Wenn Politiker Preisgelder vergeben... *seufz*

S

spoege

Peter Handke, unbestritten einer der wichtigsten und wortmächtigsten Literaten des deutschen Sprachraums, hat den Heinrich-Heine-Literaturpreis der Stadt Düsseldorf zugesprochen bekommen.
Die Jury ist zerstritten, einige Mitglieder haben Interna ausgeplaudert, der Stadtrat will das Preisgeld nicht herausrücken – der Grund sind Handkes Äusserungen zum Jugoslawien-Krieg in den 90er Jahren.
Der Preis hat sein Ansehen verloren, Heinrich Heine würde sich im Grabe umdrehen.

Handkes Stellungnahme dazu sollte man auch kennen. http://www.sueddeutsche.de/,tt4m3/kultur/artikel/99/77022/
 
Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass Handke mit dem Kriegsverbrecher Milosevic sympathisiert. Das reduziert sein Ansehen ohne Zweifel, das kann ich nicht gutheißen!

Auf der anderen Seite war Heine ein Querdenker; Handke überschreitet mit seinem Handeln auch Grenzen, manchmal auch zu weit.

Think different!
 
Handke sagt, er habe die serbischen Kriegsverbrechen eindeutig verurteilt (und wiederholt dies). Er habe seinerzeit nur gegen eine Vorverurteilung von Milosevic eintreten wollen, dem ja in Den Haag ein Prozess wegen dessen Verantwortung für die Verbrechen erst noch bevorstand.
 
Heutzutage sind Vorverurteilungen ja normal, leider.
Daran sind die Medien nicht unschuldig - bestes Beispiel ist die Zeitung mit den 4 großen Buchstaben.
 
Ja, ist schlimm wie manche Leute vorverurteilt werden.

Wir sollten uns darauf beschränken, nur noch die massenmordenden Diktatoren als solche zu bezeichnen, die auch von einem ordentlichen Gericht deshalb verurteilt wurden.

Allerdings fallen mir da im Moment keine ein: Hermann Göring und Adolf Eichmann waren ja keine Staatschefs.

Alex
 
@ below: Es ist die Aufgabe des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, die Schuld und Verantwortung von Politikern, hohen Militärs etc. festzustellen.
Natürlich kann dies unabhängig davon auch jeder für sich selbst tun.
(Auch für mich deutet alles, was ich gelesen habe, darauf hin, dass Milosevic ein Kriegsverbrecher ist.)
Aber Handke einen bereits zuerkannten Literaturpreis mit der Begründung u.a deshalb zu verweigern, weil er Milosevic vor dem Gerichtsurteil von Den Haag nicht verurteilen wollte, ist hanebüchen.

Wenn wasserfeste und mainstream-geprüfte politische Meinungen von Künstlern Voraussetzungen für Preisverleihungen sein sollen, kann man jeden Kulturpreis vergessen.
 
Was mich bedenklich stimmt ist die Tatsache, dass er ja den Preis schon zugesprochen bekommen hat. Daran ist das Preisgeld doch gekoppelt, wenn ich das richtig im Kopf habe. Wäre ja genau das gleiche, als wenn Du einen Sportler auf sein Treppchen stellst und ihm dann sagst, er würde seine Goldplakette nicht bekommen, wegen etwas, dass er vor 10 Jahren gesagt hat.

Die Auswertung solcher Kommentare und die Entscheidung darüber, in wie weit sie Einfluss auf die Eignung eines Kandidaten haben, obliegt der Jury und wenn die grünes Licht gegeben haben, kann es nicht in der Befugnis des Stadtrates liegen, die Kohle zurück zu halten.
 
Obschon ich es bedenklich finde, einen politischen Preis wie den Heinrich-Heine-Preis an einen politisch fragwürdig agierenden Literaten wie Handke zu verleihen, ist es noch bedenklicher, daß sich ein Stadtrat in die Entscheidung einer unabhängigen Jury einmischt. Handke hat trotz aller "Idiotie" doch einen Beitrag zu einer vielschichtigeren Betrachtungsweise im allgemeinen "Serbien muß sterbien"-Wahn geleistet. Den Heine-Preis hat er damit allein noch nicht verdient, diese Farce jedoch haben weder er noch der Preis verdient. Ridicule.

