networx schrieb:
wie schon erwähnt werde ich mir nächstes jahr toronto anschauen und mir dann ein klareres bild verschaffen.
Und auch dann kannst Du lediglich begrenzte Aussagen über Toronto machen. Kanada ist derartig groß, dass sich der durchschnittliche Mitteleuropäer keine Vorstellung machen kann. Dieses Land bietet dadurch einzigartige Möglichkeiten, sowohl im beruflichen, als auch im privaten Bereich.
Dass es natürlich wie überall auch Kehrseiten der Medaille gibt, ist eine Binsenweisheit, und jeder Auswanderwillige muss für sich selbst entscheiden, ob er mit diesen Nachteilen leben kann. Und selbst die Nachteile sind in Kanada regional begrenzt.
Beim Thema Ausländerfeindlichkeit haben wir bereits widersprochen.
Dass sich studierte Ausländer als Pizzaboten verdingen müssen, ist eine Verallgemeinerung, die fast schon in einer Satire Platz hätte. Klar gibt es solche Fälle. In Deutschland doch auch. Übrigens nicht nur bei Ausländern, sondern auch bei "Inländern". So what? Deswegen eine Aussage für ein Riesenland treffen?
Sozialversicherung ist tatsächlich in weiten Bereichen nicht unbedingt mit Deutschland vergleichbar. Andererseits ist es in Kanada wesentlich leichter, sich mit zeitweiligen Jobs wunderbar über Wasser zu halten als in Deutschland. Es gibt diverse Menschen, die in Kanada ausschließlich davon leben. Und gar nicht mal so schlecht. Kommt drauf an, wo in dem Land.
Ärztemangel? Klar, wenn Du nach Nunavut oder in die NWT gehst, kann es sein, dass Du 800km bis zum nächsten Arzt fahren musst. Verschwiegen wird allerdings dabei gern, dass Du auf diesen 800km nur einigen Karibus, Schwarzbären und jeder Menge Ground Squirrels begegnen wirst, da es keine Siedlung dort gibt. Daraus auf das ganze Land schließen? Unsinn.
Die Metropolen sind mitnichten sauteuer. Es kommt drauf an, was Du erwerben willst. Einzelhäuser in den Außenbezirken Vancouvers, Calgarys, Edmontons, Winnipegs, Reginas, sind billiger als in den Außenbezirken (10km) Frankfurts, Hamburgs oder Münchens. Essen nimmt sich nicht viel, deutsche Autos sind in der Tat teuer, Büffelsteak oder Karibufilet sind in Whitehorse wesentlich billiger als in Uelzen. Zitronen in Dawson sind dagegen fast unbezahlbar, verglichen mit Krefeld. Es kommt darauf an, was und wo.
Das Wetter ist scheiße. Klasse. Stimmt. In Tofino auf Vancouver Island hatte ich mal einen derben Regentag. 500km weiter hat die Sonne geschienen. 1000km weiter hat es geregnet. 2000km weiter auch. 3000km weiter war gutes Wetter. 4000km weiter auch. Wir haben aber af diesem Wege schon mehrere Hoch- und Tiefdruckgebiete passiert. Das Wetter ist ähnlich abwechslungsreich wie in Europa. Würdest Du Madrid als Regenloch bezeichnen, nur weil es in Dublin alle naselang schüttet? Oder würdest Du das Nordkap als subtropisches Refugium wählen, weil der letzte Urlaub auf Ibiza so schön war? Wohl kaum. In Inuvik/NWT bist Du in der Arktis, in Kamloops/BC dagegen in der Halbwüste. Was würdest Du antworten, wenn Dich jemand fragt, wie das Wetter in Europa ist? Die beste Antwort ist wohl: "seeeeehr unterschiedlich". Wie in Kanada.
Kanada hat keine Kultur. Nunja. Was ist Kultur? Ist es das, was die Europäer seit dem 12. Jahrhundert an großartigen Bauwerken produzieren? Ganz klare Antwort: Kanada hat keine Kultur. Wenn Du Kultur allerdings definierst als Reproduktion von Musik, die weltweit komponiert wurde und überall gespielt wird, hat Kanada genauso viel oder wenig Kultur wie andere zivilisierte Länder auch. Ob ich die Zauberflöte in Ottawa oder in München sehe, ob ich Beethovens 9. Symphonie in Wien oder Calgary höre, ist völlig wurst.
Was mir in Deutschland ein wenig fehlt, sind die teilweise jahrhundertealten Totempfähle der "first Nations". Oder die faszinierenden Speckstein-Schnitzereien der Inuit. Es ist immer eine Frage des Standpunkts. Und Goethe liest sich in Dead Horse genauso gut wie in Wanne-Eickel.