Wann ist satire kunst?: extra 3 vs. Erdogan

Da ist eine Regierung, die uns nicht passt, also muss sie weg. Natürlich alles im Sinne der Menschen des Landes, denn wir wissen ja was gut für sie ist.
Es gibt, wie gesagt, einen guten international anerkannten Maßstab: Die Menschenrechte.

Und wenn ich dafür bin, verfolgten und eingesperrten Oppositionellen in der Türkei zu helfen, maße ich mir deshalb noch lange nicht an, zu wissen, was "gut für die Türkei" ist.

Du versuchst, das Eintreten für Menschenrechte und demokratische Bürgerrechte als dumpfes "was uns nicht passt, muss weg" - also als selbstherrlichen Übergriff, der niemandem zustehe - zu diffamieren. Damit machst du es dir ziemlich einfach.

Das ist dieselbe Argumentation, mit dem Diktatoren die Solidarität mit den von ihnen verfolgten oder angegriffenen Oppositionellen oder bestimmten ethnischen Gruppen als "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" zurückweisen.
 
Es gibt, wie gesagt, einen guten international anerkannten Maßstab: Die Menschenrechte.

Wenn also die Menschenrechte (nicht übermäßig) verletzt werden, dann hättest du damit kein Problem, wenn ein Volk beispielsweise eine Diktatur einführt?
Dann bist du doch sicher auch froh, dass wir die NPD nicht verboten haben? Andernfalls hätten wir ja auch die „Opposition unterdrückt“ (einige NPD-Mitglieder werden sicher vom Verfassungsschutz beobachtet, also „bespitzelt“) und somit wäre es in Ordnung gewesen, wenn beispielsweise Erdogan mit „politischen Maßnahmen“ (schließt das eigentlich Krieg ein?) dieses Unrecht korrigiert hätte. Ja ich weiß, „Oppositionelle“ werden hier nicht verfolgt oder eingesperrt und natürlich gibt es in der Türkei viele Dinge, die man nicht gut finden muss, der Vergleich sollte aber zeigen, dass die Forderung sich überall gleich mit „politischen Maßnahmen“ (welche denn konkret?) einzumischen, nicht leichtfertig getroffen werden sollte.

Und wenn ich dafür bin, verfolgten und eingesperrten Oppositionellen in der Türkei zu helfen, maße ich mir deshalb noch lange nicht an, zu wissen, was "gut für die Türkei" ist.

Naja, du maßt dir an zu wissen, dass Oppositionelle Einsperren „nicht gut für die Türkei“ ist.

Du versuchst, das Eintreten für Menschenrechte und demokratische Bürgerrechte als dumpfes "was uns nicht passt, muss weg" - also als selbstherrlichen Übergriff, der niemandem zustehe - zu diffamieren. Damit machst du es dir ziemlich einfach.

Umgekehrt wird ein Schuh draus. Die Geschichte zeigt doch recht deutlich, dass in vielen Fällen im Namen der „Menschenrechte und demokratischen Bürgerrechte“ Eingriffe vorgenommen wurden, die letztlich wenig gebracht haben (um diese zu schützen) und bei denen diese Gründe meist nur vorgeschoben waren.
Wenn ich mir mal anschaue was die USA und auch Deutschland so gemacht haben, sollten wir den moralischen Finger vielleicht nicht ganz so weit ausstrecken. Die USA destabilisiert Regierungen und Regionen, führt Angriffskriege. Wir selbst haben Diktatoren mit Waffenlieferungen unterstützt, die damit wiederum (später) ihre Bevölkerung unterdrückt haben. Warum? Weil wir Menschenrechte oder demokratische Bürgerrechte geschützt haben?

Das ist dieselbe Argumentation, mit dem Diktatoren die Solidarität mit den von ihnen verfolgten oder angegriffenen Oppositionellen oder bestimmten ethnischen Gruppen als "Einmischung in die inneren Angelegenheiten" zurückweisen.

