netter ipod artikel in faz

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rotkohlmofa

hallo habe gerade diesen artikel gefunden und will ihn euch nicht
vorenthalten (war hoffentlich nicht schon): faz über den ipod.:

12.*September*2004*
Die Skepsis war groß, als es auf den Markt kam, dieses Gerät, das sich so schnell zum Klassiker entwickeln sollte. Es sei zu teuer und nicht ausgereift, sagten die, die sich mit Technik auskannten. Es zerstöre die zwischenmenschliche Kommunikation, sagten die Kulturkritiker. Es mache Musik zum reinen Gebrauchsgegenstand, meinten die Nostalgiker, die sich an den ästhetischen Mehrwert des Plattencovers gewöhnt hatten und an den, wie sie sagten, "magischen Moment", wenn die Nadel auf dem schwarzen Vinyl aufsetzte.


Aber all diese Einwände waren nur der Beweis, daß die kleine mobile Musikbox die Praxis des Musikhörens grundlegend verändern würde. Die rasant wachsende Masse der Käufer jedenfalls schwärmte bald von dem neuartigen Musikerlebnis, das die Welt zum Film machte, dessen Soundtrack sie selbst bestimmen konnten. Wer Musik liebt, liebte ihn: den Walkman.**

Massentaugliches Statussymbol


Schön flach


Wie sich die Zeichen ähneln: fünfundzwanzig Jahre nach der Einführung von Sonys portablem Kassettengerät macht sich der iPod auf, den Siegeszug seines Vorgängers zu wiederholen. Nach etwas mehr als zwei Jahren in den Läden hat es Apples digitaler Musik-Player zu einem Marktanteil von über dreißig Prozent gebracht; vor allem aber ist ihm das Kunststück des Walkmans gelungen, seinen Produktnamen zum Inbegriff einer ganzen Gerätegattung zu machen: Wer MP3-Player meint, sagt mittlerweile iPod, obwohl MP3 nicht einmal das Lieblingsformat des Apparates ist.

Fünf Millionen Menschen werden am Ende dieses Jahres um die 400 Euro gezahlt haben für eine Festplatte mit Kopfhöreranschluß. Ein paar von ihnen werden noch ein bißchen drauflegen für eines der vielen erhältlichen Accessoires, einen Anschluß fürs Auto oder ein maßgeschneidertes Täschchen von Gucci. Der iPod ist das erste massentaugliche Statussymbol des 21. Jahrhunderts. Wie konnte das passieren? Wieso wird wieder allerorten über eine Kulturtechnik diskutiert, die spätestens seit Mitte der achtziger Jahre nichts Spektakuläres mehr an sich hat?

Maske eines Walkmans


Und so schön bunt


Der Hype um den iPod ist tatsächlich schwer nachvollziehbar, wenn man ihn lediglich als Nachfolger des Walkmans begreift - nicht etwa, weil Sony selbst zum offiziellen Jubiläum im Herbst den legitimen Erben präsentieren will. Daß sich die Gesten der Benutzer gleichen, täuscht darüber hinweg, daß es sich beim iPod um ein völlig anderes Gerät handelt. Apples clevere Designer mögen ihm die Maske eines Walkmans gegeben und ihn damit, der traditionellen Philosophie des Hauses entsprechend, der meisten Funktionen beraubt haben. Im Herzen aber ist der iPod ein Computer.**

Wer deshalb versucht, die Popularität des iPods mit den gleichen Thesen zu erklären, die einst die Vorzüge des Walkmans begreiflich machen sollten, erfaßt sein Wesen nicht. Zum notwendigen Equipment für den modernen Nomaden wurde schon der Vorgänger erklärt - und ob man die Abgrenzung zur Umgebung nun als Kontrollgewinn interpretieren wollte oder als soziale Kälte: auch darüber wurde schon ausreichend gestritten. Am wichtigsten Accessoire zur Erschaffung dieser "augmented reality", wie man das heute wohl nennen würde, am Kopfhörer nämlich, hat sich dabei technisch kaum etwas geändert. Die neue Auffälligkeit verstärkt lediglich den Signaleffekt.**

„Thin white line”


Im Musicstore gibt es das Eigentliche - die Musik


Eine feine Linie trennt die Besitzer des iPods von Apple-Dissidenten oder gar völlig abstinenten Zeitgenossen: das weiße Kopfhörerkabel, das längst zum Logo des iPods geworden ist. Es dient nicht nur den Besitzern als Erkennungszeichen, das die Zugehörigkeit zur selben Jüngerschaft demonstriert, es weckt auch kriminelle Begehrlichkeiten. Den Preis, auch aus der falschen Ecke neidische Blicke auf sich zu ziehen, zahlen die iPod-Fans mit Stolz. Und die Marketingstrategen bei Apple wissen sowieso, daß sie alles richtig gemacht haben, seit ihre Plakat-Kampagne, die konsequent auf die Symbolkraft des weißen Kabels setzt, zum Gegenstand böser Persiflagen wurde, die die Opfer von Abu Ghraib im Stile der iPod-Werbung als Schattenriß zeigten und die Leinen und Stromkabel, mit denen man sie quälte, als weißen Strich.**

An diesem dünnen Faden aber hängt die ganze Welt des Pop. Die Ästhetik ist in das Gerät übergegangen, doch etwas ist verlorengegangen auf diesem Weg. Die Hüllen, die Labels, die Formen der Distinktion: Von all den Demarkationslinien des Geschmacks ist nur noch eine übriggeblieben, die "thin white line" des Kopfhörerkabels.**

