Kunst Kurzgeschichten-wettbewerb #6

Welche geschichte ist die beste?

  • 1: Klick

    Stimmen: 1 7,1%
  • 2: JOKER

    Stimmen: 1 7,1%
  • 3: Unerkannt

    Stimmen: 2 14,3%
  • 4: Überraschung

    Stimmen: 2 14,3%
  • 5: Weihnachten mit toten Tannen, einem fetten Fisch und dem Hamster sein Tod.

    Stimmen: 5 35,7%
  • 6: Flaschenpost

    Stimmen: 1 7,1%
  • 7: Die Deutscharbeit

    Stimmen: 2 14,3%

  • Umfrageteilnehmer
    14
  • Umfrage geschlossen .
punkreas

punkreas

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Juhu, sieben geschichten konnte ich einsammeln. Danke an die verfasser/innen!

Jede/r forist/in hat nun eine stimme für die beste dieser geschichten. Lasst euch zeit damit, die umfrage endet am 23. Dezember um mitternacht (oh, nein! Ich kann keine uhrzeit dafür einstellen. Also endet sie am 24. um 7:10 Uhr). Noch wichtiger sind womöglich die rezensionen, die ihr ab sofort fleißig zu jedem text schreiben dürft. Das dürft ihr auch nach dem ende der umfrage weiter tun. So wie ich als organisator und selbstmitschreiber das machen werde.

Viel spaß!
 
1

Klick

»Oh man – nicht schon wieder!« Entnervt rauft sie sich die Haare und ein paar
Schuppen rieseln lautlos auf das neue Shirt. »Wenn ich jetzt hier klicke, müsste
sich... NeinneinNEIN, was ist das denn jetzt für ein Scheiß?! Oh. Bitte. Nein.«
Ihre Gesichtsfarbe entleert sich langsam in ein fahles Aschgrau und Schweiß
perlt von der Stirn, während sich die Hände auf der Tastatur verkrampfen,
begleitet von einem leichten Zittern. Selbst nach 20 Jahren IT gelingt es ihr
nicht, Ruhe zu bewahren.

»Atmen hilft immer«, sagt sie sich und der letzte Yoga-Kurs kommt ihr in den
Sinn. Wollsocken und warme Hände, wie wunderbar...
»Ah - jetzt, endlich. Wie blöd kann man nur sein.« Ein erleichtertes Kichern
später klickt sie auf den grünen Button. Er leuchtet auf, doch auch dieses Mal
passiert nichts.

Angespannt presst sie die Luft zwischen den Lippen heraus. »Mein Telefon, wo
ist mein Telefon? Wer hat Zeit? Jetzt! Verdammt! Wo ist das bescheuerte
Telefon!«

Ihr Telefon klingelt, aber sie hört es nicht mehr.
 
2

JOKER

Die Rede des Pfarrers war entsetzlich. „…ein treuer und liebender Ehemann…“ Tom verzog das Gesicht. ‚Eine Heldentat, bei dieser Hyäne von Frau, ewig zickig, immer unzufrieden…‘
Er schaute sich die Trauergäste an. Es waren erstaunlich viele. Einige kannte er gar nicht. Schaulustige? Elli von nebenan schien schwer erschüttert. Sie heulte wie ein Schloßhund. Sie war immer so scheu, aber aufmerksam gewesen. Warum hatte er sich nie für sie interessiert? Hatte er hier eine Chance verpaßt?
Und Erik, sein bester Freund, wie zärtlich er die Hyäne stütze. Ah ja…da war schon lange der Verdacht, daß er nicht seinetwegen so oft „nur mal kurz Hallo“ sagte. Hatte sie ihm zu all ihrem Gekeife auch noch die Hörner aufgesetzt?

An diesem Morgen vor einer Woche hatte er auf dem Weg zum Meeting noch einmal umgedreht.
Er hatte die Kollegen informiert, daß er mit Verspätung kommen würde. Ein Teil der Unterlagen lag noch im Flur. Er hatte sie übersehen, weil seine ach so wunderbare Frau irgendwelche Kataloge darauf plaziert hatte, bevor sie selbst zur Arbeit ging. Außerdem zerbrach er sich den Kopf darüber, wie er ihr am Abend beibringen würde, daß ihre Finanzen aufgrund einer fatalen Fehlinvestition gerade den Bach hinuntergingen.
Er parkte das Auto vor dem Haus, aber statt hineinzugehen, entschied er sich für ein oder zwei Zigaretten im gegenüberliegenden Park. Er brauchte noch etwas Zeit, seinen Kopf zu klären, die Gedanken und Emotionen zu ordnen.

Plötzlich eine ohrenbetäubende Explosion, ein Beben unter seinen Füßen, eine Rauchwolke vernebelte sein Auto und das Haus. In der Zeitung las man „Defekt der Gasleitung“ und „Die Rettungskräfte benötigten zuviel Zeit…Leichnam bis zur Unkenntlichkeit verbrannt“.

Tom warf noch einen Blick auf das Trauerszenario, auf seinen Sarg, nickte anerkennend und verließ in aller Stille und mit einem Lächeln den Friedhof.
 
3

Unerkannt

Die Anderen beobachteten sie verstohlen.
Sie war zum ersten Mal hier. Sie wirkte interessiert und beinahe bedrohlich entspannt. Wer war sie und konnte sie eine Gefahr sein? Könnte sie die Aufmerksamkeit des Meisters auf sich lenken? Würde er ihr mehr Beachtung schenken?

Eine unterschwellige Spannung baute sich auf. Gedanken schwirrten im Raum wie erschreckte , gackernde Hühner. Dazu ein ergebenes Nicken zur Rede des Meisters, wahllos, denn die Emotionen zerstreuten die Konzentration.
Der Meister, selbstzufrieden, mit geschlossenen Augen, berichtete über Mitgefühl und die Erhabenheit des Geistes.

Sie saß auf dem Boden hinter den Anderen, aufrecht und mit einem offenen, klaren Blick.
Und sie sah den Meister in seine Welt entschwinden, sah seine Anhänger, sich innerlich winden und zappeln. Sie sah das Licht der Kerzen und nahm den Geruch geräucherter, edler Hölzer wahr.
Dann stand sie leise auf. An der Tür ein Blick zurück auf Einen, der ihr Gehen nicht bemerkte und Viele, die ihre Erleichterung nicht verbergen konnten. Sie lächelte.

Draußen vor dem Haus ging sie einige leichte Schritte, sah sich auf der leeren Straße um und breitete ihre Flügel aus. Mit einem lautlosen Satz verschwand sie im Nachthimmel.
 
