Schulz entlarvt sich in dem Interview auf tragische Art selbst, da er von anderen Fakten einfordert, diese aber selbst nicht beachtet und auf diese nicht eingeht. Er geißelt Polemik und bedient sich dieser selbst. Er fordert Lösungen, bietet aber keine an. Was er Deutschland ausdrücklich vorwirft, erwartet er nicht ausdrücklich von anderen. Das ist mehr als inkonsequent:
Schulz schrieb:
Weder Italien noch Malta kann man alleinlassen, das muss eine europäische Aufgabe sein. Wenn Sie 10.000 Flüchtlinge auf einer Insel wie Lampedusa haben, die 6000 Einwohner zählt, ist das für die Insel eine Katastrophe. Wenn Sie 10.000 Menschen unter 507 Millionen Europäern in 28 Mitgliedstaaten verteilen, ist das machbar.
Malta hat knapp über 400.000 Einwohner. Die Einwohner von Italien nennt er nicht. Dafür die von Lampedusa. Anders als Malta ist Lampedusa kein eigener Staat. Er vergleicht damit Malta mit 400.000 Einwohnern mit Italien, welches 60 Millionen Einwohner zählt. Mit obigem Statement hätte Schulz sicher Recht, wenn Italien 6000 Einwohner zählen würde. Oder Lampedusa ein eigener Staat wie Malta wäre.
Spiegel schrieb:
Er [Innenminister Friedrich] verweist unter anderem auf Statistiken, wonach Deutschland bereits jetzt viermal so viele Flüchtlinge aufnimmt wie Italien.
Schulz schrieb:
Ich finde die Reaktion des Innenministers angesichts der Lage am Mittelmeer überraschend. Wir sind zunächst einmal dazu aufgerufen, das schlimme Schicksal der Menschen zu lindern. Es hat keinen Sinn, sich auf billige Polemik und Zahlenspiele zurückzuziehen. Dahinter steckt die Weigerung, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Die Realität ist: Wir sind ein Einwanderungsland und ein Einwanderungskontinent. Ob es uns passt oder nicht.
Schulz selbst nennt Zahlen, um seine Ansicht zu untermauern, werden ihm Zahlen entgegengehalten, die seine Ansicht infrage stellen, redet er von Zahlenspielen.
Wie zu lesen, antwortet Schulz auf die Frage nicht, er nimmt die Fakten nicht zur Kenntnis, er reduziert Italien, 60 Millionen Einwohner, auf Lampedusa, 6000 Einwohner, und fordert daher, diese Flüchtlinge in ganz Europa zu verteilen, also die Aufnahme von Flüchtlingen seitens Italien weiter zu reduzieren. Schon jetzt nimmt Italien weit weniger Flüchtlinge auf als andere Länder, gerade Deutschland. Unter den zehn Ländern, die weltweit am meisten Flüchtlinge aufnehmen, ist Italien nicht vertreten, Deutschland hingegen schon.
Auf Platz 3 (Ende 2012).
Schulz fordert mehr Solidarität mit Italien - und verkehrt die Realität ins Gegenteil. In Italien wird die Unterbringung der Flüchtlinge von Politikern und Organisationen als menschenunwürdig bezeichnet, Italien verletzt europäische Standards, Gerichte in Deutschland setzen Abschiebungen nach Italien aus, da die Bedingungen der dortigen Flüchtlinge so katastrophal seien, Italien keine menschenwürdige Unterbringung gewährleiste und medizinische Versorgung Flüchtlingen vorenthalte. Ein Großteil soll der Obdachlosigkeit ausgesetzt sein.
Aber Schulz fordert mehr Solidarität mit Italien.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt a.M. hat eine Überstellung eines Flüchtlings nach Italien als unzulässig erklärt, da dem Asylsuchenden in Italien "eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung" drohe (
Quelle).
Aber Schulz fordert mehr Solidarität mit Italien.
Italien nimmt weit weniger Flüchtlinge auf als andere Länder, weit weniger als Deutschland, und schleust diese unzulässig in den Norden Europas weiter.
Aber laut Schulz lässt Europa Italien im Stich.
Und das ist es, was ich auch anprangere. Es geht hier weder um pro oder contra Flüchtlinge, es geht darum, dass die einen Solidarität einfordern, auch gerade von Deutschland, selbst aber nicht gewillt sind, diese zu geben.
