Mehr Demokratie - Gegen Wahlen

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Illmind

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Hallo Forum,


hier wird in einigen Threads ja auch Kritik an unserer jetziger Demokratie geübt. Die Kritik kommt aus allen Richtungen und setzt an den verschiedensten Punkten an, ohne das wirklich ein Ergebnis rauskommt wie diese Entwicklung gestoppt bzw. verhindert werden könnte.


Hier in Deutschland richtet sich die Kritik oft an die Parteien selbst. Parteien sind von Parteispenden abhängig, worunter ihre Unabhängigkeit leidet. Weiter gibt es den Fraktionszwang, was den ersten Punkt nicht unbedingt entkräftet. „Kannst wählen was du willst, machen eh alle das selbe“ ist ein oft gehörter Kommentar.


In Italien gibt es zum Beispiel die 5 Sterne Bewegung, welche einige interessante Ansätze hat die auch in Deutschland viel Gehör finden wie die Amtszeit von Politiker auf 2 Wahlperioden zu begrenzen oder ihnen Nebentätigkeiten in Aufsichtsräten großer Konzerne zu verbieten um Interessenkonflikte oder gar Lobbyismus zu verhindern.


Das sind alles gute Ansätze, aber mehr Demokratie bedeuten diese alle letzten Endes auch nicht. Hier werden immer Volksabstimmungen eingebracht, die aber in dem Umfang die Politik eines ganzen Landes mitzubestimmen kaum umsetzbar sind.


Jetzt wurde letzten Montag in der Sendung Andruck im Deutschland Funk das Buch „Gegen Wahlen“ von dem belgischen Historiker David Van Reybrouck vorgestellt. Er plädiert für ein Parlament, welches sich aus einem durch Losverfahren ausgewählte Bürger zusammensetzt wie es in der Rechtssprechung heute schon teilweise der Fall ist.


Hier mal der Link zum DLF Podcast, der das Buch und die Idee in Kürze gut zusammenfasst


http://www.deutschlandfunk.de/demok...t-waehlen.1310.de.html?dram:article_id=362458


Mich begeistert die Idee, weil die Menschen keine Ohnmacht mehr empfinden würden. In einem 2 Kammer System könnte die Stimme des durchschnittlichen Bürgers wirklich Gehör finden ohne dass es zu einer Diktatur der Mehrheit kommt und das Interesse, das Verständnis für die Komplexität der Sachverhalte würde zunehmen.


Was haltet ihr von dieser Idee?
 
Reybroock plädiert nicht "gegen Wahlen", sondern für ein "birepräsentatives Modell" aus zwei Kammern. Eine kommt durch Wahlen zustande, die andere setzt sich aus per Los bestimmten BürgerInnen zusammen. Er will beides miteinander kombinieren: Die Sachkompetenz von gewählten Berufspolitikern mit der Freiheit von ausgelosten BürgerInnen, die nicht wiedergewählt zu werden brauchen.

Ich finde, das ist eine sehr gute Idee – aber sehr schwierig zu realisieren. Dafür gibt es mehrere Gründe, einer ist der enorme Zeitaufwand, den es bedeutet, sich ehrenamtlich in Themen einzuarbeiten. (Und das fordert Rehbock.) Das setzt eine derart hohe Motivation voraus, dass sie nur wenige aufbringen können.

Vor allem im Umweltbereich gibt es auch eine Menge BürgerInnen mit Expertise, die sich einbringen und mit Profis auf Augenhöhe diskutieren können. Aber wenn es um die konkrete politische Arbeit geht, haben viele ihre Grenzen und sind nicht bereit, Politik auch nur eine Zeitlang zu einem Lebensschwerpunkt machen. Das Privatleben wird dadurch doch zu sehr eingeschränkt.

Bestimmte Charaktere allerdings haben diese Bereitschaft, deren Lohn ist Aufmerksamkeit und Anerkennung, die man sich als Mandatsträger und damit wichtige Person erwerben kann. Aber genau diese Persönlichkeiten sammeln sich ja auch zuhauf in der professionellen Politik und werden dort zu einem Teil des Problems.

Ich glaube deshalb nicht, dass Auslosung das geeignete Mittel ist.
 
