Wann ist satire kunst?: extra 3 vs. Erdogan

Aus meiner Sicht ist "Die Anstalt" in dieser Form weder investigative comedy noch politisches Kabarett, vor allem kein gelungenes.
Du machst auch ein bestimmtes Qualitätsniveau zur Voraussetzung dafür, dass sich ein Format Kabarett nennen darf. Wenn es eine bestimmte Gesinnung transportiert oder, noch schlimmer, die Gesinnung des Publikums ständig nur bestätigt (beides ist typisch für "Die Anstalt") und dafür manchmal auch noch die Faktenlage zurechtbiegt, ist es kein Kabarett mehr.

Das kann man natürlich machen, und in deiner Kritik gebe ich dir auch recht. Aber ich denke, deswegen bleibt auch eine solche Sendung Kabarett, von Anspruch und vom Format her auf jeden Fall.

Die Silvestersendungen der Münchner Lach- und Schießgesellschaft wurden früher auch so rezipiert, da versammelten sich Sozialdemokraten in der Erwartung vor den Kisten, dass Hildebrandt den Schwarzen wieder ordentlich Saures gibt. CDU-Regierungen galten als goldene Zeiten für's Kabarett, SPD-Regierungen als schwierige Sache, mit die "Sozis" gingen praktisch alle Kabarettisten – auch Hildebrandt – immer auffällig milde um.

Kabarett hat in Deutschland fast immer etwas von weltanschaulicher Wohlfühloase an sich, grade auch die quotenstarken TV-Sendungen wie heuteshow und Anstalt. Bei der heuteshow wird deshalb auch auf die Mischung geachtet, der ätzende Wischmeyer immer von lustigen Sketchen flankiert.
 
Gerade in den letzten 2-3 Tagen ist die AfD mal wieder wegen zwei Beiträgen in der heute show und bei extra3 durchgedreht, fanden die Aussagen von Ehring, Welke und Kabelka widerlich usw.
Hier ist der beitrag (ab min. 5:28): http://daserste.ndr.de/extra3/Christian-Ehring-AfD-Parteitag-in-Koeln,extra12836.html

Die heikle passage:


"Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte", rief die neue Spitzenkandidatin der AfD, Alice Weidel, auf dem Bundesparteitag in Köln. Eine Steilvorlage für alle Satiriker. Christian Ehring, seines Zeichens Moderator der NDR-Sendung "extra 3" ließ den Clip während seiner Sendung einspielen und kommentierte bissig: "Jawoll, Schluss mir der politischen Korrektheit. Lasst uns alle unkorrekt sein. Da hat die Nazi-Schlampe doch recht!"
http://www.stern.de/politik/deutsch...-wegen--nazi-schlampe--verklagen-7434782.html

Die afd kann realsatire.
 
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Tscha, wenn die Weidel sich selbst zur politischen Unkorrektheit freigibt, dann sollte sie sich nicht wundern, wenn letztlich auch die höchste Form politischer Unkorrektheit, die Beleidigung, genutzt wird.

Mal ganz abgesehen davon, dass ich wohl nicht falsch vermute, dass so mancher AfD-Sympathisant oder -Mitglied die lesbische Beziehung der Weidel ebenfalls schlampig nennen würde.
 
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dass so mancher AfD-Sympathisant oder -Mitglied die lesbische Beziehung der Weidel ebenfalls schlampig nennen würde.
Das wird ja in dem beitrag auch erwähnt. An die insider: Was habe Joko und Klaas damit zu tun?
 
An die insider: Was habe Joko und Klaas damit zu tun?
Da ich Joko und Klaas nicht konsumiere, kann ich nur vermuten, dass mit der Anspielung sowas wie bei Böhmermanns Verafake letztes Jahr gemeint ist.
 
Du machst auch ein bestimmtes Qualitätsniveau zur Voraussetzung dafür, dass sich ein Format Kabarett nennen darf.
Natürlich "darf" sich jedes Format so nennen wie es will und verorten, wo es will. Jan Böhmermann fällt ja auch unter die Kategorie Late Night Comedy mit satirischen Beiträgen, ob man die Sendung und den Moderator nun mag oder eher nicht so.