Ich kann dieses Verlogenheit nicht ab. Klar, im Falle der Türkei wollen wir Menschenrechte und Demokratie schützen. Als in der Ukraine die Krim ihre „demokratischen Rechte“ wahrnahm, war das schon wieder nicht recht. Und als der Russe die „Wahrnehmung der demokratischen Rechte“ in der Krim verteidigen wollte, war das natürlich auch falsch. Aber wenn wir in der Türkei die Opposition unterstützen wollen und an Erdogans Stuhl sägen, ist das okay. Wir haben auch mal Waffen an Saddam Hussein verkauft. Wo waren da die Menschenrechte und Demokratie?

Wenn ich mir das so ansehe bin ich eher geneigt zu sagen, dass wir besser fahren, wenn wir uns generell nicht einmischen. Ja, dann passiert in den (wenigen) Fällen, in denen man wirklich Menschenrechte und Demokratie voranbringen kann und will, nichts. Umgekehrt kommt dann aber auch niemand auf dumme Gedanken und unterstützt Diktatoren oder destabilisiert ganze Regionen nur weil uns das (kurz- bis mittelfristig) Vorteile bringt.
 
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Wenn ich mir das so ansehe bin ich eher geneigt zu sagen, dass wir besser fahren, wenn wir uns generell nicht einmischen.

Sehe ich auch so. Ich halte es aber auch für eine Einmischung, wenn wir Deutschen die Wahl
in der Türkei beeinflussen durch unsere Stimmen, obwohl wir nur ab zu mal Urlaub in der Türkei
machen.
Und durch das Auftreten von KPD Politikern in Deutschland wird vielen Mitbürgern gezeigt, wen
sie wählen sollen. Oppositionelle treten ja nicht (gar nicht?) auf. Das muss ja einen Grund haben,
also ist doch klar, wen ich als korrekter Wähler zu wählen habe (überspitzt ausgedrückt).
 
Letztlich stellt sich die schwierige Frage, darf sich eine Demokratie selbst abschaffen? Darf ein Volk also auf demokratischem Wege beispielsweise mit Hilfe einer neuen Verfassung die Demokratie durch eine Diktatur ersetzen?

Eine interessante Frage, die ich mir auch seit Jahren Stelle, elegant formuliert. Schwierig, schwierig.
 
Dann bist du doch sicher auch froh, dass wir die NPD nicht verboten haben?
"Froh" ist übertrieben, aber ich hätte ein Verbot der NPD für falsch gehalten.

Naja, du maßt dir an zu wissen, dass Oppositionelle Einsperren „nicht gut für die Türkei“ ist.
Wenn du das als Anmassung empfindest, dann hast du recht.

Die Geschichte zeigt doch recht deutlich, dass in vielen Fällen im Namen der „Menschenrechte und demokratischen Bürgerrechte“ Eingriffe vorgenommen wurden, die letztlich wenig gebracht haben (um diese zu schützen) und bei denen diese Gründe meist nur vorgeschoben waren.
Das sehe ich auch so. Es kommt also darauf an, hier die Interessen er Beteiligten genau zu betrachten – insbesondere dann, wenn Staaten unter dem Vorwand, die Menschenrechte zu schützen, militärische Operationen rechtfertigen und eigene hegemoniale Strategien verfolgen.

Aber wenn wir in der Türkei die Opposition unterstützen wollen und an Erdogans Stuhl sägen, ist das okay.
Wenn ich verfolgte und eingesparte Oppositionelle einsetze, bedeutet das noch nicht, dass ich oppositionelle Parteien unterstütze. Da gibt es einen ganz großen Unterschied. Und wenn ich gegen die Todesstrafe eintrete oder Wahlkampfauftritte von AKP-Funktionären in Deutschland nicht zulassen möchte, heisst das noch nicht, dass ich "an Erdogans Stuhl säge". Wie gesagt, du machst es dir ziemlich einfach.