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Wenn du für einen Zeitraum von 12 - 24 Monaten per Los ausgewählt wirst und in der Zeit auch das entsprechende Salär bekommst wird das auch kein Problem sein wie damals zur Wehrpflichtszeiten vom AG freigestellt zu werden.
 
Praktisch alle wichtigen politischen Entscheidungen finden bei komplexen Themen statt. Sich da einzuarbeiten kostet viel Zeit, ganz zu schweigen von den Erfahrungen, die man erstmal sammeln muss. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand, der per Los bestimmt wird, da so schnell die nötige Kompetenz aneignen kann.

Wir haben grade ein Beispiel, wo ein kleiner Pilotversuch stattfinden soll: Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Atommüll. Die eigentliche Arbeit machen Experten in zwei Behörden, Abgeordnete treffen die Entscheidungen, insofern hat sich grundsätzlich nichts geändert. Aber: Ein "Nationales Begleitgremium" soll die Arbeit der Behörden beobachten, in das ausser 6 von Bundestag und Bundesrat bestimmten Mitgliedern auch zwei Bürger/innen einen Platz bekommen sollen, die von einer Bürgerversammlung bestimmt werden. Einen Sitz soll ein ausgeloster "junger Mensch" einnehmen.

Diese drei BürgervertreterInnen sollen dann "ertüchtigt" werden. Und ich bin mir absolut sicher, dass die gegen die Phalanx der Fachleute, Lobbyisten und Parteipolitiker in den ersten zwei Jahren keine Chance haben, sich zu behaupten. Sie wären denen nur dann gewachsen, wenn sie sich wiederum von kritischen Experten und Organisationen beraten lassen, Gutachten anfordern und Recherchenaufträge vergeben könnten. Aber auch dazu muss man sich in der Materie auskennen.

Wie gesagt: Gute Idee, aber sehr schwer zu realisieren. Ich denke, wirkliche Bürgerbeteiligung muss schrittweise erprobt und ständig weiterentwickelt werden. Und das gegen den Widerstand der Parteien! Der ist nicht zu unterschätzen, die verteidigen ihren Besitzstand mit allen Mitteln.
 
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Vllt führt es dann aber dazu, dass unsere Gesetzgebung wieder vereinfacht wird und eine Steuererklärung nicht nur noch von Fachmännern durchgeführt werden kann, die dafür eine Bibliothek von 10 m Länge mit Gesetzesbüchern benötigen.


Und vllt führt es dann schon im vornhinein, dass eine solche müllproduzierende Industrie wie die Kernkraft erst gar nicht eingeführt wird. Und vllt entscheiden die Bürger, dass die oberirdische Lagerung auf Sicht von Generationen die sicherste sein wird, weil das Zeug in einem alten, nassen Stollen zu verbuddeln bestimmt keine gute Idee ist wenn man es wieder rausholen muss und der Tag wird kommen.


Politikern generell eine größere Kompetenz zuzusprechen ist überheblich. Ihre verfolgten Interessen auszublenden fahrlässig.
 
Praktisch alle wichtigen politischen Entscheidungen finden bei komplexen Themen statt. Sich da einzuarbeiten kostet viel Zeit, ganz zu schweigen von den Erfahrungen, die man erstmal sammeln muss. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand, der per Los bestimmt wird, da so schnell die nötige Kompetenz aneignen kann.

In einem Gespräch mit einem Schweizer, bei dem es um die Einflussnahme von Medien auf die direkte Demokratie ging, sagte mir dieser sinngemäß: "Wenn es die Menschen persönlich betrifft, fangen sie automatisch an, sich zu informieren".

Wie gesagt: Gute Idee, aber sehr schwer zu realisieren. Ich denke, wirkliche Bürgerbeteiligung muss schrittweise erprobt und ständig weiterentwickelt werden. Und das gegen den Widerstand der Parteien! Der ist nicht zu unterschätzen, die verteidigen ihren Besitzstand mit allen Mitteln.