4

Überraschung

Nikolaus, Weihnachtsmann, Santa Claus…..egal. Er war ihm als Junge verhaßt gewesen. „Ho ho ho!“ Dieses peinliche Verhalten der Eltern. Glaubten sie wirklich, er würde seinen Vater nicht erkennen, wegen einem falschen Bart und einem blödsinnigen roten Kostüm? Und das gerührte Glänzen in den Augen seiner Mutter. Es zwang ihn, diese bekloppte Nummer mitzuspielen. Wie dämlich müßte er sein, daran zu glauben, daß der dicke alte Mann sich durch den Kamin quetschen würde, um ihm ein Geschenk vorbei zu bringen. „Ho ho ho!“ Wie dämlich müßte der Alte sein. Fliegende Rentiere, einen übergewichtigen Schlitten im Gepäck. Absoluter Schwachsinn!

Und nun steckte er selbst in so einem Kostüm. Er schwitzte. Der Kunststoffbart kratzte. Er sehnte sich danach, sich den ganzen Müll vom Leib zu reißen. „Ho ho ho!“ Seine Frau würde ihm das endlos vorwerfen. Sportliche Zweisamkeiten wären bis auf Weiteres gestrichen. Und wie hieß jetzt diese Nervensäge von Freundin seiner Tochter? Sein Sohn schaute betreten auf den Boden. Wie in aller Welt würde er diese Schmach bei ihm wieder gutmachen können? 'Sven werden sich diese Höllenmomente genauso auf der Festplatte einbrennen, wie bei mir.' „Ho ho ho!“

Als alle schliefen, schlich er sich aus dem Bett. Mit der Whiskeyflasche setzte er sich auf das Sofa vor den erloschenen Kamin und nahm einen großen Schluck. Er wollte diesen Abend vergessen. Er wollte alle 6.Dezember seines Lebens vergessen. Ein zweiter Schluck. Es rumpelte im Kaminschacht. Ruß rieselte in Wolken. Es tat einen Schlag. Wie aus dem Nichts saß jemand in der Asche. Es war nicht der Schornsteinfeger. Kein Bulgare, Rumäne oder sonst ein Osteuropäer auf Beutezug.

Er warf einen Blick auf die Whiskeyflasche. „Die zwei Schluck reichen da nicht.“, meinte der Weißbärtige in seinem roten Mantel. „Ich habe uns besseren Stoff mitgebracht und erzähle dir mal die wahre Geschichte.“ „Oh oh oh!“
 
5

Weihnachten mit toten Tannen, einem fetten Fisch und dem Hamster sein Tod.

Ende der Siebzigerjahre gab es auch in Deutschland die Bewandtnis, dass sogar der kleine männliche Nachwuchs gerne mal lange Haare tragen durfte oder gar sollte.
So stand er da, der kleine Mann – in dicken Strumpfhosen mit einem Nicki-Pulli, schulterlanges blondes Haar mit Blick auf seine feuerrote Bontempi-Orgel, oder besser "Tisch-Keyboard".

Knallrot mit gierigen kleinen Plastik-Tasten, die verlangten nach einem Punktesystem, statt Noten, gedrückt werden zu wollen.
"Stille Nacht" und "Leise rieselt der Schnee" waren die beiden Gassenhauer, die den rückseitig sitzenden Familienfreunden zu glückseligen Blicken und einem tiefzufriedenen Aussehen verhalfen.
Zumindest immer so lange, bis ich mich verspielt bzw. verdrückt hatte, umdrehte und dies ernsthaft anmerkte und deswegen von Vorn beginnen wollen müsste.

"Einfach weiterspielen solle er" und nicht jedes Mal darauf hinweisen, dass gerade ein falscher Ton dabei gewesen wäre – das tue nicht Not.
Heute weiss ich nur zu gut, wie geduldig sie waren und wie kompromissreich im Ertragen dieses Happenings in der weihnachtlichen Wartezeit auf die Geschenke und dem Festessen mit Sauce.
Die elektronische Plastik-Orgel war seit September in meinem Besitz, Notenlesen nicht – dafür aber "Für Elise" als Dauer-Loop quasi. Ich mochte diese Nummer.
Das weihnachtliche Repertoire allerdings prügelte ich mir erst seit ca. 4 Tagen ins Gemüt.

Damals, mein Stiefvater war ein gut ausgebildeter Koch und gab sich zumeist… ähm, oder zumindest, an einem der Feiertagen seinem Talent hin, um auch für uns mal rein privat lukullisch zu arbeiten,
denn in der Regel war er ja als Chefkoch an Feiertagen eher selten anwesend, weil die Gastronomie zu dieser Zeit ja besonders gefragt ist.
Heiligabend aber war heilig – da war er da. Naja, wenigstens bis zum späteren Nachmittag oder frühen Abend, denn dann durfte er wieder Abends für andere Familien das Weihnachtsessen bereiten.
Deswegen hätte ich ja auch schliesslich nun eine eigene Bontempi-Orgel beispielsweise.

Gut.
Das Bontempi-Wohnzimmer-Weihnachtskonzert war also fast erfolgreich mit halbgespielten Darbietungen "immer wieder von vorne" absolviert worden,
der Kaffee war bereits kalt, der Tee aber "hatte immer Stövchen" und es wurde gefragt, warum der Weihnachtsbaum denn jetzt schon "so ab-nadeln" würde,
denn es wäre ja schliesslich erst Heiligabend und die Nordtanne auch erst seit heute stehen.
"Er hätte bitte, bitte, bitte keinen gesunden frischen Baum haben wollen – ja, lieber gar keinen…, aber wenn denn unbedingt sein müsste, lieber einen, der eh schon tot ist!", kam die erklärende Antwort meiner Mutter.
Tante Ele nickte irgendwie verständnisvoll auf diese Antwort ihrer Frage zur verschönten Weihnachtsbotanik.
Sie war nicht meine Tante, sondern die beste Freundin meiner Mutter und die Person, die so auch als meine Babysitterin freiwillig immer verfügbar war.
Ich liebte auch sie und ihre besondere Art mir die Dinge auf dieser Welt zu erklären. Und ihre bis zum Po langen blonden Haare. Eine Wucht – das Gesamtpaket quasi.
Ausserdem wohnte sie direkt unter uns, zusammen mit ihrem relativ durch geknallten, aber doch äußerst liebenswerten Lebensabschnittsgefährten Andi, der auch lange Haare hatte.
Aber dunkle und immer irgendwas mit Holz machte.
Mit viereinhalb Jahren liess mich Tante Ele sogar mal ihren VW-Käfer steuern, indem ich auf ihrem Schoß sitzend, und dabei vor Freude jauchzend, über eine Wiese tuckern durfte.
Anmalen durfte ich ihr Auto auch immer. So zierten grosse Blumen mit Augen und Händen dieses Gefährt.

