Fachbücher Weltwoche: "Geniale Veredelung"

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Aus der aktuellen Weltwoche:
Apple

Geniale Veredelung

Peter Hossli

Apple bringt den neuen Wunderautomaten iPhone auf den Markt. Die Firma kündigt mit dem Handy eine Revolution an. Konzernchef Steve Jobs will zum globalen Cheftrendsetter avancieren. Das Rezept: Er bringt zur Vollendung, was andere erfinden.

Mit Engelsgeduld belehrt Mary ihren fünften Kunden in ebenso vielen Minuten. «Nein, leider gibt es keine Warteliste», sagt die zierliche Managerin des neongrellen AT&T-Ladens an der Court Street in Brooklyn. «Steve hat das ausdrücklich verboten.» Freundlich wie bestimmt rät sie dem dicken Mann mit zerknitterter Krawatte, am Freitag «möglichst früh» zu kommen: «Jeder will es haben.»

Einen Massenauflauf erwartet der Telekommunikationskonzern AT&T am 29. Juni. Dann gelangt das heissbegehrte iPhone von Apple in den Verkauf; ein mobiles Telefon mit integriertem Computer, Musik- und Videoplayer, das Apple-Chef Steve Jobs vor bald sieben Monaten angekündigt hat. Seither donnert eine Hype-Maschine durchs Land. «Kein elektronisches Gerät in der Geschichte wurde sehnlicher erwartet», sagt der Chefredaktor von Business Week, John Burns. Noch bevor irgendein Journalist das iPhone überhaupt in den Händen hielt, ziert es Titelblätter. Jedes noch so banale Detail des augenzwinkernd God machine genannten Geräts regt Apple-Fans zu tagelangen Online-Debatten an. Selbst der zurückhaltende Economist erlag dem iPhone-Fieber. Das vermeintliche Wunderding veranlasste das britische Magazin, Apple als «innovativste Firma der Welt» zu feiern.

Wegen eines Telefons mit Internet-Zugang, E-Mail-Programm und Musikplayer? All das bieten Geräte des finnischen Konzerns Nokia längst. Und mit dem Blackberry baut die kanadische Firma RIM seit Jahren bewährte -Mini-Computer. «Sie sind umständlich zu bedienen», sagt Steve Jobs. Das iPhone dagegen werde eine «Revolution» auslösen, technisch sei es «fünf Jahre voraus» – «it will blow you away», umhauen werde das iPhone jene, die es berühren. Darum geht es, um die sinnliche Berührung von Stahl, Glas und Plastik. Dabei hat das 11,6 Zentimeter lange und 1,15 Zentimeter dicke Telefon bloss einen Knopf. Finger, die über den hochauflösenden Monitor gleiten, steuern es, tippen Nachrichten ein, stöbern im Netz, wählen Wetterberichte an. Damit rückt das iPhone die Apple-Tüftler einen Schritt näher zum Ziel, das der Konzern seit dem Orwell-Jahr 1984 zielstrebig verfolgt: eine nahtlose Verbindung von Mensch und Maschine herzustellen.

Damals erfand Apple den Macintosh, einen Rechner, der beim Aufstarten lächelte und den Leuten die Furcht vor Computern nahm. Es war ein Gerät, «um das herum man sich sofort wohl fühlte», sagt die Chefin der Design-Abteilung des Museum of Modern Art in New York, Paola Antonelli. Der Mac war benutzerfreundlich. Kritiker schrieben ihm menschliche Züge zu. Statt Datencodes waren auf dem Bildschirm Piktogramme zu sehen, die ans Büro erinnerten: Es gab einen Papierkorb und Ordner, in denen Dokumente versorgt werden konnten. Stürzte der Prozessor ab, erschien eine comicartige Bombe, als ob der Mac sorry sagen wollte.

Die wichtigste Neuerung war die Maus, die an ihm hing. Einfach und schnell mit der Hand statt schwerfällig mit Codes (wie bei Windows) liessen sich Befehle ausführen. Seither gaukelt uns die Unterhaltungselektronik vor, digitale Information sei real und liesse sich nach physikalischen Gesetzen verschieben und bearbeiten.

Heimlich und weitsichtig

Diese Maxime entwickelt das iPhone nun weiter. Die Maus fällt weg. Die grafische Benutzeroberfläche – das Gesicht des Computers – wird zur taktilen Benutzeroberfläche. Scheinbar fliessend verläuft die Verbindung zwischen menschlicher Gestik und in Nullen und Einsen gefasster Information. Möglich macht das eine ausgeklügelte Technologie namens multi touch. Wie eine Haut ist der gesamte Bildschirm des iPhone mit hochsensiblen Sensoren überzogen. Sie reagieren auf feinste Bewegungen. Es lassen sich Objekte wie Fotos bewegen, E-Mails schreiben oder Videos anwählen. Sensoren spüren, wenn das Ohr näher ans Telefon gelangt, und starten Lautsprecher und Mikrofon.

