Digitalisierung / Industrie 4.0

Wie auch immer, der Kapitalismus ist nicht per se "fortschrittsfeindlich" (im Sinne von "hemmt die Weiter-/Entwicklung von Technik"). Unglaublich viel Technik wäre ohne den Kapitalismus nie entwickelt worden, nicht einmal die Eisenbahn. Auf der anderen Seite gilt knallhart: Im Kapitalismus wird Technik nicht eingesetzt, weil man sie hat, sondern nur, wenn sich das lohnt.

Falsch, mittlerweile sind die Produktionskapazitäten so hoch, dass in vielen Bereichen die Lebensdauer der Produkte künstlich begrenzt werden, damit noch genügend Produkte abgesetzt werden können. Das fing mit dem Glühbirnenkartell und Glühbirnen, die nur lächerliche 1500 Stunden eingeschaltet überstehen, an (obwohl Glühbirnen mit 100000 Stunden und mehr Brenndauer technisch leicht möglich wären), und endet bei Waschmaschinen mit billigen Kunststoffaufhängungen für die Trommel oder elektrischen Zahnbürsten mit Kunststoffzahnrädern, die schlicht nach kurzer Zeit so abgenutzt sind, dass das Gerät zum Totalschaden wird. Alternativ hätte man natürlich auch leicht haltbarere Aufhängungen oder Zahnräder verbauen können, die Produktionskosten hätte das nur minimal beeinflusst, die Lebensdauer wäre dann aber für den Geschmack des Herstellers zu hoch.
Man baut also bewusst technisch minderwertige Produkte, weil man von diesen mehr verkaufen kann und im Kapitalismus nur letzteres zählt.
 
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Wie auch immer, der Kapitalismus ist nicht per se "fortschrittsfeindlich" (im Sinne von "hemmt die Weiter-/Entwicklung von Technik").

Falsch, mittlerweile sind die Produktionskapazitäten so hoch, dass in vielen Bereichen die Lebensdauer der Produkte künstlich begrenzt werden, damit noch genügend Produkte abgesetzt werden können.
Man baut also bewusst technisch minderwertige Produkte, weil man von diesen mehr verkaufen kann und im Kapitalismus nur letzteres zählt.

Auch wenn ich das zu 100% genau so sehe wie Du (an Haskelltier), (auch ich habe den Film über die geplante Obsoleszenz gesehen, ich meine mich zu erinnern, das dort eine Glühbirne gezeigt wurde, die schon weit über 100 Jahre brannte?), ist es trotzdem nicht falsch, zu behaupten das der Kapitalismus nicht per se fortschrittsfeindlich ist. Ich weiss nicht, ob ich das richtig erkläre, aber ich unterscheide da schon, Technik ist für mich erst einmal nur Technik, ein Begriff zunächst nur ein Begriff, weder Gut noch Böse, einfach nur Neutral. Was der Mensch letztendlich daraus macht, ist eine völlig andere Seite der Medaille. Man kann/könnte ja Technik und Entwicklung immer auch zum positiven einsetzen, das wird nur nicht gemacht, für mich aus reiner Profitgier.
 
Auch wenn ich das zu 100% genau so sehe wie Du (an Haskelltier), (auch ich habe den Film über die geplante Obsoleszenz gesehen, ich meine mich zu erinnern, das dort eine Glühbirne gezeigt wurde, die schon weit über 100 Jahre brannte?), ist es trotzdem nicht falsch, zu behaupten das der Kapitalismus nicht per se fortschrittsfeindlich ist.

Technische Fortschritte gibt es nur auf Gebieten, mit denen man unmittelbar den eigenen Gewinn vergrößern kann. Fortschritte für Mensch und Gesellschaft interessieren den Kapitalismus nicht (können aber durchaus als Nebenprodukt abfallen). So bezahlen wir unser bischen Wohlstand aktuell mit einer unglaublichen Rohstoffverschwendung und Schadstofffreisetzung, die den Menschen mittel- und langfristig große Probleme bereiten wird, wenn wir so weiter machen. Ich zumindest würde den Klimawandel, daraus erwachsene weltweite Konflikte um schwindende Resourcen, Millionen bis Milliarden Tote usw. nicht als Fortschritt sehen. Würde man dem Kapitalismus freien Lauf lassen, würden wir allerdings mit Vollgas genau darauf zuhalten.
 