"Es war wirklich nicht einfach eine kleine Tanne zu bekommen, die irgendwie schon hinüber aussah, aber auch noch halbwegs in Ordnung.", setze meine Mutter hinzu.
"Ja, glaube ich. Habt ihr ihm denn schon das Andere gesagt?", fragte Tante Ele.
"Nee, Bernd kann es irgendwie nicht und hat eh zu tun und mir zerspringe wohl mein Herz, würde ich es ihm sagen müssen. Bernd wollte das kochen, also sollte er es ihm auch sagen, finde ich.", raunte meine Mutter.
Tante Ele sah sie an und überlegte eine Zeit lang.
"Soll ich es mal versuchen und es ihm erklären?", fragte sie darauf.
"Wenn du magst, versuch' es – ansonsten muss ich ja wieder die Doofe machen und es ihm sagen.", antwortete meine Frau Mama.
"Ok, ich denke, dass wird schon klappen. Ich gehe mal in sein Zimmer und sage es ihm.", mit beiden Händen auf ihren Knien abstützend, erhob sich Tante Ele vom Sofa.
"Er wird nicht in seinem Zimmer sein! Er wird – bei ihm – sein!", sagte meine Mutter mit purer Gewissheit der Dinge.
"Ja, natürlich,… logisch.", entgegnete Ele stehend und noch schnell einen Schluck Darjeeling mit Orangen-Scheibchen nippend.
"Schauen wir mal…".

Bernd werkelte in der Küche, meine Mutter fing an das Wohnzimmer aufzuräumen und deckte einerseits parallel den Esstisch,
sowie andererseits schob sie ein paar Geschenke zwischen die rumliegenden Tannennadeln unter die "lametta-tierte" Winzling-Tanne mit brennenden Kerzen.
Der Andi war unten, um "mal eine zu rauchen" und Ele ging auf bunten selbst gestrickten Socken leise Richtung Badezimmer.
Sie knüddelte sich dabei entschlossen noch einmal behutsam das lange blonde Haar zusammen und schmiss es hinter ihre rechte Schulter.

Mit beiden Händen bis zu den Ellenbogen im Wasser, war ich froh, dass ich meinen Nicki-Pulli vorher ausgezogen hatte,
denn wie ich bereits wusste, wiegen nasse Nicki-Pulli-Ärmel mindestens das Doppelte als trockene und sie trocknen auch nicht wieder so schnell.
Und je nach dem, wann immer so ein Lieblingspulli gewaschen werden durfte, kann dieser im feuchten Zustand gerne auch mal etwas komisch riechen.
Nun aber lag er lieblos hingeschleudert vorm Klo auf dem Boden unseres kleinen Badezimmers; die Klofussumpuschelung verdeckend.
Der Nicki fand in diesem Augenblick eh keine Bedeutung mehr.
Die Bad-Türe war zu, aber nicht verschlossen und ich blickte fasziniert in das klare Wasser unserer bis fast zum Rand gefüllten Badewanne.

"Möchtest du vielleicht etwas Möhre?", fragte ich leise in das Wasser der Badewanne und tauchte langsam eine solche darin.
"Ich habe leider keine Maiskörner in der Küche gefunden, daher jetzt halt die Möhre – du solltest etwas essen.", hallte mir weiter die Wanne meine Stimme stumpf entgegen.
Ich hatte zwar absolut keine Ahnung, warum Fridolin, so nannte ich ihn, seit 2 Tagen bei uns in der Badewanne wohnte, hinterfragte dies aber auch nicht, weil es mir ausgesprochen gut gefiel, ihn da zu haben.
Schier begeistert hatte ich die letzten beiden Tage damit verbracht, auszutesten, was dieser Kollege wohl am liebsten fressen mag und ob er auch meinen weissen Hai aus Gummi so klasse fand, wie ich selbst.
Gebadet wurde deswegen seit zwei Tagen unten bei Tante Ele. Fand ich auch prima – schon alleine wegen der möglichen triefenden Fussspuren auf der hölzernden und knarzenden Treppe im Treppenhaus,
wenn man sich beeilte und der Abtrocknung entkam.
Wie frisch geduschte und duftende Geister – für alle anderen Bewohner im Haus nur als nasse Spuren auf speckigen Holz sichtbar.

Die Möhre wollte er nicht wirklich, hatte es aber redlich versucht.
Bisschen kleine Kackeknödel schwankten auf dem Wannengrund und irgend etwas Grünes und Silbriges in kleinen Scheiben.
Weder das eine, noch das andere konnte man erfassen, da es unter Wasser immer nur davon stob.
Fridolin zog seine Kreise, äugte und atmete.
Ich mochte seinen Blick und seine ruhigen Bewegungen. Es strahlte so viel Ruhe aus, dass ich mich fragte, ob ich das wohl auch so könne.
Unter Wasser so ruhig und behutsam dahin gleiten, alle Zeit der Welt dafür haben mit der Geräuschlosigkeit aller je gefühlten Taubhaut und Ruhe.
Niemand dringt zu einem hervor, alles höchstens dumpf, aber eher still statt laut.
Obwohl ich mich auch dazu fragte, ob meine falsch gespielten Bontempi-Lieder vorhin eventuell bis zu Fridolin vorgedrungen waren.

Das Wasser war ganz schön kalt auf Dauer und als ich gerade überlegte, ob es nicht schön wäre ihm etwas wärmeres einzulassen,
glitt ohne Ton und Geräusch die Badezimmertüre lautlos ein Stück auf, so dass dort im Spalt ein Kopf erschien, bzw. zuerst ziemlich lange blonde Haare, die dabei angpustet wurden.

---

Mein älterer Bruder bekam einmal, als sozusagen aller erstes allgemeines Familien-Haustier einen Hamster, der aber relativ schnell wieder verschwunden war.
Man fand ihn eines Tages tot hinter dem Sofa – nicht meinen Bruder – sondern den Nager.
Und da mein Bruder damals nicht mitteilte, dass der kleine in seine Backen mümmelnde Mitbewohner verschwunden war,
und den Käfig wie das gesamte Zubehör prompt und leise flugs einem Klassenkameraden schenkte, stiess das so auch auf keine weiteren interessierten Fragen.
Meinen Bruder fand man aber tatsächlich auch etliche Jahre später, zwar nicht hinter einem Sofa, aber doch auch tot in einer der Wohnung.
...
 
noch 5
...


Und so geschah es, dass ich nun Fridolin als mein erstes eigenes Haustier annahm.
Ich fühlte drei Tage lang seine Wassertemperatur, brachte ihm allerlei Gemüse bis hin zu Schwarzbrot in Pumpernickelform an sein nasses Gemach.
Unterhielt mich mit ihm und erzählte, dass ich sonst in einem Kindergarten die Zeit verbringen müsste, wo man sogar zum Mittagsschlaf gezwungen werde würde.
Mit allen anderen Kindern in einem Raum. Wer dabei noch schlafen können sollte, wollte ich von ihm wissen.
Rollte gerne auch dabei mit meinen Augen, und zuckte mit meinen Schultern.
So oft und lange am Tag hatte ich noch nie nasse Hände gehabt – schon gar nicht in einem Badezimmer.
Fridolin antwortete nie, bedachte mich mit allerlei rätselhaften Antworten in Form von Mund- Körperbewegungen.
Und Blicken,… Blicke, die so nur ein äusserst weiser und lebensnaher Geselle inne haben könne.