Erneut scheint Steve Jobs im richtigen Moment das richtige Produkt auf den Markt zu bringen. Dabei erfanden nicht etwa Apples Ingenieure das multi touch-Axiom. Es geht auf die kleine Firma Fingerworks zurück, die zwei Professoren der University of Delaware vor zwei Jahren an Apple verkauft hatten. Deren Patente bilden das Innere des iPhone. Apple baute das formschöne Gehäuse, integrierte bestehende Technologie wie den Video-iPod oder den Safari-Browser und lässt alles von OS X steuern, dem Mac-Betriebssystem.

Klassische Erfinder sind Jobs und seine Ingenieure nicht. Das Innovations-Prinzip von Apple ist simpler und komplexer. Einfach, weil seit dreissig Jahren dieselben Ideale bestimmen, welche Produkte Apple lanciert. «Es müssen schöne, einfache und nützliche Geräte sein, bei denen Software und Hardware miteinander harmonieren», sagt der Designer des iPod, Tony Fadell. «Apple ist die einzige Firma, die so denkt.» Nicht die Technologie treibt die Ingenieure und Designer an. Viel eher müssen sie entwickeln, was Menschen mit Freude benutzen oder was Jobs glaubt, würden sie mit Freude benutzen wollen.

Komplex ist Apples Innovations-Prinzip, weil Jobs stets nach guten, aber nicht ausgereiften Ideen sucht und sie vollendet. Touchscreens gibt es bei Bankautomaten schon lange – sie funktionieren mittelmässig. Zitternde Videos können auf mobilen Telefonen seit geraumer Zeit angeschaut werden – genügend Bandbreite ist aber erst jetzt vorhanden, um Spielfilme ungestört zu geniessen. Auf Handys surfen liess sich schon vor acht Jahren – doch erst seit Google rasch das Wichtige vom Unwichtigen trennt, macht mobiles Internet Sinn. Der iPod von Apple war nicht der erste tragbare Musikplayer – den hatte Sony 1979 bereits als Walkman lanciert. Das an den iPod gekoppelte Programm iTunes verhalf digitaler Musik 2001 zum Siegeszug. Bereits 1973 entwickelten Xerox-Ingenieure die grafische Benutzeroberfläche; ein markt-taugliches Produkt entstand nicht. Jobs besuchte 1979 das Xerox-Labor, sah das System, war begeistert, begann den Mac-intosh zu entwickeln – und zeigte sein wahres Talent: Er ist ein genialer Veredler von Produkten, die andere erfinden.
 
Fortsetzung:
Belebung der Musikbranche

Vor fünf Jahren dachte Steve Jobs erstmals daran, in den rasch wachsenden Markt der mobilen Telefonie vorzupreschen. Mit dem iPod hatte Apple eben die angeschlagene Musikbranche belebt. Jobs ahnte aber, dass dereinst alle tragbaren elektronischen Geräte im -Handy verschmelzen würden. Heimlich wie weitsichtig stellte er am Apple-Hauptsitz im kalifornischen Cupertino ein Team zusammen, das sich dem Telefon widmete. Als Apple-Fans 2003 die Internet-Adresse iphone.org eintippten und umgehend auf die Apple-Website kamen, schien klar: Das iPhone ist nur eine Frage der Zeit. Doch Zeit liess sich Apple reichlich. Auf keinen Fall sollte ein iPhone die Umsätze des iPod kannibalisieren.

Erst als Nokia MP3-Player in Telefone integrierte und Sony Ericsson das Walkman-Handy einführte, testete Apple zaghaft den Markt. 2005 durfte Motorola eine schlanke Version von iTunes in ein unscheinbares Telefon einbauen. Halbherzig statt mit seinen üblichen Superlativen stellte Jobs das Gerät als «ziemlich cool» vor. Das unsinnlich «Rokr» genannte Ding konnte nur hundert Songs speichern – und fand kaum Käufer. «Hat Jobs den Verstand verloren?», nervte sich ein Blogger. «Das iPhone ist gar kein iPhone.»