Weiter oben wurde ja schon ein Beispiel genannt, wo sowas funktioniert: Laienrichter (aka "Schöffen") bei Gericht. Da mein Papa dieses Amt mal bekleidet hat, weiß ich, dass dabei den Schöffen durch den Richter erläutert wird, wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen aussehen und diese dann frei entscheiden können (und das auch machen). Dass es etliche Berufspolitiker gibt, die von diesem Szenario Albträume bekommen, kann ich mir allerdings auch vorstellen.
 
Vllt führt es dann aber dazu, dass unsere Gesetzgebung wieder vereinfacht wird und eine Steuererklärung nicht nur noch von Fachmännern durchgeführt werden kann, die dafür eine Bibliothek von 10 m Länge mit Gesetzesbüchern benötigen.
Das wäre schön, ich befürchte aber das Gegenteil, wenn zufällig ausgewählte Menschen solche Entscheidungen treffen sollen. da fehlt einfach die Fachkompetenz, die Stellungnahmen und Vorschläge der Verwaltung auch nur ansatzweise zu prüfen und zu korrigieren.
Kommunalpolitiker sind, vor allem in den großen Parteien, die mehr Sitze zu verteilen haben als sie engagierte Mitglieder haben, dafür nach meinen eigenen Erfahrungen sehr anfällig. Sie wollen zwar bürgernah sein, vertrauen dann aber allzu oft auf Vorgaben der Verwaltung. Müssen mangels Kompetenz darauf vertrauen, denn in weiten Politikbereichen sind wir ja rechtlich eingeschränkt in den Entscheidungen. In vielen anderen Fragen sind technische oder wissenschaftliche Kenntnisse notwendig.
Wir leben halt nicht mehr im alten Griechenland.
Das Steuerkomplexitätsproblem hat nichts sicher nichts damit zu tun, daß gewählte Berufs-Politiker darüber entscheiden. Das machen sie nämlich auch in anderen Ländern, und die haben weit einfachere Steuergesetze. Das hängt sicher viel mehr mit der deutschen Bürokratie zusammen und dem Wunsch nach Gründlichkeit und Gerechtigkeit, wobei aber alle Lobbygruppen berücksichtigt werden sollen, und sich niemand traut, mal einen glatten Schnitt zu machen.

Den Ansatz, die Amtszeiten zu begrenzen, dass hatten die Grünen in den Achtzigern auf die Fahnen geschrieben, nannte sich Rotation, und sie sind schnell wieder davon abgekommen. Das funktioniert nur, wenn es so gehandhabt würde, wie sie es damals wollten, daß die Ausscheidenden dann den Neuen mit Rat und Tat zur Seite stünden, das klappt aber irgendwie auch nicht.

Was wir meiner Meinung nach bräuchten, wären mehr plebiszitäre Elemente, die Schweiz zeigt ja, daß das geht. Mir ist aber klar, daß das eine lange Eingewöhnungszeit braucht, bis die Abstimmenden sich darüber im Klaren sind, daß sie sich verdammt noch mal vorher kundig machen müssen und ernsthaft abstimmen. Nicht wie die Briten beim Brexit.

Außerdem sollten wir diesen Pipifax mit der Erststimme abschaffen, das produziert nur Probleme mit den Überhang- und Ausgleichsmandaten, und dafür das gezielte Auswählen von Bewerbern auf den Listen erlauben, also das Primat der Parteien über die Reihenfolge auf der Liste zu brechen. Bayern praktiziert das seit langem bei den Kommunalwahlen.

Eine zweite, auf dem Los aufgebaute Kammer wäret mal ein interessantes Experiment - allerdings neigen Mehrkammersysteme halt immer zu einer gewissen Unflexibilität, können sich gegenseitig ausbremsen.

Als jahrelang tags gelangweilter, abends gestresster Wahlhelfer plädiere ich außerdem dafür, die Wahllokale abzuschaffen und alles auf Briefwahl umzustellen, aber das ist ein ganz anderes Thema :)
 
