Kurz vor schluss gebe ich auch noch meine kommentare zu den geschichten. Ich versuche, rein am text zu bleiben, weil ich ja weiß, wer den jeweiligen text geschrieben hat (inzwischen müsste aber jeder jeden zuordnen können).
1 Klick
Die sprache ist lebendig und ich sehe die frau bildlich vor mir. Ich spüre die spannung, wenn die frau immer wieder in dieselbe falle tappt, die sie eigentlich kennen müsste. Sie beruhigt sich, tappt dennoch hinein – und läuft wahrscheinlich schreiend weg, als hilfe zu spät kommt. Schön geschrieben, aber leider kann ich nicht mehr damit anfangen.
2 JOKER
Das ist mal ein origineller plot. Die sprache gefällt mir und natürlich hat es einen moment gedauert, bis ich verstanden hatte, wer da die beerdigung beobachtet. Der kann ein neues leben beginnen – ohne die keifende ehefrau und die miese finanzlage. Endlich hat er einen blick auf die wahren beziehungsverhältnisse. Schöne pointe. Aber wer ist die zur unkenntlichkeit verbrannte leiche im sarg? Ist das ein fehler oder verstehe ich die geschichte nicht?
3 Unerkannt
Die umgebung macht neugierig. Was ist das für eine veranstaltung? Ein yogakurs, ein tantraworkshop, ein buddhistischer gottesdienst, eine swingerparty? Warum verstört die beobachtende frau die anderen bis auf einen, der sie nicht mal bemerkt? Beim schluss suche ich mir selbst aus, ob ich die flügel metaphorisch verstehe oder das ganze als engelsgeschichte nehme. Alles bleibt offen, das gefällt mir.
4 Überraschung
Der papa hat eine peinliche weihnachtsvorstellung abgegeben, obwohl er das nicht gewollt hatte. Ich mag geschichten, in denen sich hauptfiguren bloßstellen oder am ende sterben. Wobei man sich an den kopf fasst und denkt, warum bloß tut er das? Die pointe ist ganz nett, bringt mich aber leider nicht zum lachen.
5 Weihnachten mit toten Tannen …
Die geschichte glaube ich sofort, die figuren sind plastisch dargestellt, das umfeld wie echt. Der kleine ich-erzähler hat sich bei der tanne durchgesetzt, nun soll er erfahren, dass sein allererstes haustier gleich zum weihnachtsessen werden solle. Als die badezimmertür für die schlechte nachricht aufgeht, hätte für mich die geschichte zuende sein können. Jetzt gibt‘s aber noch den toten hamster und den toten bruder, die anscheinend nicht direkt mit der geschichte zusammenhängen. Für mich wäre der bogen, dass man über lebewesen in der familie – auch den karpfen – eher keine weiteren interessierten fragen stellt. Der karpfen überlebt dann doch nach der intervention des erzählers. Hm. Das ist eine hübsche beschreibung, aber ich kriege den dreh nicht.
6 Flaschenpost
Das ist meine. Ich bin unzufrieden damit. Inspiriert hat mich vor ein paar wochen ein forist hier mit eigenwilligen äußerungen zur gestaltung unserer zukunft. Ich schrieb mir allmählich eine liste mit stichpunkten, die ich verwerten wollte und recherchierte ein bisschen. Im kopf hatte ich schließlich eine geschichte, aber keinen schluss. Außerdem fand ich keine zeit zum schreiben. Erst am letzten abgabetag schrieb ich los und brauchte viel länger als gedacht. Ich habe nicht alles unterbringen können, könnte also noch eine langversion daraus machen. Mir fehlte sogar die zeit zum korrekturlesen. Nach dem letzten wort habe ich die geschichte eingetütet, noch fehler drin, fehlende wörter, mindestens eine falsche zahl, buchstabendreher. Normal hätte ich das so nicht abgegeben. Ich hätte schummeln können, indem ich als organisator später noch änderungen eingebaut hätte.
7 Die Deutscharbeit
Die sprache ist erfreulich makellos. Mort Cinder musste ich mir erst mal ergugeln. Der wiedergänger ist es offenbar leid, immer wieder die gleichen blöden fragen gestellt zu bekommen und haut auf den putz. Mir gefällt, dass der autor die Kafka-parabel als aufhänger nimmt, die ich im vorabthread erwähnt hatte. Wir erfahren von der abneigung des erzählers gegen deutschlehrerinnen, die solche blöden fragen stellen. Als leser kann ich dazu eine position haben, die mir die geschichte sympathisch macht oder nicht. Für mich hakt‘s da: Die lehrerin hat eine frage zum text gestellt, der gymnasiast behauptet, darauf nicht antworten zu können, da er den autor nicht fragen könne. Das ist blödsinn – und ich vermute, dass das dem verfasser unserer geschichte nicht klar ist. Ich kann mich täuschen, aber er hat mir den eindruck vermittelt und damit seine kompetenz für den rest verspielt. Die methode der lehrerin nennt sich textimmanent, die aufgabe wäre also allein aus dem zu interpretierenden text zu lösen. Nix hineiniterpretieren, nur heraus. Morts herangehensweise bezieht sich auf die intention des autors – das ist hier natürlich unmöglich –, die lehrerin würde das hermeneutisch nennen. Wenn sie eine wäre. Sie würde das als studierte germansistin selbstverständlich in ihren kommentar schreiben. Tut sie aber nicht. Also glaube ich die geschichte nicht. Damit sind Morts hypothesen unwichtig. Was soll ich dann mit der geschichte?
Mein häkchen hat nummer 3, „unerkannt“, bekommen. Die entscheidung hat lange gedauert.