Hallo,
ist wirklich ein Jammer, dass in Agenturen die Zeichenkunst keinen lohnenswerten Stellenwert mehr hat sondern stets auf den Faktor Zeit geachtet wird, obwohl gerade Zeichnungen zur Unverwechselbarkeit beitragen, die sich Kunden immer wünschen. Zum Glück gibt es noch Interessenten, die darauf Wert legen, aber wenn man im Ergebnis sieht, das am Ende wieder Icons oder andere skalierungsunabhängige Grafikdaten daraus entstehen, die für jedermann zugänglich sind, dann ist das Thema "Unverwechselbarkeit" wieder vom Tisch. Die Gradwanderung von Illustration zu Design ist zumindest bei mir mit Tränen verbunden, der stets im Bereich Illustration zu Hause war. Vor Webseiten habe ich keinen Respekt, denn die Ergebnisse lassen sich von jedem "Trottel" nachbauen, der an seine künstlerische Begabung glaubt. Dagegen ziehe ich vor den wahren Meistern der Malerei meinen Hut, die in der Lage waren, mit Farbe und Pinselführung den Eindruck von Samt und Seide so unverkennbar deutlich zu machen, das selbst Einäugige den Stoff berühren wollten.
Hyperrealismus in Reinform. Und heute schwafeln die für Technik talentierten, aber künstlerisch völlig unbegabten Studenten über ihren letzten Shader-Einsatz innerhalb einer 3-D-Visualisierung und sprechen über den Brechungsindex von Kronglas, als wäre es eine Kunstfertigkeit, ein realistisches Motiv per CGI zu erzeugen. Dabei ist es nur ein Produkt aufgrund vieler Rechenoperationen mit bestimmten Parametern. Doch ich freue mich immer, wenn man sie zu Testzwecken nicht vor einen PC sondern vor ein Blatt Papier setzt und ihnen einen Bleistift überreicht und darum bittet, für einen Roman ein paar Dämonen zu zeichnen, die aus dem Schlund der Hölle ein Mädchen entführen. Instinktiv greifen sie schon in die Tasche, um nach einer CD-ROM mit passenden Texturen zu suchen und nach Tools, mit denen sie Skins generieren können. Haben wir selbst, aber das nicht die Aufgabe. Vor dem Blatt werden sie zu dem, was sie sind. Grafiker, die nicht zeichnen können. So sinnvoll wie ein importierter Sack Reis nach China. Fachidioten, wie die Industrie sie oftmals benötigt, aber in keiner Sekunde imstande sind, sich von allen Dingen zu lösen, um einfach nur kreativ zu sein – und authentisch.
In Japan werden Grafiker geschätzt, die ihre Kunstfertigkeit ausüben und pflegen. Eine Frage des Stils mit dem Glauben verbunden, mit einer Fähigkeit gesegnet zu sein. Bietet man deutschen Agenturen Handarbeiten an, so erhält man als Antwort, die Ergebnisse wären nicht reproduzierbar und überhaupt wäre am PC alles schneller. Armes Deutschland. Dabei zeigt sich insbesondere am Zeichentalent, ob die Berufswahl der Berufung folgt oder nur ein lebensnotwendiges Übel ist. Wer sich Grafiker oder Designer schimpft, aber nicht mal imstande ist, seine Gedanken mit Bleistift zu Papier zu bringen, damit auch andere erkennen, was man sich vorstellt, ohne darüber ein Wort zu verlieren, endet stets als Webdesigner und ist hilflos, wenn der Strom ausfällt. Fast schon Ärzte, die kein Blut sehen können oder Piloten, die unter Flugangst leiden. In jedem Fall eingeschränkt und sehr oft auch beschränkt. Aber die Wirtschaft und die Kunden erhalten das, wofür sie bezahlen. So gibt es eben weiterhin Konserve statt Kreativität. Am Ende freut mich nur die Frage: "Wie hast Du das gemacht?" Und ich antworte: "Nicht am PC, aber auch."
- Sterling