Trauern um die Artefakte des Warenfetischs


Ein Ausschnitt aus der Werbekampagne


Der iPod ist die Black Box, in der innerhalb weniger Minuten die Essenz jahrelang zusammengetragener Sammlungen verschwindet. Ein Zaubertrick. Es soll tatsächlich Menschen geben, die von diesem magischen Effekt so geblendet sind, daß sie die materiellen Reste, die Vinyl- und Silberscheiben, die Booklets und Hüllen nach erfolgter Transformation behandeln wie das, was sie kühl betrachtet ja auch sind: Verpackungen. Ein Fall für die Mülltonne. Übrig bleibt das Wesentliche, der reine Sound - aber ist er das? Das Wesen der Musik? Daß es kulturindustrielle Brimborien wie Image und Information waren, um die alles ging, im Pop, daran hatten sich selbst Kulturkritiker längst gewöhnt. Jetzt trauern sie um die Artefakte des Warenfetischs wie einst ihre Vorgänger um die Reinheit des Werks. Es ist kein Zufall, daß sich heute Kunsthistoriker mit der Kunst des Plattencovers beschäftigen: Es ist dabei, zum Teil ihres Terrains zu werden, dem Museum.**

So essentiell daher das Design des iPods ist: Vielleicht ist auch dieses vor allem die Ankündigung seines totalen Verschwindens. Musik gerät aus der Form in ihrer immateriellen Daseinsweise, ist nur noch Anzeige, Information, Interface - immerhin noch das. Irgendwann werden Funksignale das Kabel ersetzen und Implantate die Festplatte und die Hirnströme sich ohne Hilfe der Finger die Musik aussuchen. Musik ist Teil meines Lebens: I, pod.**

Schrankkoffer für den Plattenschrank


Und noch einer: weiße Linie als Markenzeichen


Wie auch immer die Formen des Musikkonsums einmal aussehen werden, der iPod hat den Sound schon einmal sehr nahe dorthin gebracht, wo er hingehört: an den Körper. Die eigene Plattensammlung wird zur tragbaren Jukebox, zu einer Identifikationsmaschine, die das ästhetische Profil ihres Trägers speichert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der iPod auf dieser Basis mit kommunikativen Funktionen ausgestattet wird, die die Klagen über den Autismus seiner Benutzer schnell ausräumen dürften: Mit Funktechnologie oder Netzkabeln könnte er zur mobilen Tauschbörse werden. An Orten hoher iPod-Dichte lassen sich schon jetzt Rituale beobachten, die das Bedürfnis nach Austausch ausdrücken. Von amerikanischen Universitäten wird berichtet, daß sich die Studenten gegenseitig ihre Geräte leihen, um die Festplatte des anderen querzuhören. "Eine Art Kiffer-Ethik", meint der amerikanische Autor Douglas Rushkoff, "wie das Herumreichen eines Joints auf einem Grateful-Dead-Konzert."**

Der iPod ist ein Ausweis. Daß sich durch sein enormes Speichervolumen von 10000 Songs auch die Dauer des maximalen Hörgenusses erhöht, ist nur ein netter Nebeneffekt - die Möglichkeit der Auswahl ist das entscheidende Novum. Im Grunde ist der iPod ein Koffer, ein Schrankkoffer für den Plattenschrank, der die Grenze zwischen Mobilität und sogenanntem Mobiliar auflöst. Aber wer mit schwerem Gepäck reist, will nicht unbedingt länger verreisen - er will nur nicht wirklich weg von all den Dingen, die sein Leben bessermachen. Es geht daher nicht darum, daß der Musikvorrat für vier Wochen reicht; es geht um den Zugang zu den richtigen drei Minuten - jederzeit, überall.**

iTunes als Futter für den iPod

Erst der iPod löst das Versprechen ein, das das Musikformat MP3 formulierte: die Größe der Daten auf das Notwendigste zu reduzieren. Puristen bemängeln den Qualitätsverlust, den die Komprimierung mit sich bringt. Die Kritik ist berechtigt, aber sie trifft den iPod nicht. Denn zum einen schlägt dieser den Walkman allemal; zum anderen ist ja der als steril verschrieene MP3-Klang keine Erfindung von Apple. Der iPod ist mediengeschichtlich ein sehr untypischer Fall: Das Medium war lange vor der Maschine da. Sie mußten lange warten, all die heruntergeladenen Musikdateien, um eine adäquate Heimat zu finden.

Der Start von Apples ebenso erfolgreicher Musikplattform iTunes ist daher nicht mehr als eine riesige Werbekampagne: iTunes sorgt für das Futter für den iPod. Es ist ein offenes Geheimnis, daß iTunes die Verkäufe des iPods antreiben soll, nicht umgekehrt. Damit wird die klassische kommerzielle Hierarchie von Hard- und Software auf den Kopf gestellt: Nicht mehr die Drucker verkaufen die Patronen, die Brenner die CDs. Wer Musik liebt, will sie besitzen. Die einen als Schrein, die anderen als ständigen Begleiter. You never walk alone.

Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.09.2004, Nr. 37 / Seite 24


grüsse

rotkohl
 
danke schnaggels, hab' ich auch sofort dran gedacht :D

...der Bericht ist aber echt klasse.
 
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