Das war bewusst. Apple ist gut, wenn Apple alles selber macht. Und Apple brauchte mehr Zeit. Probleme verursachte nicht nur die Technologie, sondern der Vertrieb. Bei der mobilen Telefonie bestimmen die -Betreiber der Netze den Markt, nicht die Gerätehersteller. Dieses Paradigma wollte Jobs umdrehen; von niemandem lässt er sich gängeln. Er begann mit allen US-Telefonfirmen zu verhandeln. Er wollte wissen, wer sich seinem Diktat fügen würde.

Zur gleichen Zeit dämpften -Bankanalysten die Erwartungen und warnten Apple vor dem Eintritt in einen angeblich gesättigten Markt. «Ein iPod-Telefon untergräbt den iPod-Umsatz», schrieb einer, «keine rationale Firma zer-stört das eigene Geschäft.» Am 20. November 2006 zitierte Reuters den Analysten Shaw Wu von der Firma American Technology Research: «Das Telefon ist technisch mehr oder weniger fertig.» Höher schlug der Puls der Apple-Fans, als zehn Tage später das US-Patentamt einen Antrag publizierte, in dem Apple ein «draht-loses Kommunikationsgerät, kombiniert mit tragbarem Computer» zu schützen suchte.

«Unglaublich arrogant»

Wie gewohnt in abgewetzten Jeans, einem dunklen Rollkragenpulli und Turnschuhen trat Jobs am 9. Januar 2007 in San Francisco auf die Bühne. Wie ein Hohepriester verlas er das neuste Kapitel des Apple-Evangeliums: «Heute stellen wir drei revolutionäre Produkte vor», setzte er an. «Das erste ist ein Video-iPod mit breitem Monitor und taktiler Eingabe. Das zweite ist ein revolutionäres Mobiltelefon. Das dritte ein augenöffnendes Internet- und Kommunikationsgerät.» Dann hielt er inne. «Es sind nicht drei separate Geräte. Es ist ein Gerät. Es heisst iPhone. Apple erfindet heute das Telefon neu.» Mit kindlichem Frohmut demonstrierte er dessen Eigenheiten. Zum Schluss enthüllte er, was alle wissen wollten – was es kostet, wann es zu haben ist. Happige 500 Dollar muss zahlen, wer ein iPhone mit vier Gigabyte Speicher will, acht Gigabyte kosten 600 Dollar. Nutzen können es nur AT&T-Kunden. Lanciert werde es, wenn die Staatsbehörde FCC es absegne, frühestens «im Juni», so Jobs.

Aus der Spekulation um das Lancierungsdatum drehte Apples Marketingabteilung ihre Kampagne. Im Mai sickerte durch, die FCC hätte das Telefon zugelassen. Als Stunde null galt vorerst der 19. Juni, ein Dienstag, zumal Apple neue Produkte oft an Dienstagen vorstellt. Unverhofft strahlte Apple vor vier Wochen, am 3. Juni, Werbespots aus, die mit den Worten «iPhone Coming June 29» endeten. Eine Woche später sagte Jobs, das «iPhone kommt am 29. Juni um sechs Uhr abends». Die vage Präzisierung warf Fragen auf: Sechs Uhr, welche Zeitzone, an der Pazifik- oder Atlantik-Küste? Würde es sich lohnen, von Los Angeles nach Boston zu fliegen? Am 13. Juni dann das klärende Memorandum: «Das iPhone gibt es ab 29. Juni, 18 Uhr Lokalzeit.»

Verfasst hatte das Memo die Marketingabteilung von AT&T. Fünf Jahre lang darf der Konzern das iPhone in den USA exklusiv offerieren – und lässt sich dieses Recht etwas kosten. Wie von Jobs verlangt, beteiligt AT&T mit Apple erstmals einen Handy-Hersteller an den Einnahmen der monatlichen Abonnementeinnahmen. Damit nimmt Jobs den Netzbetreibern die Macht und schiebt sie den Gerätefabrikanten zu. Ein Ansinnen, das in den USA aufging, in Europa aber fehlgeschlagen ist. «Unglaublich arrogant» hätte sich Apple bei den Verhandlungen aufgeführt, zitiert -Analyst Avi Greengart von Current Analysis europäische Betreiber. Die finanziellen Forderungen seien «ganz einfach nicht zu rechtfertigen, egal wie begehrt ein Produkt» sei. Zwar könnte Apple das Gerät in Europa ohne Sperrung verkaufen, eine SIM-Karte von Swisscom, Orange oder Sunrise würde es aktivieren. Dabei entfielen aber etliche vom Netzbetreiber abhängige, für das iPhone entwickelte Funktionen.

