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Difool

Difool

MU Team
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18.03.2004
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Hallo Forum,

da ja so einige Leute von euch gerne schreiben,
dachte ich mir, daß wir evtl. eine "Onlinestory" anlegen könnten.
Ohne Regeln - nur Leitfaden und erste Person sollten eingewoben werden -
...und annähernd übersichtliche Beiträge (nicht gerade 999 Wörter...);
das ganze natürlich schön abwechselnd...und los geht's:



Kapitel 1


Sonntag.
Etwas Nieselregen hatte mir mein morgendliches Dösen während
des Brötchenholens ein wenig unterstrichen. Tiefer als sonst hingen mir
meine Gedanken im Schädel, und der Song "Silence Is Easy" von Starsailor
grub mir durchaus Nachdenkliches in die Denkmasse. Die neuen Kopfhörer
schrubbelten noch so neu mit ihrem Schaumstoff, daß ich meinen könnte,
jemand spiele beidseitig "Ohrwurm" mit mir, was ich in Kindertagen schon
als unschön bis unerträglich empfunden hatte.
Die Straßenmitte war mein Weg und der Weg war Frühstück.

Gedanklich wippte ich zu den Staccatorythmen des Liedes und bemerkte,
als ich ein bißchen gegen das nieselnden Himmelstreu äugte,...
 
...dass mir von diesem Tag nicht mehr viel übrig bleiben würde. Es wurde schon
wieder duster. Zu viele dieser Tage hatte ich in letzter Zeit erlebt. Zu viele
Stunden die, wie ein schlechter Streifen in einem verrauchten Bahnhofskino,
an mir vorüberzogen. Nur kurz unterbrochen durch die ´Nr. 4´, einen ´Grilled
Chicken Ceasars Salad´ mit einer Portion Pommes - irgendwann heute nachmittag
glaube ich. Eigentlich braucht man zu einem Salat ein Stück Weissbrot. Heute gabs
Pommes. Ohne Ketchup.
Meinen iPod hatte inzwischen die Kraft verlassen. Der Rhythmus kam nun mit jedem
Schritt von meinen Gummisohlen auf dem nassen Asphalt - getragen von dem Klang
der Regentropfen, die mir der Wind noch immer von hinten auf das feuchte Leder
meiner Jacke blies. Der Weg nach Hause war Routine.
Überraschend, wie schnell die Zeit vergeht. Die letzte Woche war wie dieser Tag.
Und wie die davor. Genau so wie der letzte Monat - und der davor. Erstaunlich wie
einfach es ist, über nichts nachzudenken.
Einmal kurz ziehen während man den Schlüssel dreht - anders geht die Tür nicht auf.
Erst jetzt fühlte ich wie nass ich war....
 
...das unvorteilhafte Gefühl beschlich mich in diesem Moment, daß es nicht
gut sein kann. Es kann nicht gut sein 20min durch den Regen zu laufen, mit
seinem iPod in der Hand...ungeschützt.
Wenigstens zickte meine Haustür nicht und gab mir Gewähr.

Die tropfende Festplatte im Designermantel legte ich behutsam ins Regal,
zog die Nassen Klamotten aus und überlegte mir, was an diesem Tag zu
tun sein könnte.
Dem Ton nach zu urteilen sollte mir das Telefon eine Entscheidung bringen.
Nach dem 4. Klingeln nahm ich den Hörer ab. "Hallo" räusperte ich mehr als
Begrüßung und fühlte, wie Wasser auf dem Telefon Körpertemperatur annahm.

Eine Frau war am anderen Ende der Leitung und mittendrin ein nicht gerade
reduziertes Rauschen, was meine Möglichkeit die Stimme zu erkennen, stark,
wenn nicht sogar unheimlich stark, verhinderte.
Schemenhaft schmolz mir ihr Timbre einen Namen in meine Muschel.
Pam. :D
"Pam wer?"
Schlagartig brachen mir einige Synapsen, wie warme, gekochte,
aufbrechende Kartoffeln, einen Sinn in diesen Namen.
Es handelte sich hier nicht minder um...
 