Ich kann dieses Verlogenheit nicht ab. Klar, im Falle der Türkei wollen wir Menschenrechte und Demokratie schützen. Als in der Ukraine die Krim ihre „demokratischen Rechte“ wahrnahm, war das schon wieder nicht recht. Und als der Russe die „Wahrnehmung der demokratischen Rechte“ in der Krim verteidigen wollte, war das natürlich auch falsch.
Ob die Bevölkerung in dieser Wahl tatsächlich ihre demokratischen Rechte wahrnehmen konnte, ist hochumstritten, wie du weißt.

Umgekehrt kommt dann aber auch niemand auf dumme Gedanken und unterstützt Diktatoren oder destabilisiert ganze Regionen nur weil uns das (kurz- bis mittelfristig) Vorteile bringt.
Diktatoren gewähren zu lassen, mit ihnen Handel zu treiben und politische Deals abzuschließen, bedeutet in meinen Augen auch, sie zu unterstützen. Die Zusammenarbeit mit ihnen kann man überprüfen und gegebenenfalls aussetzen. Deals muss man nicht abschließen. Und wenn es Möglichkeiten gibt, politische Häftlingen zu helfen, kann man das tun – und wenn diese Hilfe nur darin besteht, deren Fall öffentlich zu machen.

Mit einem militärischen Eingriff, den du unterstellst, hat das nichts zu tun. Den lehne ich genauso ab wie du.
 
Wenn ich verfolgte und eingesparte Oppositionelle einsetze, bedeutet das noch nicht, dass ich oppositionelle Parteien unterstütze.

Nicht? Wenn ich mich dafür einsetze, dass gefangene Oppositionelle frei gelassen werden, dann unterstütze ich damit nicht die Opposition?

Da gibt es einen ganz großen Unterschied. Und wenn ich gegen die Todesstrafe eintrete oder Wahlkampfauftritte von AKP-Funktionären in Deutschland nicht zulassen möchte, heisst das noch nicht, dass ich "an Erdogans Stuhl säge". Wie gesagt, du machst es dir ziemlich einfach.

Ach so, du möchtest nur hohle Phrasen dreschen. Sag das doch gleich. Ich dachte schon, du wolltest wirklich etwas unternehmen um den Diktator in Spe loszuwerden.

Ob die Bevölkerung in dieser Wahl tatsächlich ihre demokratischen Rechte wahrnehmen konnte, ist hochumstritten, wie du weißt.

Dann könnte man ja wenigstens ein Referendum unter fairen Bedingungen anstreben.

Diktatoren gewähren zu lassen, mit ihnen Handel zu treiben und politische Deals abzuschließen, bedeutet in meinen Augen auch, sie zu unterstützen.

Als Freund von Demokratie und Menschenrechte wäre jetzt die naheliegendste Reaktion, jeglichen Handel und „politische Deals“ mit Diktatoren einzustellen. Andernfalls würde man Diktatoren unterstützend und damit Entwicklungen in Richtung einer freien (eventuell demokratischen) Gesellschaft behindern.

Die Zusammenarbeit mit ihnen kann man überprüfen und gegebenenfalls aussetzen. Deals muss man nicht abschließen. Und wenn es Möglichkeiten gibt, politische Häftlingen zu helfen, kann man das tun – und wenn diese Hilfe nur darin besteht, deren Fall öffentlich zu machen.

Heißt also, wenn uns die Diktatur eines Landes genehm ist, kann man sie auch unterstützen (oder wieso muss man überprüfen, ob man mit bestimmten Diktatoren zusammenarbeitet?). Oder anders gesagt, wenn uns ein Diktator nützt, kann man fünf auch mal gerade sein lassen und die demokratischen Rechte der Bevölkerung vergessen.

