Geht ein Leben ohne... Zeit für Kommerz vs. Vernunft

biblio

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Es ist schon schlimm. In ca. 15 Jahren werde ich aus der werberelevanten Zielgruppe fallen, doch bereits jetzt spricht mich kaum noch etwas an.

Klar werde ich auch älter (grobi112 Thread erwähnen) jedoch war mir noch nie so vieles egal wie heute. Ein paar Beispiele, die ich hier oft lese.

Must have iphone - ich hab ein Handy, das sogar klingelt! Fazit: geht noch - brauch ich nicht.

Must have neue iMac - bei mir siehe Signatur! Fazit: geht noch - brauch ich nicht.

Doch selbst die Werbeindustrie scheint es gemerkt zu haben. Ein 6 fach Rundumklingenrasierer zum schicken Super must have Preis läßt sich einfach nicht mehr absetzen, denn vorher sah man auch schon gut rasiert aus. Warum also den doppelten Preis bezahlen, wenn man die ca. 130 patentierten Neuerungen später gar nicht bemerkt.

Natürlich, ich vergaß die Flachbildfernseher. Früher war das Gucken ja gar nicht möglich, war ja eine einzige Quälerei. Ich hab einen TV - der geht, mehr brauch ich nicht.

Gerne wird auch Neues gezeigt (Galerie) und auch ein Extra Thread (ich hab was Neues) muß sein. Der Beweis das man sich etwas leisten kann, das man Stolz ist auf eine neue Errungenschaft. Gala, Instyle, Bunte & Co sind voll von angeblich wichtigen Menschen, die immer Ihre neuen Errungenschaften zeigen müssen. Aber warum, was wollen die mir damit sagen? Ich bin In? Ich bin Massenkompatibel?

Werbung rast an mir vorbei und die geht mir zu 99% auch am Arsch vorbei - nichts Neues, wenig Innovatives.

Zudem kommen im Forum viele Fragen: Ist ein Leben ohne Auto, neuen Klingelton oder iphone überhaupt möglich. Ja natürlich - vorher ging es doch auch, oder seit ihr erst unter dieser Bedingung des Vorhandenseins von Produkt XY auf die Welt gekommen?

Vielleicht bemerke ich aber auch, das ich zur neuen Oberflächlichkeit nicht massenkompatibel bin. Ohne Marke xy ist man nicht angezogen ohne das und jenes gekaufte Detail sollte man sich am besten auf der Straße nicht blicken lassen, das "geht schon mal gar nicht." Aber warum.:noplan:

Vielleicht bin auch auch nur müde. Seit 20 Jahren Zugehörigkeit in der werberelevanten Zielgruppe habe ich einfach keine Lust mehr auf Neuerungen im 3 Monatsrythmus und orientiere mich wieder an nichtkommerziellen Werten. Oh, Öko ist ja gerade auch da äußerst schick. Aber da kann man ja auch etwas zu kaufen. Selbst nichtkommerzielle Werte werden kommerziell, wenn man dazu etwas verkaufen kann. Für die Liebe wurde vom Valentinstag bis zum Muttertag das halbe Jahr kommerzialisiert, ohne den Kauf von Produkt xy klappt das nie mit dem Zeigen von Gefühlen.

Wo noch Platz ist im Kalender wird etwas Neues erschaffen, z.B. Helloween - da läßt sich auch in Deutschland wunderbar etwas zu absetzen. Andere Feste der Welt ohne große kommerzielle Möglichkeiten halten kaum Einzug. Alles gipfelt in den jährlichen Wirtschaftswundertag, den 24.12. - wo wir uns doch bitte drüber zu freuen haben, wenn mich die halbe Verwandtschaft wieder mit unnützen Sachen überhäuft die mir auch vorher nicht fehlten.

Natürlich sind Wünsche etwas Schönes und auch ein Antrieb. Meine persönliche Entdeckung ist der Abwurf von diesem ganzen Ballast. Ich benötige weder einen Cappucinomaker noch eine Espressomaschine oder gar den Eierkocher oder das elektrische Brotmesser. Je mehr Technik im Haus steht umso mehr geht kaputt umso mehr beschäftigt man sich mit diesen Sachen. Je weniger ich besitze, umso weniger brauche ich mich drum zu kümmern. Ganze Foren sind voll mit der Zeitverschwendung in Form von Reperaturen technischer Artikel. Früher konnte jeder einigermaßen begabte ein Auto reparieren, heute braucht man erst mal ein Notebook. Eine Glühbirne auswechseln ohne gleich die ganze Front abnehmen zu müssen (z.B. Renault) war noch möglich. Bis heute komme ich mit einem Auto auch nur von A nach B. Was nützt mir also der ganze Schnickschnack von der Klimaanlage bis zum elektrischen Fensterheber? Andere Verkehrsmittel bringen mich auch von A nach B - ich brauch evt. nicht mal ein Auto.

