Doch dieses Buch handelt bewusst nicht von politischen oder ökonomischen, von technologischen oder sozialen Entwicklungen.
Auch wir wissen selbstverständlich nicht, wer 2050 Kanzlerin ist (und auch nicht, ob die Bundesrepublik dann überhaupt noch eine parlamentarische Demokratie sein wird). Wir schreiben auf den folgenden Seiten nichts davon, mit welchen Verkehrsmitteln wir uns in 30 Jahren fortbewegen oder mit welchen Geräten wir dann kommunizieren werden. Vorhersagen hierzu sind - da hatte Karl
Valentin recht - hochgradig unzuverlässig.
Ausgangspunkt dieses Buches ist nicht die Soziologie, nicht Politik- oder Wirtschaftswissenschaft - sondern die Physik. Es dürfte kaum einen Bereich geben, in dem sich verlässlicher in die Zukunft blicken lässt als beim Klima. (Ungleich verlässlicher jedenfalls als bei den regelmäßigen Steuerschätzungen - auf deren Grundlage aber ganz selbstverständlich weitreichende politische Entscheidungen gefällt werden.)
Die Grundmechanismen des Klimasystems sind seit vielen Jahren bekannt, manche gar seit mehr als anderthalb Jahrhunderten.
Es ist deshalb sicher, dass sich die Erde 2050 weiter erhitzt haben wird. Wie stark der weltweite Temperaturanstieg ausfallen wird, ist ebenfalls schon ziemlich klar (dazu kommen wir gleich). Und dank immer kleinteiligerer Klimamodelle weiß die Forschung auch bereits relativ gut, was daraus für verschiedene Gegenden Deutschlands folgt und was zum Beispiel an Hitze zu erwarten ist, bei Stark-regen, beim Meeresspiegel. Geht man mit diesen Daten zu Bauern oder Ärzten, zu Forstwirten oder Stadtplanern, dann können die einem mit oft bemerkenswerter Gewissheit sagen, was diese Veränderungen jeweils für ihren Fachbereich bedeuten.
Es drohen horrende Kosten für die Anpassung an ein verändertes Klima - und mehr gesellschaftliche Ungleichheit
In diesem Buch geht es nicht um Klimaschutz, also darum, wie sich der Ausstoß an Treibhausgasen senken ließe. Dass und wie dies möglich ist - konkret: wie die deutschen Emissionen bis 2020 hätten halbiert werden können -, haben wir 2007 in unserem Buch Wir Klimaretter aufgeschrieben.
Auf den folgenden Seiten geht es auch nicht darum, wie man sich an das künftige Klima anpassen könnte. Natürlich, an einigen Stellen des Buches wird es zur Sprache kommen - aber das ist nicht unser eigentliches Thema. Denn wie genau Menschen auf Klimaveränderungen reagieren werden, ist spekulativ. Zum Beispiel rechneten unlängst zwei Forscher vor, dass es technisch durchaus möglich sei, die Nordsee mit gigantischen Dämmen vom Atlantik abzutrennen und so auch gleich noch die Ostsee vor dem Anstieg des Meeresspiegels zu schützen. 637 Kilometer Sperranlagen müssten gebaut werden, zwischen Norwegen und Schottland sowie zwischen Frankreich und England, mindestens 50 Meter breit und 100 bis 320 Meter hoch (also tief). Auf rund 550 Milliarden Euro taxierten die Wissenschaftler die Kosten.
Wer weiß? Vielleicht entscheiden sich die Anrainerstaaten von Nord- und Ostsee irgendwann tatsächlich für ein solches Giga-Projekt. Vielleicht siedeln sie aber auch Küstenstädte um. Oder tun etwas ganz anderes. Niemand kann wissen, welche Risiken eine Gesellschaft einzugehen bereit ist, wie stoisch sie eventuell welche Schäden hinnimmt, welche Kosten für Gegenmaßnahmen sie für angemessen hält, welche technologischen Optionen für vertretbar.
Lange Zeit haben Klimaschützer ungern über Anpassung geredet. Vermutlich hatten sie Sorge, damit Druck aus der Klimadebatte zu nehmen - also die Diskussion wegzulenken von der existenziellen Frage, wie der Ausstoß von Treibhausgasen gesenkt werden kann. Die Befürchtung ist durchaus berechtigt. Denn flüchtig betrachtet mag es so wirken, als wäre Anpassung an den Klimawandel eine Alternative zu unbequemen und bisweilen teuren Emissions-minderungen. Als wäre es einfacher, sich halt ein bisschen auf ein verändertes Klima einzustellen.