Weiter oben wurde ja schon ein Beispiel genannt, wo sowas funktioniert: Laienrichter (aka "Schöffen") bei Gericht. Da mein Papa dieses Amt mal bekleidet hat, weiß ich, dass dabei den Schöffen durch den Richter erläutert wird, wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen aussehen und diese dann frei entscheiden können (und das auch machen).
Genau da sehe ich das Problem: der Laie ist, selbst wenn interessiert und vorgebildet, dabei völlig von der Interpretation des Richters abhängig. Und Richter sind halt auch Individuen, ganz abgesehen von gewissen Differenzen bei Rechtsauffassungen und Strafmaßzuweisungen zwischen den Bundesländern. Viele informieren sicher objektiv, manche sind aber von sich so überzeugt, daß sie nichts neben ihrer Auffassung gelten lassen (wobei das manchmal durchaus vernünftig sein kann).
Ich weiß nicht ob es Statistiken gibt, wie oft Schöffen gegen den Profi entscheiden, aber ich bin ziemlich sicher, daß das eher selten ist, was grundsätzliche Fragen angeht (ich meine jetzt nicht, ob dann 11 Monate oder 12 Monate Haft vergeben werden). Da müsste man natürlich auch noch berücksichtigen, wieviele der Contra-Richter gefällten Urteile der Berufung standgehalten haben. Wo dann keine Schöffen mehr beteiligt sind.
 
Dankeschön... dann werde ich noch gewählt, und "muss" ins Parlament, nein danke!! So wie mir würde es ganz vielen gehen, also müsste man doch irgendwie eine Auswahl treffen im Sinn von "habe Interesse" oder "nein danke", einfach nicht, damit dann 200 geloste Parlamentarier in Berlin herumhängen und das Leben geniessen... und dann irgendetwas abstimmen, wenn überhaupt. Und sollte diese Vorauswahl kommen, so wären die Parteien und Interessenvertreter sofort zur Stelle, um möglichst viele "habe Interesse" aus ihren Sympathisanten zu rekrutieren.
 
Ich finde, das ist eine sehr gute Idee – aber sehr schwierig zu realisieren. Dafür gibt es mehrere Gründe, einer ist der enorme Zeitaufwand, den es bedeutet, sich ehrenamtlich in Themen einzuarbeiten.
und
Dankeschön... dann werde ich noch gewählt, und "muss" ins Parlament, nein danke!!
Schöffen können im Bedarfsfalle ebenfalls verpflichtet werden (auch wenn Freiwillige in der Sache wohl engagierter sein dürften). Die Verpflichteten müssen sich dann nolens-volens ebenfalls in die Materie einarbeiten.

Daher dürfte dieser Aspekt nicht gegen eine durch Los bestimmte Kammer (oder einen durch Los bestimmten Anteil am Parlament) sprechen.

Das Modell ist übrigens auch schon 2,5kJahre alt. Hatten – mal wieder – auch die Griechen.

Genau da sehe ich das Problem: der Laie ist, selbst wenn interessiert und vorgebildet, dabei völlig von der Interpretation des Richters abhängig. Und Richter sind halt auch Individuen, ganz abgesehen von gewissen Differenzen bei Rechtsauffassungen und Strafmaßzuweisungen zwischen den Bundesländern.
Und trotzdem sind die Laienrichter dem juridisch-akademisch gebildeten Berufskollegen gleichberechtigt. Das Rechtssystem ist davon m.E. noch nicht zusammengebrochen.
 
Genau da sehe ich das Problem: der Laie ist, selbst wenn interessiert und vorgebildet, dabei völlig von der Interpretation des Richters abhängig.

Das ist eben nicht so. Der Richter klärt nur über das mögliche Strafmaß auf. Er gibt natürlich Empfehlungen, aber prinzipiell können die Schöffen den Richter überstimmen.

Ich weiß nicht ob es Statistiken gibt, wie oft Schöffen gegen den Profi entscheiden, aber ich bin ziemlich sicher, daß das eher selten ist, was grundsätzliche Fragen angeht (ich meine jetzt nicht, ob dann 11 Monate oder 12 Monate Haft vergeben werden).

Nach dem, was ich von meinem Vater gehört habe, ist die Beantwortung der grundsätzlichen Frage ("schuldig" oder "unschuldig") in den allermeisten Prozessen, die vor so einem Gericht verhandelt werden, eigentlich jedem, der alle Latten am Zaun hat, von vorne herein klar. Beim Strafmaß ("Für schwere Körperverletzung sieht das Gesetz eine Strafe zwischen X und Y vor") gibt es aber wohl durchaus Diskussionen.
 
