Es bleibt die Frage, ob die deutsche Politik hier nicht ein Eigeninteresse hatte, den IWF mit ins Boot zu holen, da man "eine wirkliche europäische" Lösung, entsprechend früherer Erfahrungen, womöglich fürchtete, also genau das verhindern wollte.
Ich glaube, der IWF wurde ins Boot geholt, weil man selbst nicht die Verantwortung für die "harte Hand" übernehmen wollte. Sozusagen als Sündenbock, auf den man die Härten abwälzen kann. So ähnlich wie bei Unternehmensberatungen, deren einziger Existenzgrund ist, daß Firmen jemand Fremden dafür bezahlen wollen, die Massnahmen "vorzuschlagen" die man selbst für richtig hält aber nicht vor der Belegschaft durchsetzen will. Ich kenne das von meinem Vater, der im höheren Management war, und ziemlich exakt erzählt hat, wie das läuft. Da kommen die Berater und begutachten die Firma, und besprechen dann mit den Managern was sie denn bitte gerne vorschlagen sollen. Eine win-win-Situation, in der die Firma tun kann was sie sowieso vorhatte, aber die Schuld an den Unternehmensberater "abtritt", der dafür fürstlich entlohnt wird. Die einzigen, die darunter leiden, sind die Bediensteten, die eventuell gefeuert werden. Im Fall Griechenlands dann eben die Bevölkerung.
Offensichtlich hat die EU dabei die Härte des IWFs unterschätzt (während Merkel sie zumindest am Anfang richtig eingeschätzt hatte), so daß sich der Sündenbock verselbständigt hat. Es wird dringend Zeit, den IWF aus der Troika rauszukegeln. Das geht aber nur, wenn irgend jemand die Schulden Griechenlands beim IWF übernimmt (die beste und einfachste Lösung dafür wären übrigens die in D so verschrieenen Eurobonds).
Es geht ja auch bei weitem nicht nur um das alleinige Ziel, Griechenland zu helfen, sondern viele andere Faktoren werden berücksichtigt: Verträge, rechtliche Problematik, Zuständigkeiten, politische Verantwortlichkeit, demokratische Aspekte, Signalwirkungen, Symbole, politische Animositäten, Regierungsparteien bedrohende Opposition, Gerechtigkeitsaspekte, Fragen der Solidarität und der Wirkung der Krise und deren Behandlung auf andere.
Zuallererst ging es natürlich darum, die eigenen Banken zu schützen. Das Kalkül war, wir retten die Bankenteile, die in GR investiert sind, das ist billiger als wenn die gesamte Bank bankrott geht und dann als Käufer für die eigenen (deutschen, französischen...) Staatsanleihen ausfällt.
Daß die anderen Faktoren, die du nennst, tatsächlich berücksichtigt wurden, kann ich nicht sehen. Verträge wurden gebrochen, rechtliche Problematiken ignoriert, Zuständigkeiten übergangen, politische Verantwortlichkeit hat keiner übernommen. Symbole wurden mit Füssen getreten, politische Animositäten geschürt, und von Gerechtigkeitsaspekten und Fragen der Solidarität wollen wir gar nicht anfangen...
Und wenn die Zeit schreibt:
mag man den Artikel vielleicht als nicht differenziert genug betrachten, aber sich auch die Frage stellen, wie die griechische Politik den notwendigen Wandel denn nun angehen möchte, der auch bedeutet, vielen Kreisen in Griechenland auf die Füße zu treten: mit Wucht und schmerzhaft.
Ohne jemandem auf die Füsse zu treten kann man nie und nirgends Politik machen. In einem Land mit einer heftigen Staatsschuldenkrise schon gar nicht.
Aber:
ZEIT schrieb:
Seit drei Monaten ist die neue Regierung nun im Amt. Das ist angesichts der Herausforderungen, denen sie sich gegenübersieht, keine lange Zeit. Doch nach drei Monaten kann man die Frage stellen, ob zumindest die Richtung stimmt.
ist absolut zynisch. Die neue Regierung hatte nicht
einen Tag, in dem sie die Richtung bestimmen konnte. Vom ersten Tag nach der Wahl wurde von de EU eine Drohkulisse aufgebaut, auf keinen Fall auf die Idee zu kommen irgendwie die Richtung zu ändern. Anschließend zu sagen, man müsste "die Frage stellen, ob zumindest die Richtung stimmt", ist wirklich frech. NEIN, natürlich stimmt die Richtung nicht. Es ist aber genau die gegenteilige Richtung von der, die die neue griechische Regierung einschlagen wollte und nicht durfte. Wenn man also richtigerweise sagt, die Richtung stimmt nicht, weist man mit allen verfügbaren Fingern auf die Troika, die diese Richtung durchzudrücken versucht.
und:
Die neoliberale Troika wirft einer linksradikalen Regierung vor, eine Politik für die Reichen zu machen – auch das gehört zur Bilanz der ersten drei Monate von Alexis Tsipras.
ist auch frech. Der Vorwurf beruht einzig und allein darauf, daß die Regierung es ermöglicht hat, bestehende Steuerschulden in Raten zu bezahlen. Das als "Politik für die Reichen" zu diffamieren (offensichtlich ist die Logik der EU dahinter "nur Reiche haben Steuerschulden") geht an der Realität vorbei, und klammert aus, daß es damit
überhaupt zum ersten Mal einen Ansatz gibt, diese Steuern einzutreiben. Lieber in Raten als - und nur das ist die Alternative - gar nicht (so wie unter den Vorgänger-Regierungen). Es klammert auch aus, daß in GR der Großteil der Steuersünder keine Reichen sind, sondern kleine Selbständige. Und natürlich klammert es aus, daß Ratenzahlung von Steuerschulden in Deutschland und den meisten anderen EU-Ländern
schon immer möglich sind. Bei den Griechen ist das plötzlich "Politik für die Reichen" und schädlich?