@lisanet: Gerade, weil wir Deine Kompetenz hier recht hoch ansetzen, sollte Dir die Datensammelei (aka personalisierte Werbung) durchaus nicht gleichgültig sein. Zu Beginn der Clouddienste gab es eher wenig (relativ zum Datenaufkommen) großen Speicher, sodass Google und Co. ältere gesammelte Daten immer wieder löschen mussten, bevor sie vollständig verarbeitet werden konnten.
Neuere Algorithmen, leistungsfähigere Hardware, großzügig geplante Speicher erlauben aber ein durch anderes Vorgehen. (nur nebenbei: der GCHQ bestätigte schon vor Jahren, dass sie 1 Million verschlüsselte Verbindungen parallel entschlüsseln und verarbeiten können … wo mögen sie heute sein?). Hat man entsprechende Big Data von möglichst über 85 % der Nutzer angesammelt, lassen intelligente Analysen auch unbekannte / anonyme User (und dafür gibt es gute Gründe!) "errechnen", bzw. so genau definieren, dass der Schritt zur Bestimmung eines Individuums eher klein ist. (Mein Neffe hat am MIT genau an so einem Programm mitgearbeitet und promoviert, Illusionen macht er sich nicht mehr).
Heute lässt sich vielleicht noch ein Deckel draufhalten, aber mit der immer umfänglicheren Datensammelei über Jahre ermittelt (Surfverhalten, Suchverhalten, Netzverbindungen, Einkaufsverhalten z.B. über Payback, Karten, Smartphones etc.), rasen wir dem gläsernen Bürger entgegen. Passen die demokratischen Rahmenbedingungen, ist das vielleicht nicht so kritisch, dennoch sollte man auch in die Zukunft blicken - die Daten werden heute vielfach nicht mehr gelöscht. Ist ein Orban oder ein Höcke als Machthaber denn auch hier so undenkbar? Ich bin da skeptisch…
Mir geht es um das Thema "personaliserte Werbung", nicht um Tracking im Allgemeinen und der Zusammenführung anderer Datenbestände, die du nennst. Da ziehe ich eine deutliche Trennlinie.
Mir sind all die von dir genannten Sachen durchaus sehr bewusst und ich weiß auch, was technisch über diverse Analysen möglich und machbar ist. Ich mache ja selbst im kleinen Rahmen derartige Dinge. Und ich bin mir, vielleicht mehr als es hier mancher glauben mag, durchaus darüber klar, dass es diverse Staaten gibt, die bereits jetzt leider schon die Zusammenführung verschiedenster Datensätze aus Überwachungsmaßnahmen verwenden um ihre Bürger zu steuern. Das Beispiel an Chinas social credit system ist auch mir hinreichend bekannt. Das basiert aber nicht auf Tracking durch personalisierte Werbung oder der Verwendung von Google anstatt von DuckDuckGo.
Was ich bemängele ist dieser oft anzutreffende, sehr verengte Fokus auf personalisierte Werbung. Da wird dann mit Ad-Blockern um sich geworfen, Suchmaschinen verteufelt, andere in den Himmel gelobt, aber die real existierenden Überwachungsmaßnahmen und Profilbildungen auch hier in D werden nicht erwähnt. Und die wenigen Dingen, die man als Privatperson unternehmen kann, werden eben nicht getan.
Nehmen wird mal meine zwei liebsten Beispiele: Verfolgbarkeit von IP-Adressen und der Kommunikation via Mail.
IP-Adressen sind ein deutlich einfacheres Mittel, Menschen zu tracken, als personalisierte Werbung durch Google oder eine andere Suchmaschine (darum ging es mir bei meinem Posting) Und wir in D unterhalten uns auch gerade ob wir das Quick-Freeze einfach mal schnell in eine Vorrartsdatenspeicherung ausbauen sollten. Beim Thema IOP-Adressen ist dann der Datenschutz, den macOS eingebaut bieten kann, und der technisch gesehen besser ist als jedes VPN, vielen User schon zu teuer. 99 ct pro Monat ist manchen Usern dieser Datenschutz nicht wert. Aber eine andere Suchmaschine nutzen und Werbeblocker installieren, damit beschäftigt man sich und hält das für ein kritisches Einfallstor und erfindet Horrorgeschichten. Ich sehe das als einen komplett falschen Fokus auf ein Thema "Werbung", das hochstilisiert wird, das aber im Vergleich zu anderen Themen echt vernachlässigbar ist.
Oder Mail.
Mail ist per Design nie auf Datenschutz ausgelegt worden und kann auch faktisch so nicht verändert werden. Spätestens die Metadaten können nicht verschlüsselt werden. Darüber sind dann die von dir genannten Profilbildungen und Kontaktgruppen machbar. Wenn dann machen User der Ansicht sind, sie würden das lösen indem sie auf nicht-personalisierte Werbung einsteigen, die ihnen vormacht sie würden bei einem Mailprovider "sichere Mails" haben, dann vergessen sie eben, dass jede Mail auch beim anderen Kommunikationspartner (dem Sender oder dem Empfänger) vorliegt und man selbst über dessen Datenschutzverhalten oder des seines Providers keinerlei Kontrolle hat. Die einzige Möglichkeit, die sich dafür bietet ist nunmal Inhaltsverschlüsselung der Mails. Das aber wird als zu komplex betrachtet und außerdem kostet das ja auch wieder was, wenn man sich ein S/MIME Zertifikat besorgen würde. Ganz abgesehen davon, dass man dann entdeckt, dass es kaum jemanden gibt, der auch S/MIME verwendet, weil auch der andere keine Ahnung hat und auch denen das zu teuer ist.
Fazit auch bei Mail ist da für mich, dass man lieber mit einer ach so datenschutzfreundlichen Suchmaschine herum hantiert, sich nach kostenlosen Werbeblockern umsieht, aber das eigentliche, wirklich datenschutzrelevante Thema "Mail" gar nicht angeht. Das kostet ja was und da müsste man sich ja auch noch weiter bilden.
Beim Thema Mail braucht es übrigens keine zusammenfantasierten Szenarien, dass ein Werbetreibender seinen Tracker mit anderen Datenbanken zusammenführt, die er illegalerweise irgend woher besorgt. Bei Mail ist es gesetzlich geregelt und erlaubt, dass der Inhalt von staatlichen Behörden zur Überwachung heran gezogen werden darf. Nennt sich Telekommunikationsüberwachungsverordnung.
Insgesamt habe ich daher bei diesen Erzählungen über personalisierte Werbung immer den Eindruck, das diejenigen, die das so vehement ablehnen, einen falschen Fokus setzen. Personalisierte Werbung ist der Teufel, aber andere Segmente werden komplett ausgeblendet.
Eine Anmerkung noch:
Bis auf eine kleine Partei, die in Gefahr läuft bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr im Parlament zu sein, werden von den Wähler nur solche Parteien gewählt, die eben jene verdachtslose Vorratsdatenspeicherung und damit Totalüberwachung umsetzen wollen. Da frage ich mich dann, wo da die "Angst" vor dem "gläsernen Bürger" bleibt.
Edit und Anmerkung 2:
Wenn man sich die gesetzlichen Verpflichtungen zum Datensammeln ansieht, die durch das "Kiffer-Gesetz" gerade eingeführt werden, dann ist personalisierte Werbung dagegen eine Wellness-Oase. Bereits jetzt wird in einem südlichen Bundesland alles unternommen, um Bürgern das Leben so schwer wie nur irgend möglich zu machen, Bürgern, die die ihnen gesetzlich zustehenden Rechte nutzen wollen.