Das einzige was mir kaum einer schenkt ist Zeit. Die grauen Herren der Zeit-Spar-Kasse aus Michael Endes "Momo" sind über 30 Jahre nach Erscheinen des Werkes präsenter denn je. In Form von Technik, unausgereifter Software oder irren rechtlichen Beachtungsweisen im Alltag der Onlinewelt. Wir halten uns stundenlang damit auf - haben wir das wirklich nötig. Ist weniger mehr? Selbst das kann man kommerzialisieren. Das Model One von Tivoli/Kloss ist ein Radio mit 2 Knöpfen. Kapiert jeder und es ist erfolgreich. Geht das auch bei Computern und Handys?

Was ist also wirklich wichtig? Und wofür möchte ich mir meine Zeit nehmen und woran möchte ich in Zukunft keine Zeit verschwenden? Ich glaub für diese Frage nehme ich mir heute mal richtig Zeit!;)

Dank an die, die sich bis hierhin die Zeit genommen haben, meine wirren Urlaubsgedanken zu lesen!:Waveyib:
 
Bevor Du jetzt hier von den üblichen Verdächtigen auseinander genommen wirst, klatsche ich einfach mal dezent Beifall (ohne Klingelton)
:clap:

:)
 
Ich sehe bei mir in meinen noch sehr jungen Jahren viele Ähnlichkeiten in der Denkweise, aber nicht alles. Was mir aufgefallen ist, du bist wahrscheinlich ein ausgeprägter Pragmatiker und gibst dich mittlerweile mit den rudimentärsten Dingen zufrieden. Ohne Frage eine nützliche Einstellung/Eigentschaft.
Ich denke aber es gibt auch jede Menge Leute die mehr Ansprüche haben, ohne dabei der Werbeindustrie zum Opfer gefallen zu sein.

Trotzdem, schöner Text :) Schönen Urlaub noch! :zwinker:
 
Mönsch Dein Artikel trifft es auf den Punkt.
Schick den mal an die FAZ, könnte mir vorstellen das sie das drucken.

Leider wird Jeder zumindest ein wenig von der Werbung beeinflußt,
auch wenn es einem selbst unbewußt ist.
 
Dank an die, die sich bis hierhin die Zeit genommen haben, meine wirren Urlaubsgedanken zu lesen!:Waveyib:

Danke - du sprichst mir aus der Seele.

Ich als alter Sack habe diese Denkweise auch schon lange
verinnerlicht. "Weniger ist mehr" ist die Devise. Was ich nicht
brauche, belastet nur.
Kaffeemaschine braucht es nicht, und Brot schneiden wir von Hand,
nur um ein triviales Beispiel zu nennen.
 
biblioreader, vor einem Jahr hätte man dir Miesmacherei vorgeworfen, die unsere Binnennachfrage schädigt und damit das dringend benötigte Wirtschaftswachstum.
Deine Kritik ist sehr altmodisch, so und ähnlich wurde auch in den 60er und 70er Jahren schon Kritik an der verschwenderischen Konsumgesellschaft geübt. ("Haben oder Sein?")

Sie ist nach wie vor richtig, aber leider nicht mehr aktuell.
 
Viel Wahres - ich glaube, langsam werde ich auch alt. Ich habe mich in deinen Zeilen oft wiedererkannt.

Brot schneide ich auch mit der Hand, da steh' ich drauf. Ohne Espressomaschine könnte ich aber nicht überleben ;-) Ansonsten gönne ich mir ab und zu was "G'scheites" und bin damit relativ resitent gegen Trends. iPhone kommt mir nicht ins Haus ...

Gruß Frank
 
sagen wir mal so, man sollte ruhig die "Segnungen" des Fortschritts geniessen, aber nicht blind jedem Trend hinterher rennen.

Außerdem ist dieses Thema viel zu komplex, um eine allgemein gültige Aussage zu machen, was für den einen wichtig ist, kann für den anderen überflüssig sein und umgekehrt.