Ob das nun Eurobonds betrifft oder die Flüchtlingsproplematik. Fakten und Gründe werden nicht zur Kenntnis genommen, selbst Spitzenpolitiker polemisieren und verdrehen Realitäten ins Gegenteil.
Was Schulz betrifft, stellt sich die Frage, welche Agenda er eigentlich verfolgt. Anscheinend nicht die, die Lage der Flüchtlinge zu verbessern. Denn dann würde er zuerst fordern, dass Italien Solidarität zeigt - gerade auch mit den Flüchtlingen. Aber manchen Politikern dient jede menschliche Katastrophe als Anlass, politisch gegen andere zu punkten. Man würde sich freuen, würde Schulz die Maßstäbe, die er an Deutschland anlegt, auch an andere europäische Länder anlegen. Dies tut er gerade nicht.
Somit
fordert Schulz von Deutschland, Eurobonds zuzustimmen. Zeit für Vertragsdebatten sieht aber Schulz nicht.
Schulz in der taz schrieb:
Ich weiß nicht, ob wir die EU jetzt mit einer solchen Debatte belasten sollten. Die Bürger wollen keine institutionelle Diskussion, sondern Lösungen für ihre wirtschaftlichen Probleme. Das Argument, eine Vertragsänderung würde die Eurozone stabilisieren, zieht nicht. Sie würde mindestens zwei Jahre dauern. In einigen Ländern müsste der neue Vertrag mit einem Referendum ratifiziert werden. Ich rate zu Vorsicht.
Quelle.
Ist Europa noch zu retten? Das kommt auch darauf an, ob Länder nicht nur Solidarität einfordern, sondern auch gewillt sind, diese zu geben. Mit anzupacken. Zu ändern. Und nicht die Morphiumspritze suchen (Eurobonds) um Symptome zu mildern, sondern auch bereit sind, an sich zu arbeiten. Und an einem gemeinsamen Europa.
Donquichote und ich haben einmal festgehalten, dass wir uns letztlich, so skeptisch ich auch war und bin, selbst eine gewisse Ausformung von Eurobonds vorstellen könnten, wenn die Voraussetzungen geschaffen werden, also eine vertiefte europäische Union, demokratischer und mit weniger Egoismus und Sabotagemöglichkeiten von Politikern und Regierungen - und mit einer Abgabe von Rechten, dann aber an eine Institution, die demokratisch legitimiert ist. Und zwar mit der Behebung von gewichtigen Demokratiedefiziten. Das würde nicht nur bedeuten, dass auch ein so stolzes Frankreich Macht abgibt, sondern auch dass kleinere Länder an Stimmeneinfluss verlieren, zumindest im Parlament.
Und natürlich würde das bedeuten, dass sich Deutschland mit wichtigen Forderungen in Bezug auf Vertragstreue, Stabilitätsunion und Fiskalpolitik durchsetzt. Auch das wäre sehr teuer für Länder wie Deutschland, aber das Risiko wäre für die stabilen Länder dann eventuell tragbar und vermittelbar. Aber schon Frankreich und Deutschland haben hier sehr unterschiedliche Vorstellungen, auch mit Italien.
So wie ich es bisher sah, sind aber viele Länder nicht bereit, dies zu tun. Wer mehr fordert, muss aber mehr geben. Für ein einiges Europa unter einem Recht. Wer aber nicht bereit ist, mehr zu geben, sollte einmal das Fordern überdenken.
Die Frage ist: Was sind die Alternativen? Eurobonds will ja keiner...
Nur den Nutzen von Europa ziehen zu wollen, aber seine eigene Politik, auch wenn diese noch so ineffektiv ist oder bereits in die Krise führte, beibehalten zu wollen; die eigenen Bürger oder die eigene Elite nicht belasten zu wollen und dies daher von anderen zu fordern; Strukturreformen nicht angehen zu wollen und nach schnellen Lösungen zu rufen; Solidarität zu fordern ohne diese geben zu wollen; den Bürgern in Europa zu mißtrauen, sich aber zu wundern, wenn die Akzeptanz sinkt; den mühsamen Weg zu meiden (Vertragsänderungen, Strukturreformen, Debatten über die Zukunft, Steuergerechtigkeit) aber den schnellen einzufordern (Eurobonds) ohne die Voraussetzungen für diese zu schaffen - das ist nicht die Alternative. Die Alternative ist die, die viele Politiker scheuen: Änderung. Das betrifft alle Länder, auch Deutschland.