Meine Tante Ele, noch halb in der Bad-Türe, sagte lächelnd und ruhig zu mir:
"Er solle heute Abend gegessen werden; dafür sei er da. Und es würde auch Kartoffelbrei und Möhren dazu geben. Was ich ja so gerne mögen würde."
Dieses Weihnachten war für mich hier schlagartig zu Ende.

Alle Fragen und Gespräche, ob man auch von anderen Kindern an Weihnachten deren Haustiere essen würde, kamen irgendwie auf keinen sinnvollen Punkt für mich.
So wurde dieser, unser, damalige weihnachtliche heilige Abend zuerst damit verbracht, dass wir alle gemeinsam zusammen einen fetten Fisch aus unserer Badewanne in die Lübecker Trave in seinen Lebensabend entliessen
und wir alle zum Kartoffelbrei und den Möhren dann wohl ein paar warm gemachte Wiener Würstchen aus der Dose bekamen.

Heute weiss ich nicht mehr, welche Geschenke ich überhaupt an diesem Abend bekam, nur an folgendes Gelöbnis meiner Mutter auf dem Nachhauseweg im Dunklen kann ich mich erinnern:
"Fridolin sei nun glücklich und das wir nie wieder einen Tannenbaum tot machen."

Ich frage mich heute noch gelegentlich, ob eventuell die erste persönliche Fürsorge und Verbindlichkeit eines Haustieres das eigene Leben bestimmen könnte.
Mein Bruder hatte da leider einen Hamster.
Wenn tatsächlich so sein kann, dann hatte ich zumindest Fridolin und im Nachhinein auch die Gewissheit, dass meine Mutter überhaupt keinen "Karpfen Blau" mag.
Zwei weitere Male gab es zwar nochmals Weihnachtsbäume zum Fest, aber langfristig nie wieder Fisch, meinen Bruder oder Orgel-Lieder.
 
6

Flaschenpost

Wenn Bob das Sit-In leitete, ging immer alles total friedlich ab. In dieser Woche hatte sich die Gruppe die Lichtung im südlichen roten Steinkreis für den Sieben-Tages-Plan ausgesucht, eine der schönsten Hallen im äußeren Mars. Bob war mit seinen Ausführungen bereits am Ende des siebten Tags angekommen, wie immer würden alle Blumenkinder die Pläne abnicken, als sich von oben ein Geräusch näherte. Erst knisterte es fast unhörbar wie ein bisschen Sand im Ohr, wuchs zu einem Knarzen, wurde zu einem unregelmäßigen Gebrumm, schwoll dann zu einem zu einem kurzen Wummern an und und erstarb schließlich mit einem Plopp oben und mit einem Klack unten direkt vor Bobs Füßen. Ein metallenes Gerät lag hier nun, ruderte noch kurz mit zwei Vorderarmen in der Luft, kratzte mit zwei linken Beinen schwach im Sand und erstarb rücklings. Die Blumenkinder waren aufgesprungen und tuschelten in leisem Tumult. Wessen Spielzeug hatte die heilige wöchentlich Sitzung gestört? Wie immer war Bob als erster wieder beieinander. Er blickte kurz auf das Teil unter sich, dann lange und zunehmend skeptischer auf das kleine runde Loch, rund sieben Meter über ihm in der Felsendecke. Von dort war jetzt ein dauerndes Pfeifen zu hören, eindeutig von der hinausströmenden Luft verursacht. „Hazel, Rose“, rief Bob befehlsgewohnt, „ihr schwebt hoch und stopft das Leck, sofort!“ Und zu den anderen: „Bringt mir das Teil auf den runden Tisch, wir untersuchen es zusammen.“

Etwa hundert Augenpaare gierten dann nach dem Gerät. War das ein Tier? Grabeschaufeln, Antriebsbeine, Flaschenforn, Kompaktbauweise – ein Maulwurf. Nein, eine Maschine? Metallhülle, Werkzeugglieder, Zahngetriebe, Kabelschwanz – ein Roboter. „Also, Freunde, jemand hat gebastelt. Nette Idee, so ein Maulwurfroboter, frisst sich durch das harte Marsgestein. War bis an der Oberfläche, wo unsere Luft verpufft. Wer war‘s?“ Schweigen in der Höhlenhalle. Lucas lugte aus der Reihe, beugte sich über das Ding und stellte fest: „Das ist nicht von uns.“ Noch ein kurzes Schweigen, dann riefen alle: „Das ist das Zeichen! Lasst Lucy fliegen!“ Bob beugte sich vor. Tatsächlich, der Maulwurf trug dieselben Zeichen wie ihr Schiff vor fast 50 Jahren: VSVN.

1972 hatten die Gründungseltern die Hohlwelt im Mars entdeckt. Der Kommune aus San Francisco war gesagt worden, sie dürfe experimentell den Mond besiedeln. 20 Hippies und eine Grundausrüstung passten statt anderer Fracht in Apollo 19. Bob war schon damals der Führer gewesen. Als er kurz vorm Mond nach Steuerbord korrigieren wollte, reagierte der Steuerknüppel nicht, das Schiff nahm nach einer kurzen Explosion der Kurskorrekturkapsel seinen eigenen Weg. „Okay Houston, we’ve had a problem here,“ hatte Bob gelassen wie immer in die Funke gesprochen. Die Antwort kam ebenso gelassen, aber überraschend. „Yes, we know. Don‘t panic. Follow the instructions in the red book.“ Die einzigen Anweisungen im roten Buch waren Überlebenstipps für einen Wüstenaufenthalt. Dazu gab es den Hinweis, die Rakete würde den Flug zum und die Landung auf dem Mars selbstständig erledigen. Der Rest war Zufall. Es gab fünf Schutzanzüge und zwei Spaten an Bord. Der Chef der ersten Pioniergruppe auf der Marsoberfläche war der 17jährige Steve. Er hatte sofort erkannt, dass sie hier nichts als sterben können würden. Trotzig reckte er seinen Spaten in die Luft: „So lasst uns denn ein Apfelbäumchen pflanzen!“, rief er, rammte das Werkzeug in den Boden, einmal, zweimal, dreimal. Dann mehrmals mit Nachdruck, um einen Widerstand zu brechen – dabei brach er selbst ein. In die neue Welt des hohlen Mars, der für die ganze Gruppe zum Zuhause wurde.