Ich kritisiere in erster Linie, dass diverse Formate einfach nicht gut gemacht sind, ganz unabhändig von meinen persönlichen Vorlieben oder meiner Gesinnung. Um das mal in einem anderen Kontext zu verdeutlichen: sowohl Astrid Lindgren als auch Jason Dark waren schriftstellerisch tätig. Natürlich sehe ich da Unterschiede im Qualitätsniveau, denn so ein Meisterwerk wie "Das Buch der grausamen Träume" hätte Lindgren niemals schreiben können. :crack:

Im Ernst:

Die Silvestersendungen der Münchner Lach- und Schießgesellschaft wurden früher auch so rezipiert, da versammelten sich Sozialdemokraten in der Erwartung vor den Kisten, dass Hildebrandt den Schwarzen wieder ordentlich Saures gibt. CDU-Regierungen galten als goldene Zeiten für's Kabarett, SPD-Regierungen als schwierige Sache, mit die "Sozis" gingen praktisch alle Kabarettisten – auch Hildebrandt – immer auffällig milde um.
Das trifft es auf den Punkt, die Frage ist nur, warum das politische Kabarett nach 12 Jahren Merkel nicht erfolgreicher und weiter verbreitet ist als je zuvor. Womit ich während der Anstalt zu den Zeiten von Priol, Schramm und Barwasser übrigens gerechnet hatte - eine neue goldene Ära für dieses Format. Stattdessen reduziert sich das Angebot im Kern auf die Anstalt, Böhmermanns Late Night Show sowie extra3 und heute show - letztere beiden kein Kabarett, sondern Comedy, aber mit einer recht niedrigen oder zumindest wechselhaften Trefferquote. Der Status quo kann doch nicht nur an der Großen Koalition liegen.

Jetzt fang ich auch schon mit dem früher war alles besser™ an, aber neben der Anstalt hat auch die heute show massiv abgebaut; die haben meines Erachtens ihren Stil radikal geändert. Ich habe lange darüber nachgedacht, was sich geändert hat im Vergleich zu früher, als die FDP und Grünen noch oft ins Visier genommen wurden, und als Gernot Hassknecht fast jede Woche seine Tobsuchtsanfälle in Form eines Nachrichtenbeitrages hatte. Bis es mir zufällig durch den Konsum anderer Medien aufgefallen ist: YouTube hat die Sendung verändert. Die Art, wie YouTube Themen aufbereitet, die platt-schlüpfrigen Sex-Zoten, selbst die Sprache bzw. der "Jugend-Sprech", die Referenzen zur Trash-Popkultur und das Publikum, das angesprochen werden soll. Das hat die heute show deutlich weniger politisch bissig, dafür prolliger und gewöhnlicher gemacht. Und ja, auch das ist wieder Kritik am Qualitätsniveau.
 
YouTube hat die Sendung verändert. Die Art, wie YouTube Themen aufbereitet, die platt-schlüpfrigen Sex-Zoten, selbst die Sprache bzw. der "Jugend-Sprech", die Referenzen zur Trash-Popkultur und das Publikum, das angesprochen werden soll. Das hat die heute show deutlich weniger politisch bissig, dafür prolliger und gewöhnlicher gemacht. Und ja, auch das ist wieder Kritik am Qualitätsniveau.

Das ging schon vorher los, mit Einführung des Privatfernsehens. Kohl wusste schon, was er tat, als er RTL auf Deutschland losließ...
 