Machen wir doch aktuell mit der Türkei ähnlich. Die befindet sich aktuell auf dem Weg von etwas, das man demokratienah nennen kann/konnte, hin zu einer Diktatur. Erdogan hält uns aktuell viele Flüchtlinge vom Hals, deshalb ist er nützlich. Da kann man doch mal über die politische Entwicklung des Landes hinwegsehen und ihn machen lassen. Oder etwa nicht?

Mit einem militärischen Eingriff, den du unterstellst, hat das nichts zu tun. Den lehne ich genauso ab wie du.

Du hast nebulös von „politischen Maßnahmen“ gesprochen. Das kann alles mögliche sein, beispielsweise ein folgen- und zahnloses „Nah-Nah-Nah“ oder Embargos, aber eben auch Krieg. Gut, du meinst damit „Nah-Nah-Nah“ und ein paar Wahlkampfveranstaltungen verbieten.
 
Wenn ich mich dafür einsetze, dass gefangene Oppositionelle frei gelassen werden, dann unterstütze ich damit nicht die Opposition?
Nein. Ich setze mich für Meinungsfreiheit und Pressefreiheit ein.

Ach so, du möchtest nur hohle Phrasen dreschen. Sag das doch gleich. Ich dachte schon, du wolltest wirklich etwas unternehmen um den Diktator in Spe loszuwerden.
Ich mag deinen Ton nicht. Und nein, ich möchte nicht "Erdogan loswerden". Ich möchte, dass das türkische Volk sich seine Führer selbst wählen und wieder absetzen kann. Dafür braucht es aber demokratische Rechte.

Als Freund von Demokratie und Menschenrechte wäre jetzt die naheliegendste Reaktion, jeglichen Handel und „politische Deals“ mit Diktatoren einzustellen.
Man muss immer auch überprüfen, ob nicht auch die Bevölkerung darunter mehr leiden würde als der Diktator, und Reaktionen abwägen. Ich denke, das ist dir auch klar.

Oder anders gesagt, wenn uns ein Diktator nützt, kann man fünf auch mal gerade sein lassen und die demokratischen Rechte der Bevölkerung vergessen.
Das ist nicht meine Ansicht.

Du hast nebulös von „politischen Maßnahmen“ gesprochen. Das kann alles mögliche sein, beispielsweise ein folgen- und zahnloses „Nah-Nah-Nah“ oder Embargos, aber eben auch Krieg. Gut, du meinst damit „Nah-Nah-Nah“ und ein paar Wahlkampfveranstaltungen verbieten.
Nein. Ich habe nun mehrfach geschrieben, was ich damit meine. Es gibt eine ganze Palette von möglichen Maßnahmen zwischen "zahnlosem Nah-Nah-Nah" und Krieg. Waffenlieferungen und Zollunion sind beispielsweise zwei Ansatzpunkte.

Und nun habe ich keine Lust mehr auf deine Versuche, mir was zu unterstellen, was ich nicht geschrieben habe, und beende die Diskussion für meinen Teil.


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Ich mag deinen Ton nicht. Und nein, ich möchte nicht "Erdogan loswerden". Ich möchte, dass das türkische Volk sich seine Führer selbst wählen und wieder absetzen kann. Dafür braucht es aber demokratische Rechte.

Ich glaube nicht, dass es in der Türkei in Zukunft echte freie Wahlen mit einer echten, nicht unterdrückten Opposition geben wird, so lange Erdogan im Amt ist. Ich glaube auch nicht, dass man Erdogan irgendwie dazu bewegen kann, solche Wahlen zuzulassen. Seine Popularität in der Türkei ist relativ hoch. Selbst wenn seine Gegner gegen ihn aufbegehren, würde das wahrscheinlich in einem Bürgerkrieg enden. Mit ungewissem Ausgang. Sollte er siegreich sein, wäre der Weg für ihn wohl geebnet, sollte er unterliegen, wird man wohl kurzen Prozess mit ihm machen (oder gar keinen Prozess). Aber gut, vielleicht passiert ja in der Türkei so etwas ähnliches wie in der DDR. Halte ich zwar für sehr unwahrscheinlich, aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.