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Würde man dem Kapitalismus freien Lauf lassen, würden wir allerdings mit Vollgas genau darauf zuhalten.

Das ist ja alles richtig, was Du da schreibst, genau meine Meinung! Aber es ist eben nicht der Kapitalismus per se, als Begriff, sondern immer der Mensch der dahinter steht.
Tut mir leid, ich kann es einfach nicht besser erklären, zumindest nicht schriftlich, in einer mündlichen Diskussion hätte ich da weniger Schwierigkeiten.
Ich könnte es versuchen, würde aber ein längerer Beitrag werden ...
 
Das ist ja alles richtig, was Du da schreibst, genau meine Meinung! Aber es ist eben nicht der Kapitalismus per se, als Begriff, sondern immer der Mensch der dahinter steht.

Naja, natürlich steht hinter allem was Menschen irgendwo machen immer Menschen. Hinter dem Nationalsozialismus standen früher beispielsweise Hitler plus Anhang, gegen die ich auf Grund ihrer Aussagen und Taten eine tiefe Verachtung hege. Ändert aber nichts daran, dass der Nationalsozialismus als Ideologie verachtenswert ist. Das gilt beim Kapitalismus ähnlich. Die Menschen, die ihn verinnerlicht haben, mögen gierige Egoisten sein, das ändert aber nichts daran, dass beim Kapitalismus primär der Vorteil des Einzelnen im Blickpunkt steht und nicht das Gemeinschaftswohl. Das muss per se auch nicht schlecht sein, nur kann das ganze auch solche Auswüchse annehmen, bei denen die Vorteile des Einzelnen durch massive Schäden an der Gemeinschaft generiert werden. Und bei mehr als 7 Mrd. Menschen auf der Welt können wir uns das mit unseren technischen Möglichkeiten schlicht nicht mehr leisten.

Von daher bin ich der Meinung, dass der Kapitalismus in seiner jetzigen Form keine Zukunft hat.
 
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Von daher bin ich der Meinung, dass der Kapitalismus in seiner jetzigen Form keine Zukunft hat.

Nein, hat er nicht, aber das war auch nicht mein Thema. Wir reden aneinander vorbei, obwohl wir, zu 100%, einer Meinung sind.
Das liegt allerdings an mir und meinem Unvermögen, mich klar und deutlich (schriftlich!) auszudrücken, also, mach Dir keinen Kopp ...
 
Der Satz war gar nicht auf deine Aussage bezogen. Hätte ich vielleicht deutlicher machen sollen.
 
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Ändert aber nichts daran, dass der Nationalsozialismus als Ideologie verachtenswert ist. Das gilt beim Kapitalismus ähnlich. Die Menschen, die ihn verinnerlicht haben, mögen gierige Egoisten sein, das ändert aber nichts daran, dass beim Kapitalismus primär der Vorteil des Einzelnen im Blickpunkt steht und nicht das Gemeinschaftswohl.

Gab es in der Geschichte jemals eine Gesellschaftsform, in der das Gemeinschaftswohl stärker im Vordergrund stand als im Kapitalismus? Ne, gab es nicht, es gab nur deutlich schlimmere und überwiegend ganz fürchterliche Zeiten.