…meine Exfreundin Pamela. Dieser Tag sollte ein bedeutendes Ereignis in meinem Leben darstellen. Im Hintergrund hörte ich die fragilen, hochfrequenten Musikfragmente des aus den Kopfhörer des immer noch laufenden iPods, die sich seltsam harmonisch mit dem Rauschen aus dem Telefonhörer und der bekannten Stimme mischten.
„Ich wollte mich mal wieder bei dir melden“, sagte sie mit warmer Stimme. Ich fühlte mich unwohl. Regennaß stand ich da, den Hörer in der Hand, sprachlos.
„Du?!“, entgegnete ich verunsichert. Fragmente von „My Own Prison“ drangen an meine Ohren und erinnerten mich an den Tag, als ich meinen iPod gegen meine Freundin tauschte. Ein Frustkauf. Welch trostloses Dejavú. Es war damals ein genauso verregneter Tag wie heute morgen, nur das ich Ihren Anruf bekam, bevor ich das Haus verließ und nicht umgekehrt, so wie heute.
Was hatte das alles zu bedeuten?
„Bist du noch da?“, drang es in meine Ohren und riß mich aus den Erinnerung.
„Ja… Ja, das bin ich.…“ entgegnete ich, als mir ein Regentropfen die Wange herunterlief.
War es Regen? Oder war es das einsame Gefühl das sich wieder breitmachte, als ich ihr Gesicht zu ihrer sanften Stimme asoziierte?
 
Meine Hände waren immer noch nass - und trotzdem konnte
ich fühlen wie die Aufregung sie langsam feucht werden liess. Die
Anspannung legte sich um meine Brust wie ein mächtiges Seil und
zog sich mit jedem Atemzug enger.
So oft hatte ich mir diese Situation in meinen Gedanken ausgemalt.
Unzählige Male spielte ich diesen Moment vor meinem inneren Auge
durch: Meine Beine lässig übereinander geschlagen lenkte ich das
Gespräch wie der stolze Kapitän einer dieser Luxuskreuzer. Die goldenen
Abzeichen auf meiner weissen Uniform machten mich unwiderstehlich und
mit jedem Wort das meine Lippen verliess provozierte ich dieses verschmitzte
Lächeln in ihrem Gesicht. Nein, ich konnte es nicht sehen - aber eines war
sicher: Am anderen Ende der Leitung zerfloss jemand zu süssem Honig.

Jetzt war alles anders. Meine nassen Sachen vor mir auf dem Boden liegend,
stand ich da. Mein Herz pumpte. Nervös suchten meine Augen nach einem
sicheren Ankerplatz. Worte, die formuliert werden wollten erstickten schon
im Ansatz. Ich begann zu spüren, was ich längst überwunden glaubte:
Ein bohrender Schmerz kroch in mir hoch.
 
..und auch wenn sie so flach wie ein ipod war, hing ich noch immer an ihr. draussen regnete es inzwischen bimssteine oder irgendwas anderes massives, und ich war froh wieder zuhause zu sein mit meiner exfreundin am telefon.
"weisst du", sagte ich, "das grenzt an telepathie. mein ipod spielte gerade unser lied, wie hiess es noch gleich und da wollte ich mich gerade ans telefon setzen und dich anrufen. so einen verdammten ipod musst du nämlich auch haben. pam, den kannst sogar du bedienen."
"ulf (!), ich wollte eigentlich was anderes mit dir besprechen....."
"wie? jetzt nicht über ipods? du konsternierst mich immer wieder"
"ulf....ich habe dir was dringendes zu sagen. bitte hör mir einmal zu, nur dieses eine mal, bitte!"
unmittelbar vor der haustür war die quelle eines dumfen grollens, offenbar rollten inzwischen ganze findlinge die strasse entlang. ich machte mir sorgen wegen der terrakotta-ipods im vorgarten.
"pam, ich weiss was du jetzt sagen willst. es stimmt ich war sauer, als du den aldi-pc gekauft hast. aber das war nicht alles......"
"ulf, hör zu. damals, als wir uns das letzte mal gesehen haben..."
"du meinst in wiesbaden, bei der pokermeisterschaft?"
"genau. du hattest den drilling und bist mitgegangen. der trottel aus belgien ging auf flush, noch drei karten waren zu vergeben...."
"ja, ich erinnere mich. die sau wollte unbedingt, dass ich den ipod setze"
"genau. dieser trottel aus belgien hat sich jetzt nen mac gekauft und ich bin mit ihm zusammen. wir wollen zusammen einen online- kniescheibenversand aufmachen...."
wie betäubt blickte ich nach draussen
 
Mein starrer Blick fing sich im Regen, der unerlässlich an die
Fenster trommelte. Ein paarmal hatte ich es nun schon erlebt,
dass sich Telefongespräche kreuzten - aber so unpassend wie
in diesem Moment war es wohl noch nie. Dieses Duett der
Belanglosigkeiten holte mich wieder zurück in die Gegenwart -
und verschlang meine Pam ohne jegliche Vorwarnung.