Dafür sind wir zum Glück Individuen, denen jede Gleichschalterei eigentlich zuwider ist.:)
 
Nun, ich denke, dass der Großteil von uns von Jobs lebt, die in irgendeiner Form mit "überflüssigen", weil nicht notwendigen Dingen zusammenhängen.
:noplan:

Von daher ist die Balance zwischen "Vernunft und Kommerz" eine individuelle Geschmacksfrage ohne "richtig" oder "falsch".
 
Ein 1 Ghz PowerBook ist doch noch nicht betagt! Das hat seine besten Zeiten noch vor sich ;)
 
:clap:

Auch wenn Werbung - bis auf formschöne Ausnahmen - völlig (hoffentlich)
an mir vorbei geht, kann ich mich in manchen Bereichen nicht eines gewissen
Optimierungs-Wahn erwehren, z.B. der Rechner im technischen Sinne,
Wohnung und Kleidung im Lifestyle-Sinne, auch dem beinahe gesellschafts-
übergreifende Gesundheits-Optimierungs-Anspruch kann ich mich kaum
entziehen. Optimiiiierung! Selbst die Zeit kommt nicht drumrum und der
Tagesplan lässt sich mit richtigem Management optimiiiieren.

Wir sind keine Konsum-, sondern eine Optimierungs-Gesellschaft.
Ich fürchte die Denke ist schon so verwurzelt, dass wirkliche Veränderung
kaum noch möglich ist.

Meine spontane Gedanken dazu.
 
Danke für den Text! In vielem sprichst du mir direkt aus der Seele, bei manchem habe ich schlucken müssen um nach kurzer Nachdenkpause die Feststellung zu treffen, das du auch in diesen Punkten recht hast... vor allem wenn man sich viele technische Errungenschaften ansieht, die, näher betrachtet, eigentlich garnicht so toll sind wie uns die Hersteller mit ihrer bunten Werbung weis machen will. Ich arbeite auch in der Werbebranche und weiss wie es funktioniert, deshalb war ich nie in einer "relevanten" Zielgruppe, ganz einfach weil ich hinter die Kulissen blicke und die ganzen Methoden nicht wirken.

Ja, und es befreit einen, sich von unnützem und ungeliebten Ballast zu trennen. Das Beste Buch was ich je dazu gelesen habe:

Feng Shui gegen das Gerümpel des Alltags
 
Unverständnis für die Gesellschaft und nicht-mehr-mithalten-können bei der Werbung, Konsum usw. sind ein untrügliches Zeichen dafür, dass man einfach ein alter Sack geworden ist.

"Immer diese Mode, ich hab noch meinen Mottenpulli aus der Uni"
"Was kann ein Handy, was ein Telegramm nicht kann?"

Sorry, das ist keine fundierte Konsumkritik, das ist Resignation.
Wie ein B-Comedian, der sich auf die Bühne stellt und anfängt: "Kennen Sie das auch...?"

Jeder kann und sollte reflektiert mit seinem Konsumverhalten umgehen. Alles aber einfach nur doof, unnötig und zu schnell oder laut finden: Alterserscheinung (unabhängig vom biologischen Alter), man hat einfach den Anschluss verloren.
 
Deine Kritik ist sehr altmodisch, so und ähnlich wurde auch in den 60er und 70er Jahren schon Kritik an der verschwenderischen Konsumgesellschaft geübt. ("Haben oder Sein?")

Sie ist nach wie vor richtig, aber leider nicht mehr aktuell.
Mir gefällt, was er geschrieben hat. Denn mir geht es recht ähnlich.
Mich interessieren keine Modetrends, keine aktuelle Musik, eher selten die Neuerungen bei Autos, bei Macs hat das Interesse auch nachgelassen, die Werbung interessiert mich nicht die Bohne usw... Den äußeren Einflüssen aus "Super-Spar-" und "Kauf-das-neueste-und-tollste"-Angeboten widerstehe ich ohne viele Probleme (fast immer).
Das mag damit zusammenhängen, dass ich die 30 erreicht habe und gelassener auf Pling-Pling-Bunti-Aktionen reagiere...

Eben, biblioreader, Komsum ist im Grunde nicht wichtig, denn er befriedigt nur scheinbar und zudem kurzfristig von der Industrie/ Werbung suggerierte Unzulänglichkeiten und 'Mängel'. Und deshalb ist das eigentlich... unwichtig! :)


@ricky2001: den Anschluss an was verloren? Definiere WAS?
 
umgebe dich nur mit dingen, die du innerhalb von 30 sekunden aufgeben kannst...

so halte ich das...
 
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