Man muss immer auch überprüfen, ob nicht auch die Bevölkerung darunter mehr leiden würde als der Diktator, und Reaktionen abwägen. Ich denke, das ist dir auch klar.

Was soll sich denn bitte ändern, wenn man den Diktator auch noch unterstützt? Glaubst du wirklich ein Diktator würde Geschäfte machen, die nicht zu seinem eigenen Vorteil wären oder seinen Machterhalt gefährden würden? Wenn du von Diktator X Öl kaufst, will X im Gegenzug selbst gut davon leben können und Waffen, damit X seine Stellung behalten kann. Man kann natürlich auch wie im Falle von Nordkorea nur Lebensmittel schicken. Vielleicht überfrisst sich ja der dicke Kim.
 
Letztlich stellt sich die schwierige Frage, darf sich eine Demokratie selbst abschaffen? Darf ein Volk also auf demokratischem Wege beispielsweise mit Hilfe einer neuen Verfassung die Demokratie durch eine Diktatur ersetzen?
In Deutschland jedenfalls nicht. Das gehört für mich zu den menschenrechten: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Art 20, 4

Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
 
Na ja, den eigentlichen Knackepunkt hat TECnician ja schon benannt. Wenn das Türkische Volk in einem demokratischen Referendum mehrheitlich dafür stimmt, seine eigenen demokratischen Rechte zu beschränken, dann ist das ja das Ergebnis der Ausübung seiner demokratischen Rechte. Also aus demokratischer Sicht scheinbar absolut legitim.
Wenn man es aber nicht vom Prozess, sondern vom Ergebnis her betrachtet ist das anders. Nur darf man das? Ist die Ausübung demokratischer Rechte nur dann legitim, wenn das Ergebnis den Vorstellungen anderer davon, was demokratische Verhältnisse sind, entspricht?
 
Ich schrieb ja: in Deutschland. Wie du weißt, dürfen einige punkte unseres grundgesetzes von niemandem geändert werden. Was verfassungswidriges verfassungsrecht ist, muss ich dir wohl nicht erklären.

In der türkei scheint die regelung nicht zu gelten, weiß ich aber nicht.
 
Ich habe mich gestern aber eher auf deine Forderung bezogen, Erdogan und seine Positionen zu "tolerieren". Politische Positionen kann ich gut tolerieren. Wenn sie aber zu politischen Handlungen werden, gilt das Gebot der Toleranz für mich nicht mehr. Und in dieser Debatte geht es um konkrete politische Handlungen Erdogans: Die massiven Einschränkungen der Grundrechte, Bespitzelung und staatliche Verfolgung von Oppositionellen, die Wiedereinführung der Todesstrafe, die "Re-Islamisierung" von Recht und Gesetz, usw..

Um es nochmal zu sagen: Meinungen muss ich immer tolerieren (ausdrücklich nicht: respektieren oder akzeptieren), Handlungen aber nicht unbedingt. Und was ich nicht tolerieren kann, muss ich bekämpfen, da stimme ich zu. Was ich aber aus deinen Beiträgen immer wieder herauslese (korrigier mich bitte, wenn ich das falsch verstanden habe), ist: AKP-Leute sollen sich hier nicht äußern dürfen, weil sie Böses im Sinn haben (das hat Pegida in meinen Augen auch, was an ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung aber nichts ändert) oder sich bereits durch böse Taten "disqualifiziert" haben (wodurch sie das Recht auf freie Meinungsäußerung aber auch nicht verwirkt haben).

Als Argument kann man natürlich ins Feld führen, dass auch die Meinungsfreiheit Grenzen hat, wenn z.B. offen zu Gewalt aufgerufen wird oder die Sicherheit nicht mehr gewährleistet werden kann. Das muss dann aber gut begründet werden, ein lapidarer Hinweis auf mangelnden Brandschutz reicht da natürlich nicht. Erst recht nicht: "Das lassen wir uns nicht gefallen", denn das ist kein Argument, sondern das Eingeständnis, das Prinzip Meinungsfreiheit nicht verstanden zu haben.