Der Eigennutz ist eine Konstante; er lässt sich nicht überwinden, weil er in unseren Genen steckt, gerade so wie der Sexualtrieb. Die herausragende Leistung des Kapitalismus liegt nicht darin, dass er Klassenunterschiede beseitigt oder Syndizierungen abgeschafft hätte. Aber er hat den Eigennutz (systembedingt, nicht gewollt, nicht geplant) in eine beeindruckende Anhebung des Lebensstandards verwandelt und somit die wirtschaftliche Grundlage dafür geschaffen, dass liberale, rechtsstaatliche und demokratische Gesellschaftskonzepte, die schon weit vor dem Kapitalismus gedacht wurden, tatsächlich Realität werden konnten. Der Mensch blieb dabei natürlich das, was er vorher auch war, welch Wunder, aber er wird es immer bleiben. Der Beweis dafür, dass eine Gesellschaft von nicht eigennützig denkenden und handelnden Menschen funktionieren kann, wurde jedenfalls bislang noch nicht erbracht; allein schon die Vorstellung ist absurd. Man müsste dann letztendlich die Evolutionstheorie über den Haufen werfen und dazu noch tonnenweise Erkenntnisse aus der Soziologie. Es wäre eine Art Parallel-Universum, unrealistischer noch als der Warp-Antrieb und das Beamen.

Vor diesem Hintergrund muss man die Sache sehen: Besser geht's nicht. Natürlich wird der Kapitalismus sein Ende finden, weil er ohne Ressourcen- und Umweltverbrauch nicht fortbestehen kann. Was aber danach kommt, leider wohl unvermeidlich, wird der pure Horror sein. Möglicherweise müssen wir eine zeitlang in einer hochtechnisierten, restriktiv-ökologischen Totalüberwachungsgesellschaft zurechtkommen, die von feudalen Strukturen geprägt ist, hervorgegangen aus der geballten kapitalistischen Konzernmacht. Um schließlich doch auf ein Niveau abzustürzen, das das unserer Vorfahren vor 300 - x Jahren noch unterbietet. Vielleicht kracht auch gleich alles komplett zusammen, und wir leben wie die Tiere, die wir ja eigentlich auch sind. Dass sich die Menschheit "berappelt" und zu einer - theoretisch möglichen - ökologischen Kreislaufwirtschaft findet, kann ich mir von Tag zu Tag immer weniger vorstellen. Dafür wäre ein anderer Mensch erforderlich.
 
Was aber danach kommt, leider wohl unvermeidlich, wird der pure Horror sein.

Nein, da hast Du wohl zu viele dystopische Horrorromane gelesen.
btw. Ich finde, Du hast eine merkwürdige Vorstellung vom Kapitalismus.
Der Kapitalismus ist doch nur eine Wirtschafts- und Gesellschaftsform, davon hängt nicht das Überleben der Menschheit ab.
 
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Gab es in der Geschichte jemals eine Gesellschaftsform, in der das Gemeinschaftswohl stärker im Vordergrund stand als im Kapitalismus? Ne, gab es nicht, es gab nur deutlich schlimmere und überwiegend ganz fürchterliche Zeiten.

Die in Sippen lebenden Steinzeitmenschen haben erkannt, dass sie nur im Verbund erfolgreich sind und jedes Mitglied wichtige Fähigkeiten hat und/oder Arbeitskraft bietet, die zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der Sippe nötig sind. Da hat jeder (so lange er für die Sippe wichtig war) zumindest so viel erhalten, dass er der Sippe auch helfen konnte. Und die Unterschiede zwischen stärkstem und schwächstem Glied waren auch viel geringer (es wäre halt sehr unsinnig, wenn der eine 10 Sätze Pelzkleidung hat, die er gar nicht alle brauch, während der andere keine hat und in einer kalten Nacht erfriert).

Der Eigennutz ist eine Konstante; er lässt sich nicht überwinden, weil er in unseren Genen steckt, gerade so wie der Sexualtrieb.

Und dennoch laufen die Menschen hier in Deutschland nicht alle mordend (Mord ist per definitionem immer eigennützig, da ein niederer Beweggrund befriedigt wird) und vergewaltigend durch die Gegend. Wäre auch fatal, denn ansonsten würde die Gesellschaft in kürzester Zeit zusammenbrechen. Wie hat sie das erreicht? Indem sie sich selbst Regeln und Gesetze auferlegt hat, die die Freiheit jedes Individuums so weit beschneidet, dass ein fruchtbares Zusammenleben möglich ist. Natürlich verschwindet dadurch nicht die Gier oder der Sexualtrieb, die meisten Leute sind aber dazu in der Lage diesen Trieben nicht bei jeder Gelegenheit nachzugehen und sich so gesetzeskonform zu verhalten.
Dasselbe muss auch bei der Wirtschaft bzw. mit dem Kapitalismus geschehen. Ungebremster, unregulierter Kapitalismus führt (insbesondere bei der aktuellen Bevölkerungszahl und dem aktuellen Technologieniveau auf diesem Planet) recht schnell in die Katastrophe.
Ich sage auch nicht, dass das leicht wird, es muss aber geschehen oder die Folgen wären fatal.
 