Das Gegenteil ist richtig. Je weiter man sich ins Thema Anpassung vertieft, desto mehr Probleme tauchen auf. So sagt es sich schnell, dass - um nur ein Beispiel zu nennen - in 30 Jahren alle Krankenhäuser und Altenheime in Deutschland Klimaanlagen brauchen. Doch Tausende Großeinrichtungen mit verlässlich und halbwegs energieeffizienter Kühlung nachzurüsten, bringt eine unüberschaubare Fülle technischer und praktischer Schwierigkeiten mit sich (von den Kosten ganz zu schweigen).
Apropos Kosten. Beschäftigt man sich mit den absehbaren Folgen des Klimawandels in Deutschland, wird schnell offenkundig, dass in den kommenden Jahrzehnten gewaltige Ausgaben auf das Land zukommen. Ein leistungs- und handlungsfähiger Staat ist in Zeiten des Klimawandels mindestens so überlebenswichtig wie während der Corona-Pandemie.
Bisher gibt es keine belastbaren Daten dazu, was genau die Folgen des Klimawandels für Deutschland finanziell bedeuten werden - und vermutlich ist es unmöglich, die notwendigen Ausgaben für Anpassung und erwartbare Schäden auch nur halbwegs verlässlich zu beziffern. Aber es ist schon erstaunlich, wie oft (und laut) über Kosten von Emissionssenkungen debattiert wird. Wie sich manchmal an einem einzelnen Windrad verbissene Konflikte entzünden, die ganze Dörfer entzweien. Wenn es jedoch tatsächlich ums Überleben geht - nämlich um die konkreten Auswirkungen der künftig viel gefährlicheren Klimaverhältnisse -, herrscht weitgehend Schweigen. Da wird weder über praktische Umsetzbarkeit geredet noch über die Verteilung von Lasten. Und auch nicht darüber, ob - verglichen mit den horrenden Kosten einer Klimaanpassung - die Ausgaben für Minderungen des Treibhausgas-Ausstoßes nicht vielleicht sehr viel besser angelegtes Geld sind.
Hier nur ein paar Zahlen: Nach dem Dürresommer 2018 zahlten Bund und Länder mehr als 300 Millionen Euro Soforthilfen an Landwirte, 2019 gab es 800 Millionen für die Forstwirtschaft. Nach den verheerenden Waldbränden jenes Jahres schaffte allein Mecklenburg-Vorpommern neue Feuerwehrtechnik für 50 Millionen Euro an, in den Küstenschutz hat das Bundesland seit 1991 rund
450 Millionen Euro investiert. Orkan »Sabine« richtete im Februar
2020 bundesweit etwa 675 Millionen Euro Schäden an, wobei der Sturm noch als relativ glimpflich galt: Orkan »Kyrill« 2007 kostete allein die Versicherer mehr als drei Milliarden. Das Hochwasser an Elbe und anderen Flüssen 2013 verursachte nach Angaben der Münchner Rückversicherung Schäden von mehr als zwölf Milliarden Euro. Der Klimawandel macht Extremwetter in den kommen den Jahrzehnten deutlich häufiger. »Wir werden dauerhaft mehr Geld brauchen«, brachte es der baden-württembergische Agrarminister Peter Hauk (CDU) Ende 2019 auf den Punkt.
Und noch ein vollkommen vernachlässigtes Thema fällt auf:
Der Klimawandel wird - auch dies ist keine spekulative Aussage - soziale Ungleichheiten vertiefen. Weltweit ist bereits offensichtlich, dass ärmere Staaten wie auch ärmere Menschen (obwohl sie viel weniger zum Klimawandel beitragen) stärker unter den Folgen leiden als reiche. Dasselbe Phänomen wird sich in Deutschland zeigen. Auch hierzulande verursachen Wohlhabendere deutlich mehr Treibhausgase. Doch wer genug Geld hat, kann sich in seiner Wohnung eine Klimaanlage leisten (oder lebt sowieso in einem Häuschen mit schattigem Garten). Wer Vermögen hat, wird einfacher fortziehen können aus flutgefährdeten Gegenden. Schon heute beeinflusst das Einkommen die Wohnqualität, Gesundheit und Lebenserwartung - beispielsweise wohnen an lauten Hauptstraßen mit schlechter Luft überproportional viele ärmere Leute.
Der Klimawandel wird die ungleiche Belastung mit Risiken verstärken.