Der innere Mars bot alles, was man von einer Hohlwelt erwarten konnte: schwarzes Loch im Kern, Wurmlochgenerator, Entropieumkehreinrichtung, Blumenwiesen, Diamantenfelder, Hanfplantagen. Die Reste von Apollo 19 wurden ins Innere verschafft und neu verbaut. Steve entpuppte sich dabei als kleines Genie. Er erfand einen Kohlenstoff-Dekomprimierungsantrieb, der mit den massenhaft vorkommenden Diamanten befeuert werden konnte. So entstand das neue Erkundungsraumschiff Lucy. Jenes, das die Kommune jetzt starten lassen würde.

Hazel und Rose waren nach Steves Tod vor sieben Jahren die einzigen Pilotinnen, die Lucy steuern konnten. Als Startrampe diente eine Luftschleuse, gebaut genau dort, wo Steve damals mit dem Spaten in die Hohlwelt gebrochen war. Das äußere Schleusentor bestand aus einem riesigen Felsen in Apfelform, der nach Bedarf von der Öffnung gerollt werden konnte. Die beiden Frauen brauchten nicht lange zu suchen, sehr auffällig stand die Landefähre genau da, wo sie damals selbst zum ersten Mal die Marsoberfläche berührt hatten. Lucys Teleskopkamera zwigte sechs Räder unter zwei großen Sonnensegeln, dazwischen ein Alurumpf mit Aufdrucken: erstens der Schriftzug VSVN, zweitens der Schriftzug iSight, drittens ein Emblem in Apfelform. „Klare Sache, das ist Steves Einladung,“ raunte Hazel. Die Frauen nickten sich zu.

Für die Erfindung des neuartigen Antriebs für Lucy hatte Steve nur ein knappes Jahr gebraucht. Nach einem weiteren Jahr hatte er Pläne für einen schreibmaschinengroße Denkapparat, fertig im Kopf und beschäftigte sich mit der Funktionsweise des Wurmlochgenerators neben dem schwarzen Loch im Marskern. Sehr schnell war im klargeworden, dass er damit in Lichtgeschwindigkeit an jeden Ort im Universum und ohne Ortswechsel in jede Zeit der Welt reisen können müsste. Kleine Zeitreisen – nur jeweils fünf Minuten zurück – lösten nebenbei alle Energieprobleme der Marsgemeinde: Er stellte einfach die Entropieumkehrgeräte in der Normalzeit auf null und nahm sie mit in die Vorzeit. Damit hatte er denselben Zustand eines Energiespeichers zu zwei verschiedenen Zeiten eingerichtet und damit die Entropie faktisch aufgehoben. Mars brachte die verbrauchte Energie sofort zurück. Nach drei Jahren hatte er bereits die Energiewerte des schwarzen Lochs entschlüsselt und es war ihm erstmals möglich, das Wurmloch auf einen exakt bestimmten Ort auf der Erde zu richten und dorthin zu reisen. Steve wollte unbedingt zwischen Mars und Erde pendeln. Hier sein und die unermesslichen Energievorräte nutzen, dort sein und die neuen Erfindungen verwirklichen und an ein Milliardenpublikum vermarkten. Für die erste Erdreise richtete er das Wurmloch zufällig auf ein kleines Städtchen namens Bielefeld. Eine winzige Turbulenz während der Reise sorgte allerdings für ein folgenreiches Malheur. Steve landete nicht auf der Oberfläche dieser Stadt, sondern acht Meter tiefer in einem von sehr verschiedenartigen menschlichen Gestalten bewohnten Gewölbe. Wie sich herausstellte, eine obere Schicht der Hohlwelt innerhalb der Erde, genauso ausgestattet wie die innere Mars, bewohnt von zwar bereits gestorbenen, aber noch beweinten oder bewunderten Personen. Sie nannten den Ort Elysium. Steves Wurmloch hatte nun eine Verbindung zur Außenwelt gestoßen, die verschlossen und verheimlicht werden musste. Zum Verschließen reichte eine Apfelkiste in einem Obstkeller der Stadt, fürs Verheimlichen versprach Steve den Elysiumbewohnern, das Wort Bielefeld von allen erreichbaren Schildern und Schriften zu tilgen. Was sich später als aussichtslos erwies, Steve beschied sich aufs Verschweigen. Gegen ein weiteres Versprechen würden die Elysianer Steve in allen irdischen Vorhaben unterstützen: Alles würde ihm gelingen, wenn er noch vor seinem eigenen Tod ein Pismo mit goldenem Kibord mit einem Eifondreige verbinden und ins Elysium bringen würde. Steve verstand nicht, aber versprach. Nachdem er 1976 seinen Denkapparat auf den Weg der Vermarktung gebracht hatte, reiste er mit Hilfe des irdischen Wurmlochs zurück zum Mars.

...
 
noch 6
...


Von hier überwachte er die Entwicklung seines Denkapparats vor allem mittels telepathischer Kommunikation mit seinem Geschäftspartner. Niemand konnte ihm helfen, sein kryptisches Versprechen zu entschlüsseln. So reiste er immer wieder zu Erde, in der Hoffnung dort die Lösung des Geheimnisses zu finden. Ein zweiter Eingang in die irdische Hohlwelt befand sich im Ort Friedrichsdorf, bewacht von einem gewissen Philipp Reis. Mit diesem hielt Steve bei der An- und Abreise gern ein Schwätzchen. Von diesem bekam er, als er nach Jahren der erfolglosen Lösungssuche, den Tipp, es mal mit einem Telefon zu versuchen. Steves Geschäft lief auch ohne die Lösung schon recht gut (bis auf elf wirklich magere Jahre), doch der echte Clou fehlte lange. Der Denkapparat wurde von Jahr zu Jahr kleiner, besser und hübscher. Steves Partner gab den Geräten neben den Fabrikationsnummern immer Namen. Der weltschönste Denker mit Apfel auf dem Deckel bekam einen Namen nach einem Hippie-Lieblingsstrand: Pismo. Steve erkannte, dass sein eigenes Produkt die halbe Lösung für das Versprechen des Elysiums war. Dann entdeckte er, dass die Tastatur, das Keyboard der kleinen Machine, bronzefarben war. Er gab eine Sonderanfertigung nur für sich selbst in Gold in Auftrag. Philipp Reis empfahl ihm, alle diese Namen mit einem speziellen Merkmal zu versehen. Ein vorangestellter Buchstabe vielleicht? Was denn Steves Lieblingsbuchstabe sei? Steve musste nicht lange überlegen, das i. Seine Mutter hatte zwei davon: Siri.