Auch in den USA lehnten viele Firmen das Gerät ab. Zu gierig sei Apple gewesen, liess etwa Verizon verlauten, der grösste US-Anbieter. Für AT&T hingegen kommt das iPhone gerade richtig. Der Konzern nutzt es für eine der teuersten Umbenennungen einer amerikanischen Marke. Letztes Jahr kaufte AT&T die Mehrheit am Mobiltelefonanbieter Cingular. Um diverse Angebote wie Internet, Kabelfernsehen, Festnetz- und Mobiltelefonie unter derselben Marke zu offerieren, lässt AT&T den Namen Cingular fallen. Da US-Medien bei iPhone-Berichten «AT&T, ehemals Cingular» als Anbieter nennen, schafft der Konzern den Markenwechsel nahtlos und hoch effizient.

Die Börse sieht in der God machine einen Goldesel. Seit der Ankündigung im Januar stieg die Apple-Aktie von 85 auf 125 Dollar. Trotz Höhenflug empfiehlt der bekannte Technologie-Analyst Ben Reitzes von der UBS das Papier weiter zum Kauf und setzt das Kursziel auf 160 Dollar. Während Jobs tiefstapelt und bis Ende 2008 zehn Millionen Stück verkaufen will, prophezeit der oft richtig liegende Analyst Gene Munster von der Investmentbank Piper Jaffray 45 Millionen verkaufte iPhones. Das würde Apple ein Plus von rund 24 Milliarden Dollar und eine Umsatzverdoppelung bescheren. Unrealistisch ist das nicht. Welt-weit gehen jährlich zwei Milliarden Handys weg. 45 Millionen wären nur etwas mehr als zwei Prozent. Zum Vergleich: Beim iPod hält Apple einen Anteil von über 70 Prozent.

So viel Hype und noch mehr Zuversicht provoziert Skeptiker. Zwei Wochen vor der Lancierung setzten US-Medien zum iPhone-Bashing an. Dessen technisches Herzstück – der Touchscreen – gefährde den Erfolg. Jobs selbst, mäkeln Technologie-Journalisten, habe den Eingabemodus nie begeistert gelobt. «Wer der Eingabe vertraut, wird abheben», sagte er halbherzig. John Dvorak vom Finanzinfodienst Market Watch, der zur Dow-Jones-Gruppe gehört, empfahl sogar Put-Verkäufe auf Apple-Aktien, spekuliert also auf stark sinkende Kurse: Die Tastatur sei eine Katastrophe, habe ihm ein «Brancheninsider» gesagt. «Die Leute werden das Telefon massenhaft zurückgeben.»

Steve Jobs kümmert das nicht. Er hat grössere Pläne. Sein Wunderding soll Apple dorthin bringen, wo er stets hinwollte, weg von der sonderbaren Computerfirma, hin zum globalen Trendsetter. Eben änderte Apple Computer den Firmennamen zu Apple Inc. Nicht mehr nur schöne Nischenprodukte mit einem Marktanteil von unter fünf Prozent will der Konzern vermarkten und verkaufen. Jobs will Mehrheiten. Er öffnete das iPhone fremden Programmierern, die dafür Internet-basierende Software schreiben. Das soll eine Megaplattform schaffen, einen Industriestandard, der die mobile Telefonie prägt und Cashflow generiert.

Umberto Eco bejubelte den Mac

Ein zweites Mal nach dem iPod soll Apples Dreifaltigkeit aus betörendem Design, überlegener Technik und vifem Marketing ein massentaugliches globales Produkt schaffen.

Und vergessen machen, was beim ersten Mal fehlschlug. Obwohl der Macintosh vom italienischen Autor Umberto Eco als «festlich, freundschaftlich, versöhnlich» bejubelt wurde, fand er wenig Käufer. Nach einem Machtkampf verliess Jobs 1985 die Firma. Zwölf Jahre lang suchte er nach einer Erklärung für das Scheitern des Macs. 1997 – Apple war der Pleite nahe – kam er zurück. Von nun an kümmerte sich der Pedant um jedes Detail. Mit einem neuartigen Betriebssystem rettete er den Mac. Dann besann er sich auf sein Urprinzip, fand Trends und Technologien, beseelte, verbesserte – und öffnete sie für Windows-Benutzer.

Der Plan ging auf, für Jobs wie Apple-Aktionäre. Seit er die Firma wieder führt, ist der Aktienkurs von 3 auf 125 Dollar gestiegen. Um den Faktor 41 hat sich der Wert des Konzerns vermehrt. Aktien-Optionen machten ihn, der nur einen Dollar Lohn pro Jahr bezieht, mit 646 Millionen Dollar zum bestbezahlten Firmenchef der USA.
 
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