Noch minutenlang stand ich da und lauschte. Aber die Leitung
war wieder tot. Die weiche Stimme, die diesem frostigen Moment
kurzzeitig Wärme schenkte hinterliess ein beklemmendes Vakuum.
Abwesend sank ich in die kalten Polster meines alten Ledersofas.
 
"hat sich jetzt nen mac gekauft"... na toll, na und?
wahrscheinlich ist er einer dieser typen, angespornt von einem macuser(.de), die das gute teil nur benutzen um zu imponieren..
ich gönne mir einen schluck von dem guten whiskey der noch in der ecke standt, und beginne über unsere damalige beziehung nachzudenken. ein crescendo meiner gefühle lässt mich aber nicht mehr herr meiner sinne werden. was, wenn das ganze einen zweck erfüllt, ist das ziel dieser ganzen angelegenheit?
ich nippe nochmal am glas und warte das sich mein ipod wieder auflädt...
 
...der Schluck Whiskey brannte meine Kehle mit Wärme aus, frische Lava
im Darmkanal, dachte ich und schenkte mir nach.
Pam hat einen Neuen.
Nun, alles ist so absehbar, wohl dennoch Teil der Zukunft.
Ich begann, darüber nachzudenken, ob ich das Gefühl abstellen könnte,
welches mir mit Inbrunst das Herz so schwer machte. Schwer machte, wie ein
massiver Tropenholztisch, alleine vom 4. Stock auf die Straße getragen.
Weswegen rief mich Pam an? – ...um zu sagen, daß sie einen Neuen hat?
Wohl kaum. Wohl doch?

"Als Gott die Zeit erschuf, machte er genug davon..."
Also nahm ich mir welche und hing meinen Gedanken nach.
Der alte Sekundenzeiger meiner Küchenuhr verriet mir die Wahrheit über die
aktuelle Zeit, und trieb mein Innerstes wie Sissifus damals den Stein.
"Einen Neuen...hat sogar 'nen Mac...pffft...ich sollte..."
Ja, was sollte ich? Sollte ich mal zu ihr rüber fahren. Dinge klarstellen?
Nein, das hatten wir. Quasi Durchsicht auf beiden Seiten...Freundschaft
ohne Sex - ...und all dies.

Ich erwischte mich dabei, wie ich mich anzog, die nassen Sachen mit dem
Fuß in die Badewanne schlenzte und meinen iPod, sowie Haustürschlüssel
griff und in meine geliebten Reef Sneakers schlüpfte.
Meine Hand, jetzt ziemlich beruhigt vom Malt Whiskey, begrub den Türgriff,
wie eine Kinderhand einen Buntstift.
Ich trat hinaus auf die Straße. "Mein Vorhaben könnte die Welt verändern.",
dachte ich gerade, als...
 
... ich bemerkte das die sonne wieder scheint!
nun gut, ich wusste noch länger über die ganze geschichte nachzudenken würde keinen sinn machen, aber entscheiden wir schon bewusst nach sinn und unsinn?

ich entschloß mich in den park zu gehen. vielleicht um den kopf zu lüften, vielleicht aber auch nur um die füße zu vertreten.
tief atme ich die frische, noch feuchte luft ein.

wie war das damals noch als wir uns kennenlernten? es war im herbst, und ähnlich wie heut vormittag begann es plötzlich an zu regnen. ich scheute mich nicht, und suchte mir einen öffentlichen platz wo es zudem trocken ist: die stadtbibliothek.
ich hatte mein apple notebook zwar dabei, aber auch wenn es mich wie immer reizte, ein buch über die deutsche trinkkultur seit dem mittelalter war meines erachtens auch entspannend, und so entschloß ich mich in irgend eine ecke zu verkriechen, um dem regen konsequent zu entgehen..