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Die in Sippen lebenden Steinzeitmenschen haben erkannt, dass sie nur im Verbund erfolgreich sind und jedes Mitglied wichtige Fähigkeiten hat und/oder Arbeitskraft bietet, die zur Befriedigung der Grundbedürfnisse der Sippe nötig sind.

Das haben so ziemlich alle sozial lebenden Tiere "erkannt". Zentral ist dabei der Begriff "Sippe". Je höher der Verwandtschaftsgrad, desto altruistischer das Verhalten eines anderen Individuums ihm gegenüber. Eigennutz zielt nicht darauf ab, hier und jetzt ein schöneres Leben zu haben, sondern darauf, den eigenen Genen langfristig das Überleben zu sichern.
 
Das haben so ziemlich alle sozial lebenden Tiere "erkannt". Zentral ist dabei der Begriff "Sippe".
Zivilisation bedeutet die Erweiterung des Sippenbegriffes auf den ganzen Staat und noch weiter (EU!) bis hin zu ganzen Menschheit.

Ich habe jedenfalls selber sehr gut in Erinnerung, dass die gesellschaftlichen Prioritäten in den 1960er und 1970er Jahren ganz anders lagen als jetzt. Gegen Ende der 1970er Jahre war es für mich als Student kein Problem, einen gut bezahlten Ferienjob (8,- bis 10,- DM/h) zu bekommen, eine halbe Stunde telefonieren reichte meistens. Ein Werksleiter hat damals ganz offen gesagt, dass er Studenten als Hilfkräfte nicht unbedingt braucht, ihnen aber gerne einen Job gibt, weil er selber als Student dazu verdienen musste. Das kann sich heute kein Betriebsleiter mehr erlauben. Der Wind drehte sich recht heftig so etwa 1983/84.
 
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Aber das Thema Sippe vs. Bevölkerung ist da schon angebracht meiner Meinung nach. Je fremder einem die Menschen um einen herum sind, desto weniger interessiert man sich naturgemäß für ihre Interessen und Belange. Das ist einer hochindividualisierten Welt wie heute im Westen üblich, sehr deutlich zu sehen. Das Problem wird auch um so schlimmer, je mehr Menschen sich auf engem Raum drängen, sprich in den urbanen Zonen ist das deutlich stärker vertreten als ausserhalb. Interessanterweise scheint das eine Gemeinsamkeit aller westlichen Gesellschaften zu sein, die auch schon am längsten in einer kapitalistisch basierten Ökonomie leben und sich den Weg zu den liberalen Demokratien erarbeitet haben. Da bin ich voll und ganz bei Prinz Herbert: Kapitalismus und die daraus erwachsenden individuellen Möglichkeiten, zu Wohlstand zu kommen, sind einer DER Grundpfeiler eines gesellschaftlichen Konsensus namens Demokratie. Dass man das aber auch überziehen kann, wird jetzt langsam deutlich. Schaut man in andere Regionen der Welt, sieht man, dass dort oftmals noch stärker ein "Sippendenken" vorhanden ist, siehe z.B. auch die arabischen Clans. Das kommt nicht aus bösem Willen heraus, sondern ist eine Ausprägung einer gesellschaftlichen Lebensform, in der man zuerst immer der eigenen Familie und Anhang hilft. Schaut man z.B. nach China, wo man zwar auf der einen Seite das Kollektiv gepriesen hat, aber damit letztlich alle Menschen ihrem Zusammenhalt entrissen hat, da nun ja jeder gleich ist, entwickelt sich dort gerade die aggressivste und rücksichtsloseste Form der kapitalistischen Ökonomie weil jeder seines eigenen Glückes Schmied geworden ist. Dort gilt NUR Profit und das wiederum eint Seilschaften.
Insofern halte ich Deinen @WollMac Anspruch, das Prinzip der Sippe auf die Menschheit auszudehnen zwar für ein hehres Ziel, aber selbst wenn ich es selbst nicht in Worte fassen kann, schreit hier auf Basis der Wohlstandsgenerierung für die Massen und einer daraus resultierenden Individualisierung ein krachender Widerspruch dazu. Und der globale Ansatz wird genau erst Recht an diesem Punkt scheitern. Da mache ich mir zumindest keinerlei Hoffnungen, wenn ich sehe, dass in China die Leute noch ihre Oma für den letzten Groschen Extraprofit verhökern würden. Aus dem Land erwächst gerade eine neue Form des Kapitalismus, die keinerlei Skrupel hat, am Ende alle in den Abgrund zu reissen, solange die Profiteure sich aus dem System "herauskaufen" können. Sollte es einmal eine Dystopie a la Refugien mit guter Lebensqualität für Reiche geben und der Rest der Welt siecht im Dreck dahin, dann würden auf diesen Inseln zu 85% Chinesen leben!
 