Tatsächlich, das zog bei der Kundschaft. iCom, iLap und iScreen verkauften sich wie verrückt. Ein künstliches Haustier erfüllte nicht die Erwartungen und wurde schnell wieder eingestellt: das iPet. 2007 war es gelungen, die komprimierte Technik des Denkapparats in einer Seifenschale unterzubringen. Steve erinnerte sich an den Tipp von Philipp Reis und machte ein Telefon daraus, das iFon. Die ersten Modelle verkrafteten bei den Mars-Erde-Reisen nicht die Gravitationskräfte. Er baute eine G-Sicherung ein. Das erste G genügte nicht, das Modell GG verblieb im Prototypstadium, erst das GGG war weltenreisentauglich. Und wurde ein Renner, der die nach Äpfeln in jeder Form auf der Erde verrückt machte. Nachfolgende Modelle lösten den Denkapparat vollständig ab. Leider vergaß Steve, vom Erfolg geblendet, sich weiter um das Rätsel des Elysiums zu kümmern. 35 Jahre nach dem Versprechen riefen die Elysianer Steve zu sich, um mal ernsthaft zu reden. Steve bekam ein letztes Jahr als Frist, ließe er dies verstreichen, würde er entweder Mars oder Äpfel aus seinem Leben tilgen müssen. Er kam nicht auf die Lösung, regelte seine marsischen Angelegenheiten und reiste 2011 isn Elysium, um nicht wieder zurückzukehren. Die Geschäfte liefen ohne ihn. Erst sieben Jahre später während einer Hohlweltkonferenz fiel ihm die Antwort ein. Sofort entwickelte er eine interplanetare Flaschenpost und schickte sie los, um seine Freunde zur Rettung zu holen.
 
7

Die Deutscharbeit

Den folgenden Aufsatz, eine Textinterpretation, verfasste der Gymnasiast Mort Cinder in der 12. Klasse. Der zu interpretierende Text, eine Kurzgeschichte von Kafka, lautet:

„Auf der Galerie

Wenn irgendeine hinfällige, lungensüchtige Kunstreiterin in der Manege auf schwankendem Pferd vor einem unermüdlichen Publikum vom peitschenschwingenden erbarmungslosen Chef monatelang ohne Unterbrechung im Kreise rundum getrieben würde, auf dem Pferde schwirrend, Küsse werfend, in der Taille sich wiegend, und wenn dieses Spiel unter dem nichtaussetzenden Brausen des Orchesters und der Ventilatoren in die immerfort weiter sich öffnende graue Zukunft sich fortsetzte, begleitet vom vergehenden und neu anschwellenden Beifallsklatschen der Hände, die eigentlich Dampfhämmer sind – vielleicht eilte dann ein junger Galeriebesucher die lange Treppe durch alle Ränge hinab, stürzte in die Manege, rief das – Halt! durch die Fanfaren des immer sich anpassenden Orchesters.

Da es aber nicht so ist; eine schöne Dame, weiß und rot, hereinfliegt, zwischen den Vorhängen, welche die stolzen Livrierten vor ihr öffnen; der Direktor, hingebungsvoll ihre Augen suchend, in Tierhaltung ihr entgegenatmet; vorsorglich sie auf den Apfelschimmel hebt, als wäre sie seine über alles geliebte Enkelin, die sich auf gefährliche Fahrt begibt; sich nicht entschließen kann, das Peitschenzeichen zu geben; schließlich in Selbstüberwindung es knallend gibt; neben dem Pferde mit offenem Munde einherläuft; die Sprünge der Reiterin scharfen Blickes verfolgt; ihre Kunstfertigkeit kaum begreifen kann; mit englischen Ausrufen zu warnen versucht; die reifenhaltenden Reitknechte wütend zu peinlichster Achtsamkeit ermahnt; vor dem großen Salto mortale das Orchester mit aufgehobenen Händen beschwört, es möge schweigen; schließlich die Kleine vom zitternden Pferde hebt, auf beide Backen küßt und keine Huldigung des Publikums für genügend erachtet; während sie selbst, von ihm gestützt, hoch auf den Fußspitzen, vom Staub umweht, mit ausgebreiteten Armen, zurückgelehntem Köpfchen ihr Glück mit dem ganzen Zirkus teilen will – da dies so ist, legt der Galeriebesucher das Gesicht auf die Brüstung und, im Schlußmarsch wie in einem schweren Traum versinkend, weint er, ohne es zu wissen.“


Die Deutschlehrerin (Deutschlehrer sind immer weiblichen Geschlechts, Ausnahmen sind bedenklich und bestätigen diese Regel) stellte folgende, in Aufsatzform zu beantwortende Frage:

„Warum weint der Galeriebesucher?“

Nachfolgend ist Morts Text ungekürzt wiedergegeben:

„Warum der Galeriebesucher weint? Das ist wieder einmal eine Frage, die nur den seltsamen Gehirnwindungen einer Germanistin auf Lehramt entspringen kann. Warum er weint? Woher sollen wir das wissen? Können wir etwa Franz K., der vor fast 100 Jahren gestorben ist, dazu fragen? Niemand, niemand kann mit Gewissheit behaupten, warum der Galeriebesucher weinen soll ... womöglich weint er ja gar nicht.

Ich erlaube mir einen Exkurs:

Deutscharbeiten sind der größte Mist. Gedichts- und Textinterpretationen sind Dreck, überflüssiger Müll. Besonders unangebracht sind Interpretationen von Kafkas Werk, verfügte Kafka bekanntlich, seine Texte nach seinem Tod zu verbrennen. Stattdessen quälen Germanisten auf Lehramt Generationen von Schülern mit unsinnigen Interpretationsfragen zu seinen, Kafkas, Geschichten.

Perfider kann man den Willen eines Toten nicht erfüllen.

Andererseits, was kann man von sogenannten Germanisten auf Lehramt erwarten?

Die Deutschlehrer - besser: die Deutschlehrerinnen - stellen eine Klasse von schwafelnden, gefühlsbeladenen, hysterischen, eher unattraktiven, politisch links-grün und immer feministisch geprägten, schwer erträglichen Subjekten dar.

Aber bitte, wer für eine anständige Disziplin wie Physik, Mathematik, Informatik (oder meinetwegen auch Biologie und Chemie) die intellektuellen Voraussetzungen nicht mitbringt, der oder die studiert Germanistik (auf Lehramt).

Ende des Exkurses.

Nachdem ich mich mit diesen Ausführungen geistig „entlastet“ und dem normal denkenden Volk Abbitte dafür leiste, dass ich mich zu dieser „Interpretation“ herablasse (irgendwie muss ich ja meine Schülerpflichten erfüllen), fahre ich fort mit der Beantwortung der Klausurfrage, warum der Galeriebesucher weine.


Erste Hypothese.

Der junge Galeriebesucher entstammt einer armen Familie, sein innigster Wunsch als Kind war es gewesen, ein Pferd zu besitzen oder zumindest zu reiten, was ihm aufgrund fehlender Mittel verwehrt war. Beim Anblick des Pferdes übermannt ihn die Melancholie der verpassten Chancen (wer kennt sie nicht?), er hätte diese Kunststücke selber vollbringen können, womöglich besser als die erwähnte junge Dame.