(platsch)
verdammte pfützen...

da saß ich also und dachte mir der tag würde mir nichts mehr bringen, als plötzlich die gesamte trostlosigkeit aus meinem leben zu verschwinden schien. ich konnte meine augen kaum noch davon ablenken, also ging ich näher. ich sah vollkommenheit, perfektion, schönheit, kurzum: die ipod werbung.
also stand ich da und wusste genau: irgendwann einmal wirst du einen ipod mit der gravur "wir beide für immer zusammen" besitzen.
in diesem moment rempelte sie mich an. ich sah ihr in die augen, und das einzige was ich noch sagen konnte war: "tschuldigung.. ich.. der ipod.. tut mir leid.." sie lächelte nur und meinte das macht nichts. so kam eins zum anderen...

(platsch)
ich sollte nach solchen regenfällen einfach zu hause bleiben, anstatt mit nassen füssen dahin zu gehen, wo mein ipod nur eine nebensächliche rolle spielen darf...
 
(platsch)
ich schaute dem rempelnden mädel hinterher. so, bzw so ähnlich hat es damals mit pam auch angefangen. ich arbeitete damals als chefentwickler in einer radkappenfabrik in iowa, pam arbeitete in der kantine. bei irgendeiner dieser unseligen firmenpartys sind wir dann zusammengekommen. als sie meinen ipod sah war es um sie geschehen. ständig wollte sie ihn begrabschen oder doch wenigstens in der hand halten. wir waren ein gückliches paar.......
auf der strasse sah ich den strassenfegern zu wie sie all die weggeworfenen flashplayer entsorgten. der monströsen regen, es waren 1200 liter auf dem quadradmeter gefallen, hatte ganze berge von diesem nutzlosen elektroschrott zusammen gespült.
das mädchen stand immer noch ganz in der nähe von mir an einem regal. sie hatte ein buch in der hand mit dem titel "brandschutzausrüstungen von kunststoffprodukten" ich muss gestehen, mein interesse für diese geheimnisvolle war nun direkt gesteigert. wie um himmels willen kommt man auf solch ein merkwürdiges thema? war sie vielleicht maschinenbaustudentin? auf jeden fall kontrastierte ihre erscheinung doch ziemlich zu der gewählten lekture. sie war mittelgross,schlank, hatte ihre blonden haare zu heidizöpfen geflochten. dazu ein kurzer rotkarierter rock, kaugummi, spiegelbrille. und sie blickte hin und wieder verstohlen zu mir rüber....
jetzt verstand ich! sie hatte sich einfach irgendein buch herausgenommen, in wirklichkeit beobachtete sie heimlich meinen ipod der auf dem tisch lag. nun blickte ich mich ein wenig genauer um. ich mochte mich täuschen in der deutung dessen was ich sah, aber tatsächlich standen hier einige frauen mit mehr oder weniger abwegigen druckerzeugnissen in den händen und schielten mit gespielter beiläufigkeit zu mir rüber.
 
Für einen kurzen Moment trug ich wieder meine Kapitänsrobe.
Wie Perlmutt in der Mittagssonne, knapp unter der Wasseroberfläche -
ich war umgeben von diesem magischen Schimmer. All diese
verschämten Blicke, die versteckte Aufmerksamkeit, das gespielte
Desinteresse, all dies gehörte in diesem Moment mir ganz alleine.
Ich genoss das Scheinwerferlicht.

Ein dumpfer Schlag schreckte mich auf. Mein Buch lag vor mir auf
dem Boden. Dieser verdammte Schmöker hatte meinen Tagtraum
jäh erstickt. Hastig versuchte ich die Seiten wieder glatt zu streichen.
An das Gelesene erinnern konnte ich mich nicht. Meine Gedanken
hatten mich im Griff.
Wie ich diesen Zustand hasste. Verloren in mir selbst. Wehrlos und ohne
Orientierung. Längst wähnte ich dies hinter mir. Doch schon ein verfluchter
Anruf belehrte mich eines Besseren. Nichts hatte ich überwunden. Keines
der Gefühle war vergessen. Was gewesen war liess mich nicht los. Ich konnte
es fühlen - und es machte mich zornig. Unfähig all dies wieder wegzuschieben
kroch die Wut in mir hoch. Wut auf mich selbst. Wut, auf das Unvermögen mich
zu kontrollieren. Ich musste raus. Raus aus dieser scheiss Bibliothek, raus aus
diesem drückenden Unbehagen.
 
kann es sein? ja! das mädchen von eben begegnet mir hier und jetzt in der eingangshalle nochmal! ein kurzer blick. sie blickt zurück. sie lächelt.

