Da sagst du was! Ich glaube, beide Begriffe taugen vor allen Dingen dazu, Menschen zu verunsichern und sie dazu zu bewegen, Machtstrukturen nicht zu hinterfragen und sie als unvermeidlich zu akzeptieren. Mal mit Zuckerbrot, mal mit Peitsche. Als Angela Merkel zur Wahl 2005 antrat, warb sie u.a. mit dem Slogan: "Die Chancen der Globalisierung nutzen!". Als Kanzlerin nutzte sie den Begriff dann regelmäßig, um damit den Sozialabbau zu begründen. Stets nach dem Schema: Ja, wir hätten den alten Sozialstaat auch gerne wieder, aber leider, leider, die Globalisierung...
Das funktioniert bis auf den heutigen Tag bestens, aber nur deshalb, weil niemand so recht weiß, was an der Globalisierung des 21. Jahrhunderts wirklich neu ist und inwieweit sie den Rahmen des politisch Möglichen wirklich zwingend einschränkt. Global war der Kapitalismus jedenfalls schon immer, er war es ganz und gar, der globale Handel wurde allerdings von zwei Weltkriegen und deren Folgen (Ostblock, Eiserner Vorhang) gestört. Es mag nach dem Mauerfall tatsächlich eine qualitativ neue Art der Globalisierung Einzug gehalten haben, aber erklärt hat mir sie noch kein Journalist, kein Ökonom, kein Politiker, niemand.
Oft wird auf die rasanten technischen Entwicklungen verwiesen, insbesondere auf jene, die man selber nicht versteht. Doch bahnbrechende Entwicklungen gab es früher auch: Das erste Atlantikkabel beschleunigte den Informationsaustausch zwischen der New Yorker und der Londonder Börse um den Faktor 10.000, ab Mitte der 60er Jahre wurde der Erdorbit mit Kommunikationssatelliten zugepflastert, alte Technologien wurden entscheidend verbessert und neue erfunden. Und das alles stets unter der Führung eines Systems, das den technischen Fortschritt trieb, um effizienter zu produzieren.
Bei der Digitalisierung sieht es, was den Durchblick derer anbelangt, die ständig von ihr reden, ganz ähnlich aus, und besonders fatal ist dabei die Anschlussfähigkeit an den Begriff "Globalisierung". Einmal mehr dreht sich alles um die Frage, wie man in Zukunft noch Arbeit organisieren kann, und die alte neoliberale Leier vom totalen Selbstverschulden des Einzelnen, wenn er nicht "flexibel" genug war, nicht "Schritt halten" konnte, wird auf die Spitze getrieben. Was auf der anderen Seite eine Überreaktion hervorruft, der Ruf nach dem BGE. Alles maßlos und krank.
Und nur dann zu verstehen, wenn klar ist, dass alle Welt im Trüben fischt. Harald Welzer brachte das mal schön auf den Punkt: "Fragen Sie mal einen Politiker, der über die Instrustrie 4.0 schwadroniert, was denn die Industrie 3.0 war". Von meinem eigenen beruflichen Umfeld her ist mir das bekannt: Es muss digitalisiert werden, weil das eben die Zukunft ist, und nicht, weil IT an genau diesem oder jenen Punkt wirklich Sinn machen würde. Da wird nicht mehr hinterfragt, da wird nicht mehr diskutiert, da werden Fakten geschaffen. Da beißt sich der Hund (oder war's die Katze?) in den Schwanz: Wenn überall aus Furcht, "den Anschluss zu verpassen", alles auf Teufel komm raus mit IT zugepflastert wird, werden wir tatsächlich bald eine komplett digitalisierte, stromlinienförmige und konformistische Welt haben, in der sich Algorithmen wohl fühlen, Menschen aber wohl nur noch sehr eingeschränkt.