Ich trenne deshalb so scharf zwischen Reden, Absichten und Taten, weil man schnell in Teufels Küche kommen kann, wenn man - nach dem Motto "Der Zweck heiligt die Mittel" - es mit fundamentalen Rechten wie eben der Meinungsfreiheit nicht so genau nimmt. Dann kommt natürlich sofort die Frage, warum X seinen Scheiß absondern darf, Y aber nicht. Und die Verfechter der Freiheit geraten in Erklärungsnot und müssen sich vorhalten lassen, ihre eigenen Werte ad absurdum zu führen, indem sie sie selektiv anwenden. Einen besseren Gefallen kann man den Feinden der Freiheit auch gar nicht tun. Besser wär's doch, wir würden unsere Werte hier mal verteidigen und nicht immer sofort einknicken, wenn's wirklich um die Wurst geht. Wenn beispielsweise eine Glaubensgemeinschaft verlangt, Kinderrechte einzuschränken...
 
Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
Dieser Satz ist eine Lehre aus der Machtübergabe an die Nationalsozialisten, die im Rahmen geltender Gesetze stattfand. Gesetze lassen sich ändern, Bevölkerungen manipulieren, Volksabstimmungen können die eigenen Rechte abschaffen, Diktatoren gewählt werden.

Aber hier im Fall der Türkei ist die Frage zunächst, wie weit wir solche Bestrebungen hier, auf deutschem Boden tolerieren müssen. Die zweite, inwieweit wir die Opfer der Autokraten und Diktatoren unterstützen. Denn meistens sind sie auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen. Und die dritte, inwieweit wir mit den Dikaturen zusammenarbeiten und Handel treiben.

Die staatsrechtliche Frage, ob die türkische Demokratie sich abschaffen darf, lässt sich nur mit der türkischen Verfassung klären.
 
Ich schrieb ja: in Deutschland. Wie du weißt, dürfen einige punkte unseres grundgesetzes von niemandem geändert werden. Was verfassungswidriges verfassungsrecht ist, muss ich dir wohl nicht erklären.

Naja, praktisch gesehen gelten Gesetze und Verfassungen nur so lange wie sich Menschen ihnen verpflichtet fühlen und so lange jemand da ist, der ihre Einhaltung durchsetzt. Was würde also passieren, wenn die Einwohner Deutschlands sich morgen eine neue Verfassung geben würden und beschließen das Grundgesetz ad acta zu legen? Was würde passieren, wenn es nur eine Mehrheit täte? Das Grundgesetz gäbe der Minderheit das Recht die Mehrheit daran zu hindern. Was wäre die Konsequenz? Die Mehrheit ruft einen neuen Staat mit neuer Verfassung aus (mit oder ohne Zustimmung der Minderheit)? Es gäbe vielleicht einen Bürgerkrieg, der Sieger bestimmt dann welche Verfassung gilt. Würden andere Staaten versuchen der Minderheit beizustehen, um das Grundgesetz zu verteidigen? So wie ich die Sache einschätze, vermutlich nicht. Man würde wohl auch hier die Seite unterstützen, von der man sich Vorteile verspricht.
 
Naja, praktisch gesehen gelten Gesetze und Verfassungen nur so lange wie sich Menschen ihnen verpflichtet fühlen und so lange jemand da ist, der ihre Einhaltung durchsetzt.

Gerade deshalb ist so wichtig, die Werte, auf denen unsere Verfassung gründet, zu leben, zu kommunizieren und zu verteidigen. Der Gesellschaft muss einfach klar sein, was sie daran hat - es gibt keine andere Chance, sie dauerhaft zu erhalten.
 
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