Schöffen werden aber nur bei Amtsgerichten, Landgerichten und Ortsgerichten eingesetzt, also auf den unteren Ebenen. (Nicht bei Verwaltungsgerichten.) Und auch da nur bei einem kleinen Teil der Verfahren. Sie sollen für mehr Nähe zur Lebenswirklichkeit sorgen, und das können sie dort gut, wo es um Strafsachen geht, kleinere Verfehlungen, etc.. Das kann im Prinzip jede(r), ohne spezielle juristische Kenntnisse zu haben.

In der Politik sieht das aber ganz anders aus. Da geht es oft um schwierige Abwägungen bei komplexen Sachverhalten, die für viele Menschen erhebliche Auswirkungen haben können. Einen solchen Willensbildungsprozess bei Menschen ohne fachliche Vporbildung zu organisieren kostet enorm viel Zeit und Geld.
 
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Ja klar. Aber es sind eben Strafsachen, also die Anwendung der Gesetze auf einzelne Verfehlungen von einzelnen Menschen. Da geht's dann auch um Menschenkenntnis und das Gefühl für eine eingemessenes Urteil. Damit bilden sie auch ein Gegengewicht zu den juristisch denkenden Profis.

Diese Einzellfallentscheidungen sind aber ein großer Unterschied gegenüber Entscheidungen, die Teile der Gesellschaft betreffen. Verwaltungsgerichtsurteile können enorme Auswirkungen haben, oft auch politische. Auf dieser Ebene werden keine ehrenamtlichen Richter mehr eingesetzt.

Politische Entscheidungen, wie Haushaltsplanung und Gesetzesänderungen, gestalten die ganze Gesellschaft, und das für Generationen. Dafür braucht man Menschen, deren Verantwortungsgefühl, Kenntnisse und Motivation entsprechend ausgeprägt sind. Und das schränkt die Zahl der Kandidatinnen ein. Deshalb kann man sie mE nicht einfach auslosen.

Schöffen werden übrigens auch nicht ausgelost, sie müssen sich bewerben oder werden vorgeschlagen und dann von Abgeordneten ernannt. Wer hier mitliest kann sich ja mal vorstellen, ob er selbst Schöffe werden möchte - oder Bundestagsabgeordneter auf Zeit in der ehrenamtlichen Kammer. Er könnte in ein ehrenamtliches Kommunalparlament (Gemeinde-, Stadtrat oder Kreistag) gehen, sich deren Sitzungen anschauen und sich fragen, ob das was für ihn wäre. Und ob er gern ein Los in seinem Briefkasten finden würde, das ihn zum Abgeordneten ernennt und zur Teilnahme an zig abendlichen Sitzungen verpflichtet.

Was als Idee gut klingt, dürfte enorm schwer umzusetzen sein. Man braucht dafür auf allen parlamentarischen Ebenen viele engagierte Leute, denn nach einer Periode müssen sie ja wieder ausgewechselt werden. Wenn ich sehe, wie schwierig es schon ist, für die ehrenamtlichen Kommunalparlamente genügend Kandidaten zu finden, bin ich da sehr skeptisch.
 
Die Sachkompetenz von gewählten Berufspolitikern

ist mit Sicherheit ein schwaches Argument. Die Realität bedeutet Franktionszwang und sobald es komplizierter wird Inkompetenz im bedauerlichem Ausmaß

 
Wenn du für einen Zeitraum von 12 - 24 Monaten per Los ausgewählt wirst und in der Zeit auch das entsprechende Salär bekommst wird das auch kein Problem sein wie damals zur Wehrpflichtszeiten vom AG freigestellt zu werden.
Kann man bei dem System auch dankend ablehnen?

Und Geld ist nicht alles. Der Vergleich mit der Wehrpflicht hinkt schon. Für die meisten wurde man zum Wehrdienst am Ende der Schulzeit oder der Ausbildung gezogen.

