Zu "Feststellung": Die Stiftung veröffentlicht auf ihrer Seite einen Bericht über eine von ihr veranstaltet Diskussion. Das ist natürlich keine echte "Feststellung" der Stiftung, dennoch wird dort als Faktum und nicht als indirekte Rede oder konjunktivistisch festgestellt:
Putin-kritische Meinungsbeiträge werden auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zunehmend nicht mehr gesendet, in renommierten Talkshows treten immer wieder die gleichen, wenig kritischen Personen auf; kritische Journalisten werden nicht nur nicht mehr um ihren Kommentar gebeten, sondern erhalten Hass- und Drohbriefe – und das in einem Land, das auf seine Pressefreiheit stolz ist. Was stimmt da nicht?
Und diese Feststellung (seitens der Autorin, die für die Stiftung arbeitet) bezweifle ich – auch wenn ich wie spoege kaum fernsehe. Schauen wir die Gästeliste von Anne Will gestern an, stelle ich keinerlei Mangel an "kritischen" Personen fest. Mit Röttgen und besonders Reitschuster sind gleich zwei überaus kritische Gäste eingeladen. Auch Frau Beck und Frau Harms sind eher öfter Gäste. Auch in den von mir rezipierten Printmedien stelle ich keinerlei Tendenz eines Sinkens "Putin-kritischer" Beiträge fest. Ich halte diese vermeintliche Faktendarstellung folgerichtig für falsch und - bei wohlwollendster Beurteilung - für das Ergebnis einer Filter Bubble in der sich die Journalisten und Stiftungsmenschen befinden.
Dies war auch der Anlass meiner Frage an spoege, denn für mich sind diese Aussagen auf der Stiftungsseite keineswegs nachvollziehbar und wollte deswegen von jemandem eine Meinung einholen, der eine deutlich andere Einstellung zur deutschen Presselandschaft hat.
Auch das vermutlich positive Fazit ("sollte der Propaganda-Einfluss nicht zu hoch gespielt werden") sehe ich kritisch, es wird eingeleitet von einem "bei aller Besorgnis um die Qualität der der deutschen Berichterstattung" (da diese zu Putin-unkritisch sei). Auch die ukrainische Presse wird in diesem Beitrag nur als "immun gegen Putin-Propaganda" beschrieben, die selbst von westlichen Organisationen festgestellten Probleme mit der Pressefreiheit (Oligarchen, Informationsministerium unter dem Schwiegersohn des Präsidenten, Gewalt gegen Journalisten, Strafrechtliche Verfolgung bei abweichender Berichterstattung, Entlassung selbst pro-westlicher Journalisten wie Shuster wenn sie "audiatur et altera pars" versuchen) kommen nicht zur Sprache.
Wie spoege in seiner ersten Antwort ebenfalls festgestellt hat: Die ständige Personalisierung ist ebenfalls ein Problem, egal welcher Meinung man ist, es sollte um Systeme und Strukturen gehen, weniger um Personen. Ich halte diese Personalisierung, die auch den Bericht der Bertelsmannstiftung kennzeichnet, schon für ein Zeichen fehlender Objektivität und vor allem mangelndem Verständnis, für Boulevardisierung und Vereinfachung.