Dann arbeite an der Umkehrung!
Um anderen Mitbürgern zu gefallen? Ich bin dem "System" dankbar, das ich die Ehre hatte, einen Lebensabschnitt auf der guten Seite zu verbringen, fernab von Aufgaben und Inhalten, die den Kommerz bedienen.
Bevor ich Lehrer wurde, malte ich mir ein absurdes Szenario aus, welche Berufstätigen beim nächsten Krieg einen Platz im Bunker erhielten, um mit der Aufgabe betreut zu werden, die Geschichte und Kultur des Landes für die nachfolgenden Generationen zu erhalten und weiterzugeben. Sicher, falls dieser Krieg kommen wird, macht ein Überleben keinen Sinn, aber darum ging es mir nicht. Ich fragte mich einfach, ob ich als Designer oder als Lehrer "wertvoller" für die Gemeinschaft wäre, denn es gab mal politische Überlegungen in den USA, im Fall eines Atomschlags nur die Bürger des Landes zu "retten", die in den Augen der Regierung einen gesellschaftlichen Wert besitzen. Unbestritten würde die Liste angeführt von Medizinern, Ingenieuren und Wissenschaftlern. Auf Basis dieser Überlegungen fragte ich mich, ob Designer einen Platz auf dieser Liste hätten oder ob die Gesellschaft gut auf sie verzichten könnte.
Diese und weitere Fragen habe ich damals mit Kollegen aus der Werbebranche besprochen und wir kamen zu dem Ergebnis, das wir zu denen gehören werden, denen man den Zugang zu dem abgeriegelten Hochsicherheitstrakt für Überlebende eines Atomkrieges verwehren würde. Wir malten uns sogar aus, dass jeder Hausmeister vor uns bessere Chance hätte, einen Platz zu erhalten, denn auch seine Aufgaben haben einen höheren Nutzwert für die Überlebenden. Nun gut, dachte ich, bleiben die Werbeleute eben mit den Anlageberatern und Versicherungskaufleuten vor dem Tor stehen und warten auf den Erstschlag. Doch ich wollte mich in dem Bunker sehen und damit war die Entscheidung, ein Lehramt zu bekleiden, geboren. Ja, Lehrer werden sicher auf der Liste stehen, denn sie sind nützlich. Vielleicht nicht praktisch sinnvoll, aber nützlich. Doch nach der Phase der Neuorientierung, empfand ich die Entscheidung, sein Lebensinhalt nach einem möglichen Überleben nach einem Erstschlag auszurichten, ziemlich dämlich und so hatte ich mehr Freude bei dem Gedanken, beim großen Knall "live" dabei zu sein, statt im Bunker zu hocken. Deshalb bin ich jetzt wieder in der Werbung, weil ich weiß, dass man in dem Bunker nichts versäumt.
Fast schon ein Wort zum Sonntag, nicht wahr?
Doch um die Story auf den Thread zu übertragen:
Wir werden täglich mit einer Wertigkeit konfrontiert, sei es der Wert einer Leistung, der Wert einer Person oder der Wert eines Ziels. Wer seinen "Wert bzw. Preis" nicht kennt, kann ihn auch nicht überzeugend vermitteln. Man muss authentisch bleiben (besonders als Lehrer), auch wenn es Mitbürgern nicht gefällt. Deshalb denke ich nicht daran, an einer Umkehrung zu arbeiten sondern bleibe der, der ich bin.
Was die "Abgehobenheit und Arroganz" betrifft: Die ist weiterhin akut, nicht nur in der Werbebranche. Oben wird die Luft bekanntlich dünner und dabei gilt es, jeden Freiraum zu verteidigen. Probleme damit haben nur die, die sich auf dem Weg nach oben befinden und den Druck von allen Seiten spüren. Ich spreche in dem Zusammenhang lieber von Verantwortung und Bewusstsein. Was wäre die Romanfigur James Bond ohne Arroganz? Gerade deshalb lieben die Fans ihren Helden. Sie wollen so sein wie er, aber meckern, wenn jemand so ist?
Nein, ich bin nicht James Bond. Ist im Bunker noch ein Plätzchen frei?
- Sterling