Ich bin jetzt seit zehn Jahren in einem Großkonzern der produzierenden Industrie, zum Glück nicht aktienbasiert sondern als Stiftungsunternehmen. Ich habe mich dort nach meiner Promotion als Ingenieur hochgearbeitet und seit ca. 3,5 Jahren die Produktentwicklungsleitung inne. Finanziell hat sich das auf jeden Fall gelohnt, konnte ich mein Bruttoeinkommen ca. um Faktor 2,5 steigern. Erst dadurch war ich auch in der Lage, ein Haus in sehr guter Lage zu erwerben, das jetzt mir und meiner Familie ein Heim bietet.
Seit Corona und der daraus resultierenden Home Office Periode hat aber ein Bruch stattgefunden, der nicht nur in meinem Bereich sondern der ganzen Industriebranche zu spüren ist. Vorher war das wie ein System auf Drogen, hochproduktiv, effizient, dynamisch. Das hat auch sehr viel Spaß gemacht, auch wenn es anstrengend war. Aber man wusste, dass das was man da macht auch zu einem Ergebnis führt, das sichtbar und einfach erfüllend ist.
Corona hat das geändert, Home Office sogar ganz extrem weil jetzt viel der Dynamik verloren gegangen ist. Alles ist zäh und langsam, jeder beklagt sich über den Arbeitsstress und trotzdem habe ich das Gefühl und sehe es auch an den Indikatoren, dass bei weitem nicht mehr die Effektivität da ist, wie unter Vollpräsenz.
Auch ich empfinde das Arbeiten unter diesen Bedingungen unglaublich belastend. Mir hat jeder Job in dieser Laufbahn bisher Spass gemacht und dazu gehörte unter anderem Reisen zu Kunden, weltweit. Das war immer eine willkommene Bereicherung des Alltags. Jetzt wird selbst eine kleine Übernachtung in D sofort hinterfragt und auch wenn ich Mitarbeiter von mir, die an anderen Standorten sitzen, zB in Frankreich oder Portugal, für das Jahresgespräch gerne vor Ort hätte oder zu ihnen gehen wollen würde, schlicht einkassiert.
Zum Glück hat sich in den letzten 1,5 Jahren noch ein weiteres großes Themenfeld aufgetan, in dem ich wieder diesen Spirit fühle und mich auch entfalten kann. Es ist „energizing“ wie man im Englischen sagen würde. Aber demgegenüber steht mittlerweile ein großer grauer Klotz „Alltagsgeschäft“.
Mir ist aufgefallen, dass es wie gesagt durch Corona und Home Office zu einer massiven Entfremdung der Leute mit ihrem Job gekommen ist und die soziale Komponente völlig unterschätzt wurde. Jedenfalls kann ich den Hype darum nicht nachvollziehen, zersetzt es doch ganz massiv die Arbeitsmoral der Leute hier und führt zu innerer Kündigung. Der soziale Kitt durch die Anwesenheit und das damit verbundene Teamgefühl ist total verloren gegangen, da helfen auch keine fancy Videomeetings. Ich vermisse in dem Kontext auch die direkte Kommunikation, physisch oder eben auch telefonisch, alles läuft heute nur noch per Teams. Ich halte das für eine schlimme Degeneration der Arbeitswelt.