Zoë
 
spoege schrieb:
@ below: Es ist die Aufgabe des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, die Schuld und Verantwortung von Politikern, hohen Militärs etc. festzustellen.
Natürlich kann dies unabhängig davon auch jeder für sich selbst tun.
(Auch für mich deutet alles, was ich gelesen habe, darauf hin, dass Milosevic ein Kriegsverbrecher ist.)
Aber Handke einen bereits zuerkannten Literaturpreis mit der Begründung u.a deshalb zu verweigern, weil er Milosevic vor dem Gerichtsurteil von Den Haag nicht verurteilen wollte, ist hanebüchen.

Wenn jemand sagt: "Du darfst Pol Pot nicht verurteilen, weil er nicht von einem Gericht verurteilt wurde" dann würde ich das für noch deutlich hanebüchener halten. Und es gibt ja Menschen, die eine sehr ähnliche Argumentation zur deutschen Vergangenheit an den Tag legen.

Allerdings stimme ich zu, wenn Handke diesen Preis nun zugesprochen bekommen hat -- der Grund entzieht sich mir -- dann soll er nun auch sein Preisgeld bekommen.

Alex
 
Die Jury-Mitglieder des Heinrich-Heine-Preises Sigrid Löffler und Jean-Pierre Lefèbvre haben ihren Austritt aus dem Gremium erklärt.
In ihrer Begründung schreiben sie unter anderem:
"Niemand wird Handkes bizarre Aktionen in Sachen Milosevic nachvollziehen oder gar billigen wollen. Auch seine Auffassungen zur Balkanpolitik muss man nicht teilen. Seine dissidenten Ansichten zu den Balkankriegen rechtfertigen aber keinesfalls die blindwütige Aggressivität, mit der hier ein Autor menschlich und politisch isoliert, mundtot gemacht und in seinem Werk beschädigt werden soll.
(...)
Dass Handke ohne Rücksicht seinen poetischen Blick gegen die veröffentliche Meinung und deren Rituale setzt, ist eine der Jury-Begründungen dafür, ihm den Heine-Preis zuzuerkennen. Die Hetzjagd gegen den Gekürten beweist ungewollt, wie sehr Peter Handke den Heine-Preis verdient hätte."

klick
 
Wenn ich mir Handkes "Rechtfertigungsartikel" in der SZ sowie die Kommentierung dazu im Spiegel anschaue (klick), dann frage ich mich schon, welcher Teufel die Jury geritten hat, den Preis an Handke zu vergeben. Auszug aus der Satzung des Heine-Preises:
Die Auszeichnung „wird an Persönlichkeiten verliehen, die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten“
Wer jemanden wie Milosevic, der fraglos als eine treibende Kraft zumindest im Geiste hinter ethnischen Säuberungen und Massakern stand, zu verteidigen sucht und überdies noch als Grabredner! auf dessen Beerdigung gesprochen hat, der kann IMHO keinen Preis bekommen, der sich insbesondere auf Verdienste um die Völkerverständigung und die Grundrechte bezieht.

Das die Geschichte insgesamt hochnotpeinlich ist und alle Beteiligten massiv beschädigt, steht ausser Frage....
 
Das sehe ich ja ähnlich wie Snoop.

Außerdem: Bestenfalls ist eine Juryentscheidung demokratisch korrigiert worden. Das find ich legitim, weil wir in einer Demokratie doch eigentlich genau dafür Kontrollinstanzen haben, oder? Eine Jury wird aufgrund der individuellen Expertise ausgewählt und ist ansonsten erstmal nicht legitimiert.
Wenn nun in diesem Zusammenhang von 'Unabhängig' gesprochen wird, muß gefragt werden, worauf sich diese Unabhängigkeit bezieht. So die jury unabhängig von Eingriffen zu einer Entscheidung/einem Vorschlag kommt - klasse. Sicher ist nicht jeder Juror unabhängig an sich. Auf jeden Fall aber, kann 'Unabhängig' niemals bedeuten 'Unkontrollierbar'. Wenn dies aber so ist, dann muß es auch eine Möglichkeit der Korrektur geben. Da so etwas natürlich eine dificile Sache ist, muß eine an eine solche Korrektur aber ein hoher legimatorischer Standart gelegt werden - ein Parlament ist da sicher der richtige Ort. Werden dort dann immer Entscheidungen getroffen, die ich richtig finde? Nein, natürlich nicht. Aber es ist ein transparenter Prozeß, an dem sich jeder beteiligen kann, wenn er will - im Unterschied zur Jury übrigens auch.