... YouTube hat die Sendung verändert. Die Art, wie YouTube Themen aufbereitet, die platt-schlüpfrigen Sex-Zoten, selbst die Sprache bzw. der "Jugend-Sprech", die Referenzen zur Trash-Popkultur und das Publikum, das angesprochen werden soll. Das hat die heute show deutlich weniger politisch bissig, dafür prolliger und gewöhnlicher gemacht. Und ja, auch das ist wieder Kritik am Qualitätsniveau.
Die Hassknecht-Stücke wurden von Welke geschrieben, der mE zusammen mit Wischmeyer zu den bissigeren Autoren zählt. Dass die in so viel GaGa eingebettet werden, kann nicht nur an Youtube liegen. Die heuteshow liegt inzwischen stabil bei über 3 Mio Zuschauern, das Konzept funktioniert also. Das Qualitätsniveau von Satire muss sich dem Niveau der politischer Bildung beim Zielpublikum und dessen Ausstattung mit Informationen anpassen, sonst wird sie nicht verstanden. Ein Witz, den man erst erklären muss, funktioniert nunmal nicht, das ist auch bei politischen Witzen so.

Ich denke, dass das Interesse, sich eingehender mit Politik zu befassen, insgesamt gesunken ist. Die Nutzung der simplen Informationsquellen im Internet nimmt zu, die traditionellen Medien mit ausführlicherer Berichterstattung verlieren. Mit den Informationen ist es wie beim materiellen Vermögen: Die Schere zwischen der bildungsfernen und der gebildeten Öffentlichkeit öffnet sich immer weiter.

Das äußert sich dann letztlich auch in der grassierenden Intellektuellenfeindlichkeit, dem Schimpf auf die "Eliten" und "die Medien". Darauf nehmen auch Satiresendeungen wie die heuteshow und Anstalt Rücksicht und achten darauf, ihr Publikum nicht zu überfordern.
 
Ich fand den Welke vor Jahren echt schlecht ... weichgespült, angepasst, harmlos, langweilig.
Seit einiger Zeit ist der ganz schön bissig, nimmt kaum ein Blatt vor den Mund, und ich schaue
die Heute Show ganz gerne. Geht es nur mir so?
 
Seit einiger Zeit ist der ganz schön bissig, nimmt kaum ein Blatt vor den Mund, und ich schaue die Heute Show ganz gerne. Geht es nur mir so?
Ich guck sie mir auch regelmässig an, aber nur aus der Mediathek, weil ich dann die Gaga-Sketche auslassen kann. (Die in der Sendung leider ein Übergewicht haben.) Welke finde ich witzig und oft angriffslustig, Wischmeyer richtig gut – leider sind dessen Nummern zu kurz. Bei Welke stört mich allerdings, dass er zwischen Ironie, Sarkasmus und echter Empörung/Belehrung hin- und herpendelt.
 
sowie extra3 und heute show - letztere beiden kein Kabarett, sondern Comedy
Mit dieser Kategorisierung kann ich mich nicht recht anfreunden:
Irgendwie sind diese Formate ein »weder/noch und doch ein bisschen von allem«.

Die »Wochenshow« von damals ordne ich tatsächlich unter Comedy ein, und zwar in nahtloser Fortsetzung von »Rudys Tagesshow«. Politische Themen waren dort nur Aufhänger für eine mal mehr, mal weniger gut gelungene Verwitzung von Politikern und deren Handeln. Letztlich harmlos. Die Chomeini untergejubelten Schlüpper waren nüchtern betrachtet nur der Versuch des Lächerlichmachens ohne politische Tiefe (und möglicherweise nur deshalb als Aufhänger des gelenkten iranischen Beleidigtseins geeignet).

»extra-3« und »heuteShow«, haben nur das Format der Nachrichtensendung von vorigen geerbt*). Sie sind demgegenüber erheblich politischer und satirischer ausgerichtet. Nach Eigenbezichtigung Welkes kupfert die »heuteShow« das Muster der »DailyShow« ab. Die Qualität hängt dann von der Tagesform der Präsentatoren und derjenigen der Politiker und der politischen Themen ab.

Anders wiederum die »Anstalt« (und früher der »Scheibenwischer«), die neben der Nummernrevue der Solos immer ein Hauptthema als roten Faden haben (hatten), und denen ich unterstelle, eben gerade weniger auf Lacher (Comedy), denn auf die pointierte Darstellung von Sachverhalten (Kabarett) auszusein. Lacher also nur als Kollateralnutzen der Umstände.