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Schaut man in andere Regionen der Welt, sieht man, dass dort oftmals noch stärker ein "Sippendenken" vorhanden ist, siehe z.B. auch die arabischen Clans. Das kommt nicht aus bösem Willen heraus, sondern ist eine Ausprägung einer gesellschaftlichen Lebensform, in der man zuerst immer der eigenen Familie und Anhang hilft.

Hier sind wir wieder beim Henne-Ei-Problem: dort ist man auf die Sippe angewiesen, weil es keine verlässlichen staatlichen Strukturen gibt.

Schaut man z.B. nach China, wo man zwar auf der einen Seite das Kollektiv gepriesen hat,
China und Japan haben da einen krassen kulturellen Unterschied zu Europa: dort gilt traditionell das Individuum nichts und die Gruppe alles. Das ist schon seit Jahrhunderten so und auch der Grund, warum in Japan während des Edo-Bakufu das Christentum so radikal bekämpft wurde: für Christen ist jeder Individuum, jede Seele wichtig.
 
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Hier sind wir wieder beim Henne-Ei-Problem: dort ist man auf die Sippe angewiesen, weil es keine verlässlichen staatlichen Strukturen gibt.


China und Japan haben da einen krassen kulturellen Unterschied zu Europa: dort gilt traditionell das Individuum nichts und die Gruppe alles. Das ist schon seit Jahrhunderten so und auch der Grund, warum in Japan während des Edo-Bakufu das Christentum so radikal bekämpft wurde: für Christen ist jeder Individuum, jede Seele wichtig.

Naja, Japan ist mittlerweile das Land, das den Prototyp einer kapitalistischen Demokratie im Endstadium darstellt. Individualisiert bis zur Unkenntnis der Einzelpersonen, bis zur Auflösung der Gruppenzugehörigkeit. Vereinsamung ist dort ein riesen Problem, die Menschen sind massiv auf dem Rückzug, wenn es um soziale Interaktion geht. Man flüchtet großflächig mehr und mehr in digitale Welten, man hat alles und braucht niemanden mehr und in der Folge sind alle nur noch orientierungslos und ziellos wenn es um das geht, was bei uns als "Sippe" so gemeinhin gilt.
Und in China hat Deng mit der Politik der Öffnung genau das erzielt: Plötzlich musste jeder für sich kämpfen, um seinen Schnitt zu machen. Hier hat man keine Zeit gehabt, sich an diese individuelle Freiheit zu gewöhnen, es gibt dort keinen klassischen Wertekanon wie unseren, der noch auf der christlichen Lehre basiert. Das ist in China nicht vorhanden, hier wird das System maximal ausgenutzt, zum eigenen, individuellen Vorteil.
 
Kapitalismus und die daraus erwachsenden individuellen Möglichkeiten, zu Wohlstand zu kommen, sind einer DER Grundpfeiler eines gesellschaftlichen Konsensus namens Demokratie.