Irgendwann später im Leben mal so eben für 12-24 Monate für was komplett anderes verpflichtet zu werden, kann schon die eigene Lebens- und Berufsplanung ordentlich durcheinanderwirbeln. Wie sieht das aus wenn man selbstständig ist und die eigene Firma zwingend auf einen angewiesen ist. Oder man ist in einem Beruf tätig in dem 2 Jahre "raus" sein bedeutet das man quasi wieder bei Null anfangen oder zumindest die Entwicklung nachholen muss, die in der Zeit in der man was anderes gemacht hat, stattgefunden hat?

Es hat ja schon seinen Grund warum klassische Politikerkarrieren auch immer mit bestimmten Studiengängen oder Berufsgruppen einhergehen. Es kann sich halt nicht jeder leisten (und das ist ganz und gar nicht finanziell gemeint) 4, 8 oder 12 Jahre was komplett anderes zu machen und dann in seinen originären Beruf zurückkehren als wäre nichts gewesen. Aber da ist es dann auch noch eine bewusste Entscheidung, bei diesem Losverfahren hat man ja keine Chance (es sei denn man darf doch "nein" sagen).
 
Zitat von spoege:
Die Sachkompetenz von gewählten Berufspolitikern
ist mit Sicherheit ein schwaches Argument. Die Realität bedeutet Franktionszwang und sobald es komplizierter wird Inkompetenz im bedauerlichem Ausmaß.
Was du aus meinem Beitrag zitiert hast, mukululu, war nicht von mir, sondern ein Zitat von Reybroock. Er schreibt:
"Wir müssen heute hin zu einem birepräsentativen Modell, einer Volksvertretung, die sowohl durch Abstimmung als auch durch Auslosung zustande kommt. Beide haben schließlich ihre Qualitäten: die Sachkompetenz von Berufspolitikern und die Freiheit von Bürgern, die nicht wiedergewählt zu werden brauchen."

Darin stimme ich mit ihm überein. Natürlich sind nicht alle PolitikerInnen bei allen Themen sachkompetent, das ist eine banale Feststellung. Vielleicht schaffen sie es, sich auf zwei oder drei Feldern Kompetenz anzueignen, und das ist schon viel. (Und dauert viele Jahre – Zeit, die ehrenamtliche Abgeordnete auf Zeit nicht hätten!)

Deswegen gibt es parlamentarische Ausschüsse, in denen sich die einigermaßen kompetenten Abgeordneten zusammenfinden und Entscheidungen vorbereiten sollen. Zum Beispiel mit Expertenanhörungen. Dann geben sie für ihre Fraktion eine Beschlußempfehlung ab. Das aber wiederum wird als "Fraktionszwang" kritisiert.

Ich wäre übrigens keineswegs so sicher, dass auch in der ehrenamtlichen Kammer keine strategischen Bündnisse zwischen Abgeordneten, die politisch auf einer Linie sind, entstehen. Die werden dann auch Deals eingehen und ihr Abstimmungsverhalten entsprechend koordinieren. Das Gute daran wäre, dass diese Fraktionen ein Gegengewicht zu den Fraktionen der Parteien im Berufsparlament bilden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Zum Beispiel mit Expertenanhörungen.

Expertenanhörungen bei denen nur genehme Experten gehört werden.
Auf solche Expertenanhörungen kann man getrost verzichten. Da wird Geld ausgegeben das man auch gleich in die Mülltonne scheißen könnte (schlimmer noch wäre es, wenn das Geld dann den wirklich bedürftigen zukommen würde).

Aber auch da wirst du ganz sicher ganz klug "Fragen" wie denn meiner Meinung nach solche Experten ausgewählt werden müssten.
Nun, darum geht es gar nicht. Wie der Volksmund schon immer wusste: "Der Fisch stinkt vom Kopf* her" und deshalb muss man auch da ansetzen. Und nicht etwas genehme Experten hören um sich das Mäntelchen der sachlich neutralen Kompetenz über zu ziehen.

*Kopf:
Auf Bundesebene viele der Bundes Berufspolitiker
Auf Landesebene viele der Landes Berufspolitiker
Und auf Kommunalebene eben die dort sitzenden Typen

Was da an Masse aus Ichlingen, die durch eine Mischung aus Eigeninteresse und nützlicher Entscheidung"Findung" ihr Mandat bestimmen lässt, das ist einfach nur widerlich.
 
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