was ist nur los mit mir? dieses gefühl, wie zwischen zwei pferde gespannt zu sein.. "komm zu dir, bekomme einen klaren kopf!", sagte ich mir und liess mich nicht weiter beirren. ich wollte also zu pam, und ich grübelte noch immer was ihr neuer freund damit zu tun hat, das sie mich angerufen hat? allein aus der genugtuung heraus dass sie wieder einen neuen freund hat? will sie mir etwas sagen? oder spielt mein kopf mit mir verrückt? vielleicht ist an der ganzen sache gar nichts dran? warum kann ich sie dann nicht vergessen?

ein blick zurück, bevor ich die bibliothek verlasse - sie schaut immer noch lächelnd zu mir rüber - und ich werde nervös. fühle mich fast wie ein teenager, der seiner ersten liebe einen kuss geben darf. also beschliesse ich erstmal ruhe zu bewahren. meinen ipod in greifbarer nähe bin ich gewillt ruhe zu bewahren und erstmal 'easy listening'. ruhe bewahrt...
 
2. Kapitel

Entscheidungen in Beziehungs-Moll.

Etwas unsicher und nervös stand ich vor der, nur zu gut bekannten, Haustür
Pams. Ich zuppelte einwenig an meinen iPodhörerkabel und drehte langsam
die Lautstärke runter...die hektische Stimme vom Fishbonesänger "fadete"
sich ins Nirwana und ich mich in den O-Ton der Realität.

Rrrrrrrring. Hust. Es nieselte erneut, stellte dies fest und räusperte mich.
Ich überlegte mir, was ich zur Begrüßung sagen könnte - sollte.
Was wollte ich eigentlich bei Pam? Mir ging diese Frage nicht aus dem Kopf.
Rrrrrring.

Eine rassige Brünette öffnete die Tür und sog optisch mein Erscheinungsbild
ein. Ich grinste einfach mal. "Hi!", stieß mein Atem hin.
"Du mußt der Ex sein!", stellte sie überzeugt fest. "Bist ja ganz schön feucht,
was?", sie kicherte ziemlich schnöde und kniff meinem Flohmarkttroja ins
Rever. "Dann komm mal rein, du." flötete sie und machte eine zweideutige,
einladende Geste. Ich versuchte die Bilder, die deswegen durch meinen visuellen Äther wollten, zu verscheuchen, weil ich nicht "rollig" werden durfte.
Meine Turnschuhe snippte ich mit den jeweilige Zehen von meinen Hacken,
und ließ sie stehen, wo sie sie wollten. Da mir noch immer nicht wirklich
bewußt war, was ich hier eigentlich wollte, behielt ich Troja und iPod am
Körper.

Ich ging die Treppe zu Pams Flur hinauf und war gerade dabei mit dem,
auf meiner Augenhöhe befindlichen, Sitzgesicht ihrer Freundin zu liebäugeln,
als ein Aufschrei durch die Wohnung gellte...
 
... Es klang entsetzlich, grausam, gequält, voller Hass. Die undefinierbaren Laute wurden von den abartigsten Beschimpfungen gefolgt, den Abschluss machte dann ein Gewinsel, als wäre der Cäsar-Hund eingeklemmt in der Autotür Teilnehmer an einer 47 minütigen Einparkorgie einer 64jährigen Fahranfängerin. Fasziniert verfolgte ich anschliessend das dezibelstarke Streitgespräch zwischen einer 27 jährigen Waldhessin im Bestzustand und einem 24 jährigem flämischen Belgier mit Koksnase. Schon nach kurzer Zeit teilten mir beide die Ursache ihrer ihrer temporären Beziehungspause mit. Leider hatte Pam wieder einmal vergessen, die Katzen zu füttern. Anscheinend waren die 4 Stubentiger anschliessend von einem mächtigen Hungergefühl geplagt, zu dessen Bekämpfung sich die Katzen über die frischgegossenen Fensterbankblumen hermachten. Ein besonders trotteliges Exemplar seiner Gattung brachte ein einen Topf zu Fall, der nach einer haarsträubenden Flugphase den Boden traf und dabei das ihm kurz zuvor zur Verfügung gestellte Giesswasser in seiner näheren Umgebung tropfenförmig verteilte. Einem gezielten Angriff mehrer Wassertropfen hält selbst das beste Apple Netzteil nicht aus, worauf ...
 
