Dieser Thread spiegelt für mich frappierend deutlich genau etwas wieder, was ich immer wieder im Berufsalltag erlebe.
Ein Kunde kommuniziert ein Bedürfnis und eine vage Vorstellung davon, wie dieses Bedürfnis befriedigt werden könnte. Er zeigt seine Gedanken und Ideen mal vor und stellt sie in den Raum.
Von den Anwesenden (Mitofferierenden) interessiert das eigentlich keine Sau, was der Kunde will und sich vorstellt. Auch nicht, was für seine Zwecke sinnvoll und angemessen ist. Stattdessen kommen Egos zum Vorschein, die nach Aufmerksamkeit und Anerkennung geifern. Erst mal wird alles Andere schlecht gemacht, dann die eigenen Entwürfe präsentiert (meilenweit weg von dem, was der Kunde kommuniziert hatte, was er eigentlich will) und vollmundig als das Non-Plus-Ultra beworben. Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit? Wen interessiert das? Klotzen, nicht kleckern lautet die Devise.
Alles frei nach dem Motto: Kunde, du hast keine Ahnung. Ich weiss das Alles viel besser als du.
Mag in manchen Punkten sachlich ja sogar stimmen. (Zumindest laut dem Uniprofessor in der Vorlesung an der Uni vor 5, 10 oder 15 Jahren ...)
Aber der Kunde entscheidet. Und bezahlt.
Man sitzt tief in der Scheisse, wenn das vergisst.
Leute wie ich sitzen in solchen Situationen und halten die Klappe und lachen sich in Fäustchen. Immer wieder prima, wenn sich die Agenturen selbst ins Aus schiessen. Dann muss ich das schon nicht machen.
Wenn dann die grossen Ego-Palaver oft nach stundenlangen Präsentationen und Geschwafel fertig sind, skizziere ich dem Kunden auf die Schnelle (manchmal wortwörtlich in 5 Min.) etwas. (meine Arbeit ist weniger im grafischen Bereich, daher ist mit skizzieren hier mehr ein Visualisieren/Kommunizieren eines Konzeptes gemeint) Etwas, das seine Angangsgedanken und Ideen aufgreift und verbessert. Etwas, das viele Kunden am Ende, wenn das Projekt abgeschlossen ist und wir mittlerweile per Du sind, den Kunden zu mir sagen lässt "Ich hatte euch den Auftrag gegeben, weil ich das Gefühl hatte, dass Du als einziger verstanden hattest, worum es mir eigentlich ging".
Natürlich kann ich Vieles besser als der Kunde, aber das muss auch so sein, immerhin ist es bei mir Profession während es beim Kunden nur ein (meist kleiner) Teil seiner gesamten Geschäftsstrategie ist. Somit erwartet er sogar von mir, dass ich es besser kann, als er. Aber das heisst nicht, dass er - der gekommen war um ein paar gute Sportschuhe zu kaufen - von mir hören will, er brauche einen Elektroroller um seine morgendlichen Runden im Stadtpark wirklich effizient drehen zu können. Denn sonst sieht er mich an und fragt sich, wie ich wohl auf die Idee komme, er sei ein völliger Idiot.
Anders ausgedrückt: ein Kunde gibt Dir immer einen Rohdiamanten in die Hand. Egal, wie Du den schleifen willst, egal was Du bereits darin zu erkennen glaubst, mach nie den Fehler den Rohdiamanten in die Ecke zu werfen und dafür Dein fertig geschliffenen Glaskristall mit stolz geschwellter Brust aus der Tasche zu ziehen. Denn die Reaktion wird nur sehr selten positiv sein.
Mein Ratschlag an alle, die pitchen müssen, die selbständig sind oder aus anderen Gründen in solche Situationen kommen: Egal, was Du sagen/zeigen/entwerfen/präsentieren/designen/konstruieren/skizzieren willst, wirf als erstes Dein Ego über Bord. Nein, es geht nicht drum, dass Du Dich selbst verwirklichst. Nie. Wenn Dein Ego das braucht, dann such Dir ein Hobby. Im Beruf hat Dein Ego nichts zu suchen.
Es geht ausschliesslich darum, was für den Kunden am besten ist. Und glaube nie, Du wüsstest viel besser als er selbst, was für ihn besser ist.
Für den TE ist das Logo, dass er sich nun selbst erstellt hat, mit Hilfe ein paar Anregungen (z.B. Thema "andere Schrift") von hier genau das Richtige für ihn.
Kapier es und lerne draus oder sei weiterhin ein Mitglied der Selbsthilfegruppe verkannter Genies und Künstler.
Wie gesagt, diese Worte richten sich ausschliesslich an Leute, die pitchen müssen, ihre eigenen Konzepte und Ideen verkaufen.
Abschliessend noch mal die Kurve zurück zu diesem Thread:
Biobauer Hans kommt und sagt "Ich hab hier diesen Rohdiamanten und will ihn selbst schleifen. Wer hat Tipps für mich?"
Reaktionen:
"
Lass den Scheiss und such Dir nen professionellen Diamantschleifer" => Welchen Teil von "will ihn selbst schleifen" hast Du nicht verstanden? Warum denkst Du, Du weisst es viel besser als er? Wie viel Kenntnisse über die wirtschafltlichen Begebenheiten in der biologische Landwirtschaft hast Du, auf die sich Deine Behauptung stützt? Wie viele Logos von vergleichbaren Unternehmen aus dieser Branche sind Dir persönlich bekannt? Wie gut kennst Du die Hintergründe bezüglich wirtschaftlicher Grösse, Umsatz, Marktpositionierung, Kundensegment und strategischer Ausrichtung des Unternehmens? Welcher Prozentsatz des Umsatzes wird durch B2B und welcher durch B2C generiert?
Spätestens hier solltest Du erkennen: Der TE weiss eben doch sehr viel sehr viel besser als Du. Warum also denkst Du, Du könntest Dir eine kompetente Meinung bilden, was für den TE gut, sinnvoll und zweckmässig ist? Warum sprichst du ihm selbst die Fähigkeit ab, das selbst zu beurteilen?
Kurz: Warum hältst Du Dich selbst für so viel schlauer?
"
Guck mal, meine (völlig andere) Idee hier ist viel besser" => Welchen Teil von "diesen Rohdiamanten" hast Du nicht verstanden? Warum musst Du der Welt (es gibt auch kleine, in sich geschlossene Welten) beweisen, dass Du das Alles viel besser kannst? Und vor allem: wie soll der TE davon profitieren? Indem er Deine eigenen Vorstellungen, Bewertungen und Einschätzungen aufnimmt und zu seinen eigenen macht? Warum sollte er das?
Wenn Du es schaffst, meine Worte nicht als Angriff auf Dein Ego zu werten, kannst Du vielleicht einen gewissen Nutzen daraus ziehen.
Das hoffe ich, denn so war meine Intention.
In diesem Sinne einen frohen 2. Advent.