Er weint nicht nur, er wird sich nach der Vorstellung vor einer der damaligen Dampflokomotiven werfen und seine erbärmliche, ihm nutzlos erscheinende Existenz beenden.

Zweite Hypothese

Der junge Galeriebesucher ist unansehnlich, klein und dick, aber reich. Er hat sich das erste in der Kurzgeschichte beschriebene Szenario gewünscht, um die junge Dame nach der Vorstellung in ihrer Künstlergarderobe aufzusuchen und, nach Art der damaligen Zeit, sich ihre „Liebe“ zu erkaufen. Dieser junge Galeriebesucher, nennen wir ihn „reicher Schwabbel“, ergötzte sich im ersten Teil der Geschichte in seiner Phantasie an seiner billigen Eroberung, sie turnte und vollführte ähnliche Verrenkungen wie zu Pferde auf seinem Stummel, der in Wirklichkeit kaum zwischen seinen Fleischbergen ragen kann, als er vom zweiten Halbsatz der Geschichte, dem zweiten Szenario, kalt erwischt wird, denn nun erhöht sich der Preis, den er für ihre „Liebe“ bezahlen muss, und da er geizig ist, weint er bitterlich.

Dritte Hypothese

Der dritte, junge Galeriebesucher, ein stattlicher Bursche, hoch und schlank, die Damenwelt steht ihm zu Füßen, ein brillanter Kopf, ein Sonntagskind vor dem Herrn, diesen jungen Galeriebesucher aus der dritten Hypothese zeichnet jedoch ein schwerer Makel: Er ist das Vorläufermodell des heutigen Gutmenschen. Der junge Galeriebesucher aus der dritten Hypothese ist vom Ehrgeiz beseelt, zu helfen, zu schützen, er ist ein Rächer des vermeintlichen Unrechts, das er überall wittert und erschnüffelt. Der Trieb zu Helfen dieses jungen Galeriebesuchers aus der dritten Hypothese ist so stark, er ist davon derart ergriffen, dass er aufgrund des im zweiten Halbsatz beschriebenen „Heile-Welt-Szenarios“ heult. Er kann dieses Mal nicht helfen, er kann die junge Dame nicht vor dem bösen Onkel retten, er kann sich keine Ausbeuter- oder gar sexuelle Missbrauchsgeschichte zusammenreimen, ja, er kann noch nicht einmal das dressierte Pferd retten, das wohlgenährt und bestens gepflegt seine Runden trabt.

Der junge Galeriebesucher weint, genauso bitterlich wie der Geizhals aus der zweiten Hypothese, jedoch anders als bei diesem kullern seine Tränen wirklich herunter. Ein bewusstes Weinen, weswegen ich für meine dritte Hypothese den kafkaesken Zusatz „ohne es zu wissen“ geflissentlich überlese. Die gute Deutschlehrerin möge mir diese kleine Freiheit erlauben.

Als Fazit möchte ich anmerken, dass mir alle drei Hypothesen gleich wahrscheinlich erscheinen, weswegen ich keine der dreien hervorheben möchte.
—————————————

Hier endet Mort Cinders Aufsatz.

Nachfolgend die Anmerkungen und die Benotung durch die Deutschlehrerin:
Note 6. Aufgrund der enthaltenen Beleidigungen werde ich diese Arbeit dem Schulamt melden.

Gezeichnet
Kirchdorf-Wasserbrunnen

Nachfolgend die Kommentare unseres Freunds Mort Cinder, der uns die Szene des Auftritts der Kirchdorf-Wasserbrunnen nacherzählte: „Erst tobte und schrie sie mich an, dann fiel sie auf ihren Stuhl, stützte Ihr Gesicht auf die Ellenbogen und weinte, ohne es zu wissen.
 
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Ich mache einfach mal den Anfang :) ...

DANKE punkreas, daß Du wertvolle Zeit investiert und KG-W#6 ins Leben gerufen hast! :clap:
Dickes Kompliment an alle Mitschreiber: Eure Geschichten sind toll :upten:. Ich habe sie alle gerne gelesen.

Jetzt hoffe ich, daß auch "Unbeteiligte" die Geschichten lesen und den ein oder anderen Kommentar abgeben.
 
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Jetzt hoffe ich, daß auch "Unbeteiligte" die Geschichten lesen und den ein oder anderen Kommentar abgeben.
Das hoffe ich auch. Unbeteiligte dürfen sogar ihr häkchen setzen.
 
Ich hab den Karpfen, also Nr. 5 , gewählt. Es erinnert mich an meine Kindheit.

Ich wollte einst immer ein Hauskaninchen als Haustier. Ich bekam es nie. Aber als ich ca. 5 Jahre alt war, da schenkte der Jäger-Onkel meinen Eltern einen geschossenen Wildhasen. Der hing an den Hinterläufen am Balkon - zwecks Kühlung. Er hatte noch Fell dran. Ich habe ihn auf dem Balkon täglich gestreichelt - gefühlt jeden Tag im Advent. :jaja: Und mit ihm gesprochen. Eines Tages war er weg. :eek: Ich glaube, das Weihnachtsessen in diesem Jahr wahr echt lecker. Später hörte ich wie meine Mutter zu meinem Vater sagte, dass sie NIEMALS wieder einen Hasen ausziehen will - wegen den vom Schrot zerschossenen Läufen. :eek:

Außerdem war ich mal drei Tage lang auch in einem Kindergarten, wo man mittags zwangsschlafen musste - und nicht konnte. :rolleyes: Der kleine Junge neben mir hatte sich täglich eingepisst. :sick: Ich habe es dort gehasst! Nach dem dritten Tag haben mich meine Eltern aus dem Horror-Quelle-Kindergarten wieder rausgenommen!
 
Bei 7 geschichten wird es recht schwer, alle zu kommentieren.
Nr. 1-4 spielen mit dem Kunstgriff des unerwarteten Schlusses. Die Weihnachstmanngeschichte gefällt mir recht gut. Das ist wie aus dem Leben gegriffen, mit einem lustigen Ende. Das unerkannte Engelchen lässt mich mir Fragezeichen in den Augen zurück. Vielleicht wrfasse ich den tieferen Sinn des Histörchens nicht.
Beim Klick kann ich leider auch nicht so recht lachen - hat sie sich gefrustet selbst entleibt?

Der Joker ist recht schwarzhumorig. Das verfängt bei mir. Aber - je nun - ich bin etwas üppiger ausgestattete literarische Kost gewohnt - dies hier reicht ja. ur für den hohlen Zahn.
Manch Aphorismus ist da ja länger. :)

Die Marsgeschichte fängt recht gut an - ein SciFi! freut sich der Chuonrad - aber nein, es ist nur ein Klamauk, eine Klamotte, eine Parodie. Derart veralbert, wenden sich der Chuonrad mit schiefem Maule ab und der Karpfengeschichte entgegen. Aha! hmhm. Tje nun. Gefällt mir irgendwie. Aber reichts für den teuren zu vergebenden Punkt?