ich feststellen musste, das SIE noch immer hier wohnt. Sie, Luise. die emanzipierte, selstbewusste und eigentständige nachbarin von pam. ich konnte sie damals nicht leiden, und wenn ich sie mir so anschaue, ehrlich gesagt, heute noch immer nicht.
ich dachte erst der schrei wäre von ihr, aber tatsächlich hätte er auch von mir sein können, als ich sie wiedersah:
sandalen, haare mit beinen dran, gefranster rock, t-shirt mit der aufschrift: "no men no problems" und haare die noch nie, oder vielleicht selten, ein haarpflegemittel berührten, bzw. sahen...
sie schaute mich mit diesem einzigartigen, unverwechselbaren gesichtsausdruch an, der bände sprach: "was will der denn schon wieder hier? looser. mann."
aber das wir mir egal, denn es kümmerte mich in diesem moment wenig. ich war hier wegen..., auf jeden fall weil pam mich angerufen hat. ich hatte nichts zu verlieren also nutzte ich die gelegenheit und setzte das breiteste, hämischste und sogar ignoranteste lächeln auf, dass ich je an mir feststellen konnte, und zielte damit direkt auf Luise.

aaah, ja, das tat gut.

ich ging an ihr vorbei, als hätte ich in einem jahrhunderte altem streit endlich recht bekommen und wandte mich wieder dem sitzgesicht der brünetten vor mir zu, als ich mit besagter brünette auch schon vor pams tür stand.
 
in pams zimmer erwartete mich das chaos schlechthin. irgendeine hysterische auseinandersetzung mit dem belgier, der auch da war.

woraufhin ich mich etwas ausgiebiger umschaute. pamela war offensichtlich ausreichend mit ihrem paranoiden belgischen pulveraffen beschäftigt, ich entschied spontan die beiden machen zu lassen und suchte nach indizien eines neuen lebens von pam. jetzt erst, mitten in diesem delirischem rumgebrülle bemerkte ich, dass sich hier einiges getan hatte. die ganzen appleplakate waren verschwunden, stattdessen prangten nun seltsame abbildungen von gekreuzigten teletubbies und ähnlich sonderbare dinge an den wänden. ein bild zeigte einen offensichtlich angetrunkenen almbauern bei dem befremdlichen versuch einer kuh ein tragbares grillgerät an den hörnern zu installieren. ein mädchen mit heidizöpfen stand dahinter und machte recht obszöne gesten dazu. ich wollte mich gerade wieder dem eskalierendem streit der beiden zuwenden als ich auf dem boden ein kleines heftlein sah, auf dem stand: "mein tagebuch" ich nahm es auf, ich hörte plötzlich nichts mehr, nur noch die einsame miles davis trompete aus meinem ipod.
pams tagebuch. ich las die erste seite.

"ich lernte ulf auf einer dieser unseligen firmenpartys kennen. er prahlte wie ein idiot mit seinem ipod herum, rannte wie ein gockel von kollege zu kollege um "sein teil" zu zeigen, machte dabei so ungeschickte tanzbewegungen, die noch viel lächerlicher wirkten da die anderen ja die musik nicht hören konnten. aber irgendwie mochte sofort ich diese exaltierte art von ihm. später musste ich ihn dann trösten, er war inzwischen völlig betrunken und sein ipod war unglücklicherweise ins pissoir gefallen. ja, so sind wir zusammengekommen."

ich spürte eine wut in mir aufkeimen, die den geifernden koksaffen zu einem zenmönch in tiefster meditation werden lassen sollten....
 
...und während ich stand, dabei in dem kleinen Buch mit Pams lausiger Orthographie und ihren einfallslosen Sätzen blätterte, weil ich immer weniger darin las, denn Wert hatte da kein Wort, da spürte ich plötzlich die ganze Sache von mir abfallen. Und mit 'die Sache' meine ich den himmelschreienden Blödsinn meiner Anwesenheit in diesem Zimmer der reinen Vergangenheit, in dieser Wohnung ohne Spaß und der lange nicht betretenen Straße in der die hier alle immer noch wohnten.

Pam war weg, raus aus mir und keinerlei Gefühl von Trauer stellte sich ein. Jeder erlebte Moment mit Madame Ex hatte sich zu einer Erinnnerung verwandelt, die so unwichtig wurde wie ein Kinofilm den ich vor Jahren mal gesehen hatte. Ich stand mitten in ihrem beknackten Zimmer, hielt ihr saublödes Tagebuch in den Händen, guckte auf die dummen benutzten Unterhosen vom Belgier die auf dem Boden lagen und schmutzig muffelten und mußte lachen über die unwürdige Szenerie.