So what?
 
Barcelona schrieb:
Das sehe ich ja ähnlich wie Snoop.

Außerdem: Bestenfalls ist eine Juryentscheidung demokratisch korrigiert worden. Das find ich legitim, weil wir in einer Demokratie doch eigentlich genau dafür Kontrollinstanzen haben, oder? Eine Jury wird aufgrund der individuellen Expertise ausgewählt und ist ansonsten erstmal nicht legitimiert.
Wenn nun in diesem Zusammenhang von 'Unabhängig' gesprochen wird, muß gefragt werden, worauf sich diese Unabhängigkeit bezieht. So die jury unabhängig von Eingriffen zu einer Entscheidung/einem Vorschlag kommt - klasse. Sicher ist nicht jeder Juror unabhängig an sich. Auf jeden Fall aber, kann 'Unabhängig' niemals bedeuten 'Unkontrollierbar'. Wenn dies aber so ist, dann muß es auch eine Möglichkeit der Korrektur geben. Da so etwas natürlich eine dificile Sache ist, muß eine an eine solche Korrektur aber ein hoher legimatorischer Standart gelegt werden - ein Parlament ist da sicher der richtige Ort. Werden dort dann immer Entscheidungen getroffen, die ich richtig finde? Nein, natürlich nicht. Aber es ist ein transparenter Prozeß, an dem sich jeder beteiligen kann, wenn er will - im Unterschied zur Jury übrigens auch.

So what?
Bei allem Respekt, den Prozeß, den Du dort oben beschreibst hat einen Namen: Zensur.
 
Zoë schrieb:
Bei allem Respekt, den Prozeß, den Du dort oben beschreibst hat einen Namen: Zensur.

Absolut nicht! :p ;)
 
Warum wird in der Regel ein Kulturpreis von einer Jury und nicht von einem politischen Gremium vergeben?

Ein Stadtrat ist nicht sachverständig. Er wird von politischen Interessen geleitet, wie auch im Fall Handke deutlich zu erkennen ist.
Erlaubt man politischen Gremien, Juryentscheidungen zu "korrigieren", wird man für die Mitarbeit in einer solchen Marionetten-Jury nur noch zweitklassige Fachleute finden, wenn überhaupt.

Wie immer man zu Handke und seinen politischen Irr- und Wirrtümern steht (und da ist er nicht der einzige bedeutende Künstler): Der Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf hat sein Ansehen als Kulturpreis bereits verloren.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Preis erst seit 1981 nach Heinrich Heine benannt wurde. Vorher wurde er zwar auch als Literaturpreis an Heines Geburtstag verliehen, hiess aber Immermann-Preis.
Heine war den Düsseldorfer Politikern 1947, als sie den Preis einrichteten, irgendwie zu brisant. Dass ein Immermann-Preis bereits von den Nazis für "arische" Literatur vergeben wurde, störte sie weniger.

Vielleicht wird der Heine-Preis als Immermann-Preis für politisches Wohlverhalten zurückgebaut, oder als Karnevalspreis überleben. Auf diesem Gebiet sind die Düsseldorfer Politiker ja besonders kompetent, wie man alljährlich im Fernsehen beobachten kann, und da wird man auch sicher einen geeigneten Namensgeber finden.
 
auch wenn ich herrn handkes meinung nicht besonders teile: menschen wie ihm ist es zu verdanken, dass halbwegs gebildete menschen sich beide seiten der medaillen ansehen und dass wir (noch) nicht in eine komplette diktatorische, medienpolitische meinungsmache verfallen sind. man kann zu solchen themen stehen wie man will, aber eine meinung darf man niemanden verbieten.

wenn mir jemand erklärt, er ist ein faschist, dann erkläre ich ihm, dass ich seine politische überzeugung aus den und den gründen nicht teile und lasse mich gerne auf diskussionen ein. ich würde ihm aber nie seine meinung verbieten.

und dass herrn hendke jetzt der preis abgesprochen wird ist eine schande für die deutschsprachige literatur. da hätte man frau jelinek den nobelpreis auch aberkennen können, immerhin schreibt sie ja sehr gender- und sozialkritisch. damit werden viele politiker auch nichts anfangen können.

gruss,
non
 
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