Beim Erstüberfliegen und Querlesen lacht mich die Deutschgeschichte verführerisch an. Bei genauerer Belesung fühle ich mich in barryonische Sphären versetzt.
Nein, so wird das nichts. Dabei finde ich den Gedanken der dreifachinterpretation durchaus reizvoll.
Die spanische Natur des Autoren wird auch in der Wahl des Namens des Helden offenbar. Nur erschließt sich mir der Sinnzusammenhang nicht. Ich gestehe aber, dass mir die Abenteuer des Mort Cinder nicht geläufig sind. Vielleicht soll auch nur das comichafte der Kurzgeschichte so forciert werden?
Ich werd mit Punktvergabe noch warten müssen und die eine oder ander Geschichte erneut lesen, bevor ich meinen Punkt setze...
 
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hat sie sich gefrustet selbst entleibt?

Das habe ich so nicht verstanden. Eher wie routinemäßige Arbeit (Kontrolle?!) und plötzlich spinnt, mal wieder, die Technik. Sonst ließ es sich gerade biegen, dieses Mal nicht. Was mir an dieser Geschichte richtig gut gefallen hat, war dieses Verbinden mit der Yoga-Stimmung, um die Ruhe zu bewahren.
Ein Leckerchen in der Geschichte :thumbsup: und der letzte Satz ist perfekt :upten:.
 
Komplett verpennt was einzureichen :boring:
 
Kurz und knackig, wie die ersten Geschichten, so sind auch meine Kommentare.
Beim Klick kann ich leider auch nicht so recht lachen - hat sie sich gefrustet selbst entleibt?
Vielleicht ist sie zum Nachbarn gegangen, oder tot umgefallen. Ansonsten ist Klick etwas kurz, aber nicht schlecht.

Joker liest sich stellenweise holprig. Er hatte dies und hatte das, die Sprache ist nicht meine, die Geschichte an sich hm…schon gehört.

Der Titel »Unerkannt« passt, so geht es mir mit dem Sinn darin.

Überraschung ist mein Favorit, kurz, knackig und überwiegend rund. Die sportliche Zweisamkeit hätte, für meinen Geschmack, nicht sein müssen. Ohne diesen einen Satz ist dies eine Kurzgeschichte, die mir gefällt und mich zum Grinsen brachte.

Weihnachten mit toten Tannen, einem fetten Fisch und dem Hamster sein Tod hat in meinen Augen echtes Potential. Insbesondere die Wortspielereien gefallen mir. Für meinen Geschmack hakt es zu oft an der Grammatik und auch hier ist die Sprache nicht meine. Schade, ein wenig mehr Sorgfalt hätte nicht geschadet.

Bei der Flaschenpost verlässt mich leider die Konzentration.

Die dreifältige Kafka-Interpretation durch Mort Cinder eine ist schöne Idee, deren Ausführung, zu meinem Bedauern, an der barry'schen Sicht auf die Welt krankt.

Auch von mir ein dickes Danke an punkreas.


Edit: Satz beendet.
 
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Nummer 3 ... Unerkannt
 
Ich bin enttäuscht von den Geschichten, auch von meiner, die ich in anderthalb Stunden während einer Zugfahrt hektisch zusammengeschrieben und in letzter Sekunde abgeschickt habe.

Ich habe mich für „Flaschenpost“ entschieden, weil der Schreibstil einigermaßen stimmt und der Autor sich sehr viel Mühe um die Geschichte und die apfeloiden Anspielungen gemacht hat.

Bei allem Respekt, Kinder, aber dem oder der Verfasserin von „Klick“ würde ich gern was „Klicken“ ... hallo? Warum beschreibst Du uns nicht in gleicher Länge wie Du einen fahren lässt? Krasser Fall von akutem Autismus. 6, setzen.

Joker ist nur ein Hauch besser als Klick. Sagen wir mal ... 5+ ... mehr Saft, mehr Fleisch, Junge ... äh ... Faulpelz!

Unerkannt ist vermutlich von Punky ... was mir leid tut, denn die bekommt von mir auch eine 5+. Das ist keine Geschichte, das ist ... äh ... bisschen Klebstoff geschnüffelt? Billiger Rotwein?
Allein für diesen Satz:
„Eine unterschwellige Spannung baute sich auf. Gedanken schwirrten im Raum wie erschreckte , gackernde Hühner. Dazu ein ergebenes Nicken zur Rede des Meisters, wahllos, denn die Emotionen zerstreuten die Konzentration.“ sollte man den Verfasser ein paar Tage im dunklen Keller bei Wasser und Brot einsperren.

Überraschung kriegt von mir gerade noch eine 4- ... bestanden!!
1. Handlung vorhanden
2. Sprachstil ausreichend
3. Puhoante vorhanden (obwohl vorhersehbar)
4. Alkohol vorhanden
5 Sex (kümmerlich, aber immerhin erwähnt)

Weihnachten (Karpfen usw.) .... ich bitte den Verfasser um Entschuldigung .... ich erweise ihm gebührlichen Respekt, so wie ein Mafioso, der das Opfer meuchelt und hinterher bei der Beerdigung den Angehörigen sein Beileid ausspricht ;-) ....
die Geschichte ist eine Zumutung. Bekommt von mir eine 5-.
Jungs! Eigene Erlebnisse ... zumal Kindheitserlebnisse, und wenn sie Euch noch so interessant erscheinen, interessieren den Leser einen Dreck.
War das deutlich genug? Die Karpfenstory ist ermüdend und trivial und sehr schlecht geschrieben.

Flaschenpost kriegt von mir eine 3-. Der Verfasser hat sich sehr viel Mühe gegeben. Danke. Leider trifft sie nicht meinen barryschen Geschmack, allerdings finde ich manche Anspielung, wie z.B. Lucy und die Diamanten witzig. OK, vielleicht reicht sie doch für eine 3 oder 3+.

Die Deutscharbeit ist, wie einige schon erraten haben, mein Werk ... und ich bin nicht stolz drauf, obwohl sie sich bei dieser Konkurrenz sehen lassen kann. Hätte ich ihr mehr Zeit gewidmet, hätte sie sich nach barryschem Urteil eine 3 oder 3+ verdienen können ... ich gebe ihr stattdessen eine 4+.
Die Idee war, den mir verhassten Deutschunterricht auf lustige Art zu kritisieren und den Berufstand der Deutschlehrer(innen) in den Staub beissen zu lassen.
Ausserdem wollte ich der Bar hier Kafka nahebringen, denn schliesslich ist Kafka einer der Top-Five der Teutschen Sprache ;-)
Ich sehe ein, dass ich zu wenig Ausschweifung, zu wenig Schlüpfriges geliefert habe ... bitte verzeiht mir, Jungs.
 
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