Auf dem Weg aus der Wohnung habe ich wohl geleuchtet wie die Sonne. An Verabschiedungen kann ich mich schon nicht mehr erinnern und hätten sie mich angesprochen, wäre meine Hand segnend über ihre Häupter gestrichen. Mir wurde klar, daß es in dem bischen Lebenszeit die mir zusteht wichtigeres gibt, als sich an meine lasche Exfreundin zu klammern und wie ein Stück Vieh bei jeder Begegnung an Fortpflanzung zu denken.

Die Welt hatte anderes nötig! Als erstes verbannte ich den iPod tief in meine Tasche und schwor, das Ding nie mehr auf offener Straße zu nutzen. Konnte ich denn irgendeinen Baum benennen? Wußte ich etwas über öffentlliche Finanzverwaltung, über die Geschichte der Technik, der Moral? Worüber würde ich mich mit einem weisen Menschen aus einem anderen Land unterhalten können? Was würde ich einem Zeitreisenden über unser Jahrzeht sagen können? War ich in irgendeiner Weise nicht total abgeschmackt und stulle?....Ich verachtete mich plötzlich, dann verneute ich mich und zum Schluß verzehnte ich mich auch noch!

Zeit etwas zu ändern!
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
ich ging nach draussen. zurück ins leben, zurück auf die straße!

ein blick rechts: wohnblock neben wohnblock...
ein blick links: die lange straße die mich hierher führte...
ein blick auf die uhr: 17:11uhr, und eine innere, mir sehr bekannte stimme sagte: schön und gut, morgen ist auch noch ein tag und für heute ist feierabend!

halt mal. war das nicht genau jene stimme die ich gerade entschied für immer verstummen zu lassen? nagut, versuchen wir was anderes. ich suche meinen ipod aus meiner tasche und verwünsche mich fast selber, weil ich ihn wirklich in die letzte ecke meiner tasche gepackt habe.. power:eek:n! ich fahre gekonnte kreise auf dem weissen ring und suche die adresse von Alex raus.
Alex ist sowas wie ein guter kumpel von vor 10 jahren. heute treffe ich ihn nur noch durch zufall dann und wann. entscheidend ist, dass ich mit ihm ernsthafte, sinnvolle und weiterführende diskussionen führen kann.. denke ich zumindest.. ausserdem sollte ich mich eh bei gelegenheit mal melden..

er wohnt nur drei straßen entfernt. zu kurz für die sbahn, zu lang ohne ipod..
 
drittes kapitel

es dauerte noch eine ganze woche, bis ich diesen gespenstigen vorfall zu den akten gelegt hatte. scheinbar zumindest. denn auch wenn ich emotional nicht mehr tangiert war, wenn ich über die ganze sache nachdachte, so kamen doch nun rationalere überlegungen zum zuge in bezug auf pam. die geballte flut an eindrücken in der wohnung hatte sich zu einem neuen gesamtbild über die situation damals gelegt. ich sah nun einiges ganz deutlich in der erinnerung, was ich scheinbar in den chaotischen augenblicken in ihrem zimmer gar nicht registriert hatte.
ich erinnerte mich nun ganz klar, dass die ganze wohnung nach hühnerpisse stank, die quelle des geruchs war nicht mehr auszumachen, aber jetzt fiel mir auch wieder der zugeschissene weisse wohnzimmerteppich ein, den ich kurz sah, als ich auf dem weg zu pams zimmer war und der aussah wie ein gemälde von jackson pollock.
wenn ich mich recht entsinne, konnte ich die "dame", die mir die tür geöffnet hatte
nicht im spiegel der im flur stand sehen.
von der decke tropfte es eine beunruhigende klebrige flüssigkeit. (ein befreundeter chemiker untersuchte einen dieser tropfen, der auf meinem jackett gelandet war und stellte fest, dass es sich um ein rätselhaftes gemisch aus alete kindernahrung, jägermeister und frittierter kapuzinerkresse handelte).
zu alldem beschäftigte mich zunehmend die frage, wer dieser dreckige belgier wirklich war. ich kannte ihn von diversen pokerabenden, in fachkreisen wurde er nur "dreikarten-flush" genannt.
 
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