Ja, das denke ich auch. Für mich kommt keine andere Gesellschafts- oder Wirtschaftsform auch nur annähernd an diese heran. Leider ist auch der Kapitalismus sowie die Demokratie nicht perfekt. Dahinter stehen immer Menschen, die diese Systeme missbrauchen, für ihren Egoismus ausnutzen, allerdings auch Menschen, die das mit sich machen lassen.
Man weiss, wie man es verbessern könnte, es passiert nur nicht. Manchmal frage ich mich wirklich, ob es den Menschen in den westlichen Ländern/Demokratien wirklich bewusst ist, welches Glück sie haben, hier geboren zu sein.
Ein Beispiel: während meiner (Arbeit) Zeit im Persischen Golf, habe ich zu 95% mit Menschen aus den ärmsten Ländern der Welt zusammengearbeitet. Was war da für ein Lachen und Spass vorhanden, einfach unglaublich. Eine “Lebenslust“ sondergleichen, welche ich in Europa, schon in den 1980er Jahren, nicht mehr erlebt habe. Im Gegenteil, in Europa, speziell in D, nur “griesgrämige“ Gesichter. Unterhaltungen begannen meistens mit den Worten: Wat´n Schiet ... und dann ging es erst richtig los. Schon damals habe ich mich gefragt, wie kann das sein, woran liegt das. Eine Antwort habe ich bis heute nicht gefunden, mir ist nur klar, je besser es den Meisten geht, desto mehr wird gemeckert und lamentiert.

Dass man das aber auch überziehen kann, wird jetzt langsam deutlich.

Ja leider. Das sieht man überall und ich halte das wirklich für bedrohlich, ja sogar für beängstigend. Trotzdem denke und glaube ich daran, das letztendlich ein Wandel einsetzen wird (das “Muss“ muss ich wohl nicht mehr erwähnen).
Aber ich war schon immer ein positiv denkender Mensch, Negativität mag ich nicht, ist mir auch nicht geheuer ...
 
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Ich finde Deinen Post sehr gut, weil er zeigt mir die Hoffnung, die Du da trägst, auch aus Deiner Erfahrung mit den Menschen aus einer kulturell ganz anders geprägten Welt. Ich habe heute täglich mit Menschen aus Nord-/Südamerika aber auch Japan und China als auch Indien zu tun. Das was Du beschreibst, sehe ich bei dem Aspekt "Lebensfreude" auch in Indien und China. Allerdings ganz anders konnotiert. Hier sind die Leute einfach regelrecht "geil" auf mehr Wohlstand und Konsum. Weil das ist alles, was sie von "unserer" westlichen Welt kennen, vielleicht auch weil es zu extrem amerikanisch geprägt ist und die europäische Version einer - zumindest in der Geschichte nach 1945 - stark auf soziale Marktwirtschaft ausgerichtete Gesellschaft da nicht wirklich auf dem Schirm als leuchtendes Beispiel auftaucht. Jedenfalls, Bescheidenheit ist in den Ländern ganz sicher KEIN Thema. Im Gegenteil, das gilt als ökonomische und damit gesellschaftliche Schwäche einer Person. Genau das macht mir auch Angst, weil ich da eine Weltregion sehe, wenn man Indien plus die Zeitzonen von China +/-1h mal nimmt, die da kulturell ganz genauso tickt und diese Länder sind gerade alle an der Schwelle zu massivem Konsumanstieg, weil sie wirtschaftlichen Wohlstand erreicht haben, der ihnen das ermöglicht. In diesen Ländern zählt der individuelle Vorteil mehr denn je auf der Welt, über Demokratie und soziale Marktwirtschaft in unserem Sinne denkt da niemand nach. Und wenn die dort bald an die 40% der Weltbevölkerung sich dann mal auf den Weg gemacht hat und der globalisierten Konsumwirtschaft ihren Stempel kultureller Prägung aufgedrückt hat (und das ist schon in vollem Gange --> neue Produkte werden schon vor allem für diese Märkte entwickelt!), dann wird sich das alles seinen Weg suchen und zwar komplett ohne uns hier.
 
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