMER und ÜBERALL Grautöne gibt, die man erfassen muss, um ein Thema komplett zu verstehen.
Dazu gehört allerdings Lebenserfahrung und Menschenkenntnis, und die Akzeptanz, dass die Welt eben nicht so schön weiß und schwarz ist.
Und vor allem die Erkenntnis, dass man mit einer "Wir können uns doch einfach alle lieb haben"-Einstellung ständig Gefahr läuft, tiefer liegende Probleme unbehandelt zu lassen - bis sie einem dann (zB in Form von Protestbewegungen oder neuen Protestparteien) auf die Füße fallen. Dann ist man natürlich ganz furchtbar erstaunt und "entsetzt" und weiß gar nicht, wie das alles passieren kann - weil man die zugrundelegenden Themen eben nie mal im Detail analysiert hat.
Da beißt sich dann die Katze in den Schwanz.