»heuteShow« und »Anstalt« befleißigen sich eines ausgiebigen, öffentlich einsehbaren Faktenchecks. Das brauchte ein »Scheibenwischer« damals noch nicht; es wurde ihm aber auch noch nicht abgenötigt. Wie man zu den verarbeiteten Fakten – und Meinungen! – steht, ist notgedrungen und immer von der persönliche Wertung diese Quellen abhängig. Und zwar sowohl derjenigen der Macher als auch derjenigen der Zuseher.

Naja, und dann »neo Magazin royale«, die doch sehr einem Muster wie dem der »Tonight Show« folgt, mit satirischem Anfang und dem Ende als Persönlichkeitsschau. Auch hier: die Qualität hängt von der Tagesform der Macher und der Sache ab. Verafake war schon guut!
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*) wobei »extra-3« ja noch erheblich älter als die »Tagesshow« ist (und die älteste der genannten)
 
Bei Welke stört mich allerdings, dass er zwischen Ironie, Sarkasmus und echter Empörung/Belehrung hin- und herpendelt.

Macht das nicht jeder Satiriker bzw. Kabarettist? Natürlich mit unterschiedlicher Gewichtung zwischen einfach nur witzigen Bemerkung und Empörung/Belehrung (ironische/sarkastische Bemerkungen können durchaus empörend oder belehrend gemeint sein; Ironie und Sarkasmus sind halt Stilmittel, die man zu verschiedenen Zwecken einsetzen kann). Die Gewichtung kann man sicherlich kritisieren, aber das Vorhandensein von Abwechslung ist jetzt nicht per se schlecht.
 
die Frage ist nur, warum das politische Kabarett nach 12 Jahren Merkel nicht erfolgreicher und weiter verbreitet ist als je zuvor
Vielleicht weil…
– die Merkel mit der Regierung gar nicht in Verbindung gebracht wird? (Pispers)
– die SPD über acht dieser zwölf Jahre in der Regierung dabeiwar? (Obwohl auch sie irgendwie nicht mit der Regierung in Verbindung gebracht wird.)

Gegen einen politischen Flutschfinger lässt sich schwer anreiben.
 
Kohl wusste schon, was er tat, als er RTL auf Deutschland losließ...
Auch hier: eher ein Kollateralnutzen für Kohl. Durch die Satellitentechnik war die Abschottung des Fernsehmarktes auf eine rein öffentlich-rechtliche Domäne nicht mehr zu halten. Dito über die fortschreitende Verkabelung ab 1984. Sat1 und kabel1 tragen ja nicht umsonst diese Namen.

Dabei waren RTLplus und Sat1, als ich diese hier in Dortmund über einen Ortssender ab 1989 erstmals terrestrisch sehen konnte, noch richtiggehend interessant. Neue oder erneuterte Art und Weise der Programmdarstellung, noch vernünftig vor, mittig und nach dem Programm platzierte Werbeblöcke mit erträglicher Dauer, ließen mich diese Programme schauen.

Heute, mit 5 bis 10 Minuten Werbung drei Minuten vorm Ende des Spielfilms – und Werbepausen, die sich nichtmal an der Position der Werbepausen im bspw. amerikanischen Original einer Serie orientieren, lassen mich das Fehlen dieser Programme seit DVBT2 nicht schmerzen – wobei ich sie allerdings schon lange zuvor unter DVBT nicht mehr konsumiert habe. (Ok, eine Ausnahme: Eurosport, dort aber nur wegen Snooker.)
 
Sehr gute satirische Arbeit, finde ich.

 
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Sehr geil, "20.000 Chemtrails über dem Meer" mit der Alu-Schieber-Mütze...
 
Was für ein Nachspiel soll das sein wenn die Erdogänse schon längst wieder zu Hause sind? Gemessen daran wie die US-Cops mit normalen Verbrechern umgehen war deren Einschreiten gegen die Erdogänse sehr zurück haltend, und man hat sich mit der Bewertung und den Haftbefehlen auch lange genug Zeit gelassen.
 
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